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Diphtherie-Warnung: Genomvariante macht Corynebakterien aggressiver

  • Montag, 16. Juni 2025
  • Quelle: Robert Koch-Institut

Obwohl im Jahr 2024 in Deutschland nur 39 Diphtherie-Erkrankungen in gemeldet wurden, sieht sich das Robert Koch-Institut zu einer Warnung veranlasst. Denn es handelt sich bei einem Teil dieser Fälle nicht mehr nur um aus dem Ausland importierte Erkrankungen, sondern es werden auch wieder Übertragungen in Deutschland beobachtet, die teilweise zu schweren respiratorischen Komplikationen bis hin zu Todesfällen führen.

/Sagittaria, stock.adobe.com
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Grund für die aktuelle Warnung des RKI im Epidemiologischen Bulletin (18/2025, 30. April 2025, Epidemiologisches Bulletin 18/2025) sind die aktuellen Genomsequenzanalysen. Sie geben Hinweise auf einen deutschlandweiten Ausbruch der Diphtherie mit Corynebacterium diphtheriae vom Sequenztyp ST-574.

Gefährdet sind Ungeimpfte und Menschen mit herabgesetztem Immunstatus

Der Sequenztyp wurde in Deutschland erstmals im Herbst 2022 im Rahmen eines europaweiten Ausbruchs importierter Keime identifiziert. Aktuelle Genomsequenzanalysen des Konsiliarlabors für Diphtherie am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) haben ergeben, dass mehrere Isolate aus unterschiedlichen Regionen und Bevölkerungsgruppen genetisch sehr eng verwandt sind, sodass von einer vermehrten Übertragung innerhalb Deutschlands ausgegangen werden muss. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren treten vermehrt Fälle respiratorischer Diphtherie auf, die zum Teil schwer oder tödlich verlaufen. Zu den Verstorbenen im Jahr 2024 gehören ein zehnjähriges, ungeimpftes Kind nach mehrmonatigem Krankheitsverlauf und die Bewohnerin eines Pflegeheims. Genetische Übereinstimmungen mit Isolaten aus mindestens einem Nachbarstaat deuten auf eine mögliche grenzüberschreitende Dimension des Ausbruchs hin.

RKI alarmiert

Wegen dieser neuen Erkenntnisse möchte das RKI für das mögliche Auftreten einer Diphtherie sensibilisieren, die sowohl als respiratorische Diphtherie mit schweren Entzündungsreaktionen im Hals-Rachen-Raum bis hin zu einer vital bedrohlichen Verengung der Luftwege (Stichwort „Würgeengel“) als auch als Haut-Diphtherie mit stark schmerzenden, ulzerierenden und nicht heilenden Wunden daherkommen kann. Zudem weist das RKI auf das Auftreten von Mischinfektionen in Wunden hin, etwa mit A-Streptokokken, Staphylokokken und nicht toxinogenem Corynebacterium diphtheriae. Das RKI empfiehlt, vor allem bei nicht heilenden Wunden trotz positivem Nachweis von Strepto- oder Staphylokokken im Labor zusätzlich das Diphtherie-Toxin-Gen mittels per PCR zu überprüfen. Das sollten medizinisches Personal und Mitarbeitende im öffentlichen Gesundheitswesen beachten.

Besonders gefährdet und deshalb besonders zu beachten sind Ungeimpfte und Menschen mit schlechtem Gesundheitsstatus, wie ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen, dazu geflüchtete, aber auch wohnungslose und Menschen in einer Drogenabhängigkeit.

Sicheren Impfschutz herstellen

Mehr und detailliertere Informationen zur Diphtherie finden sich im Epid Bulletin 18/2025, insbesondere auch konkrete Impfempfehlungen. So sollten bei bestätigter Diphtherie Maßnahmen gemäß dem RKI-Ratgeber durchgeführt werden, darunter unter anderem die Identifikation von engen Kontaktpersonen. Generell sollte der Impfstatus des Patienten und enger Kontaktpersonen erhoben werden. Ist der Impfschutz unbekannt oder unvollständig, sollten Impfungen gemäß den gesonderten STIKO-Empfehlungen angeboten werden (s. RKI-Ratgeber Diphtherie, Punkt 1, Präventive Maßnahmen). Da die Diphtherie-Impfung bei Erwachsenen regelmäßig mit der alle 10 Jahre aufzufrischenden Tetanus-Impfung (Td bzw. Tdap oder Tdap-IPV) erfolgt, besteht bei regelmäßigen Auffrischimpfungen keine Gefahr.

Erkrankte Patientinnen und Patienten sollten nach ihrer Genesung eine Impfung erhalten. Kontaktpersonen von Erkrankten sollten einmal gegen Diphtherie geimpft werden, wenn die jüngste Auffrischimpfung mehr als fünf Jahre zurückliegt. Eine fehlende oder unvollständige Grundimmunisierung sollte vervollständigt oder gegebenenfalls begonnen werden. Eltern ungeimpfter Kinder sollten auf die auf die Gefahr schwerer und intensivpflichtiger Verläufe hingewiesen werden. Bei ungeimpften Kindern unter 5 Jahren beträgt die Letalität der unbehandelten respiratorischen Diphtherie bis zu 40 %. Antibiotika neutralisieren lediglich die Erreger, nicht aber das Toxin, sodass auch Antitoxin-Gaben zwingend erforderlich werden. Gesonderte STIKO-Empfehlungen gelten für Asylsuchende und MigrantInnnen nach Ankunft in Deutschland.

Zu beachten ist, dass die Impfung eine Immunität gegen das Diphtherie-Toxin aufbaut, nicht aber gegen Corynebacterium selbst. Die Ausbreitung des Erregers wird deshalb nicht verhindert.

Noch sind die Fallzahlen hierzulande überschaubar: Bis zum 28. April 2025 wurden bundesweit 126 Erkrankungen mit ST-574 registriert. Mit intensivierten Anstrengungen zur Impfprävention sollte verhindert werden, dass die Diphtherie nach den Masern die zweite Infektionskrankheit in Deutschland ist, bei der die Herdenimmunität versagt, so die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Prof. Dr. med. Maria Vehreschild, Frankfurt, vor kurzem in einem Interview (Diphtherie: RKI sieht Signal für einen Ausbruch in Deutschland | Apotheken Umschau).

Quelle: Robert Koch-Institut, Epidemiologischen Bulletin 18/2025, 30. April 2025, online: https://www.rki.de/DE/Aktuelles/Publikationen/Epidemiologisches-Bulletin/2025/18_25.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Dr. Beate Fessler

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