Epigenetische Effekte der BCG-Impfung: Wie trainierte Immunität entsteht
Der Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Impfstoff entfaltet neben seinem eigentlichen Zweck, dem Schutz vor Tuberkulose, auch einen unspezifischen Schutz gegenüber anderen Infektionen. Diese Beobachtung ist seit Langem bekannt und hat das wissenschaftliche Interesse immer wieder neu geweckt. Der Impfstoff wird bereits seit rund 100 Jahren eingesetzt. Doch wie genau dieser zusätzliche Schutzeffekt zustande kommt, war bislang nur unvollständig verstanden.

Modulierte Immunantwort durch epigenetische Umstrukturierung
Eine aktuelle Studie des Zentrums für Individualisierte Infektionsmedizin (CiiM) in Hannover und des Radboud University Medical Center in Nijmegen (Niederlande) liefert nun entscheidende Puzzlestücke. Die Ergebnisse, veröffentlicht in Genome Biology, zeigen: BCG hinterlässt bleibende Spuren im Immunsystem – nicht im Erbgut selbst, sondern in seiner „epigenetischen Steuerung“.
Epigenetik bezeichnet molekulare Mechanismen, die die Genexpression regulieren, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Zu den zentralen Prozessen zählen u.a. DNA-Methylierungen, welche die Chromatinstruktur modulieren und damit die Zugänglichkeit von Genen für Transkriptionsfaktoren beeinflussen.
Für das Immunsystem bedeutet dies: Epigenetische Modifikationen regulieren die Genaktivität in Zellen des angeborenen und adaptiven Immunsystems und beeinflussen damit, wie effektiv diese Zellen Krankheitserreger erkennen, Zytokine produzieren oder Entzündungsprozesse initiieren. Solche epigenetischen Anpassungen erfolgen nicht ausschließlich im Rahmen der Entwicklung, sondern können auch durch externe Reize wie Infektionen oder Impfungen induziert werden. Einige dieser Veränderungen sind langfristig stabil und verleihen Immunzellen ein „funktionelles Gedächtnis“. Dieses Konzept wird als trainierte Immunität bezeichnet und beschreibt die erhöhte Reaktionsbereitschaft des angeborenen Immunsystems gegenüber späteren, auch nicht verwandten Pathogenen.
BCG-Impfung und epigenetisches Immungedächtnis
Ein Forschungsteam um Prof. Cheng-Jian Xu (CiiM) untersuchte 284 gesunde Erwachsene, die mit dem BCG-Impfstoff immunisiert wurden. Über einen Zeitraum von drei Monaten wurden Blutproben analysiert, um epigenetische Veränderungen – insbesondere DNA-Methylierungsmuster – in Immunzellen zu erfassen.
Die Ergebnisse zeigen, dass BCG eine charakteristische und langanhaltende Methylierungssignatur induziert, die über die akute Immunantwort hinaus bestehen bleibt. Diese epigenetischen Modifikationen regulieren die Aktivität zahlreicher Gene, die an der Pathogenerkennung, der Zytokinproduktion, der Entzündungssteuerung und dem zellulären Stoffwechsel beteiligt sind. Damit bestätigt sich, dass die BCG-Impfung das angeborene Immunsystem nachhaltig beeinflusst und dessen Antwort auf spätere, nicht verwandte Pathogene verstärken kann.
Hervorzuheben ist, dass der individuelle epigenetische Fingerabdruck bereits vor der Impfung Hinweise darauf lieferte, wie stark das Immunsystem auf BCG reagierte. Diese Erkenntnis eröffnet neue Perspektiven für personalisierten Impfschutz – etwa durch die Anpassung von Dosis oder Impfzeitpunkt auf Basis epigenetischer Profile.
Ein neues Puzzlestück: Hormone und Geschlecht
In der Studie wurden noch weitere Beobachtungen gemacht. So zeigte sich, dass das Hormon Kisspeptin – bisher vor allem für seine Rolle bei der Pubertät und Fortpflanzung bekannt – die Aktivierung des Immunsystems beeinflusst. Es dämpfte die Ausschüttung wichtiger Botenstoffe wie Interferon-γ. Dies deutet auf ein bislang unbekanntes Regulationsnetzwerk hin, über das der Körper Wachstum, Fortpflanzung und Abwehr in Balance hält.
Auch geschlechtsspezifische Unterschiede wurden sichtbar: Männer und Frauen zeigten unterschiedliche Muster der DNA-Methylierung und der Aktivierung von Immungenen nach der Impfung. Diese Beobachtung legt nahe, dass das biologische Geschlecht einen Einfluss auf die Wirksamkeit von Impfstoffen haben kann.
Brücke zwischen Genetik, Epigenetik und Immunität
Darüber hinaus identifizierten die Forschenden genetische Varianten, die über epigenetische Mechanismen die trainierte Immunität beeinflussen. So zeigte sich etwa, dass DNA-Variationen im Genlocus SLC12A3 die Zytokinantwort nach Stimulation mit Bakterien wie Staphylococcus aureus modulieren. Damit schlägt die Studie eine mechanistische Brücke zwischen Genetik, Epigenetik und Immunantwort – und erweitert das Verständnis dafür, wie individuelle biologische Faktoren die Immunreaktion formen können.
Klinische Bedeutung und Ausblick
Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die BCG-Impfung über ihren klassischen Einsatz zur Tuberkuloseprävention hinaus auch das angeborene Immunsystem beeinflussen kann. Durch epigenetische Umstrukturierung lässt sich dessen Reaktionsfähigkeit langfristig verändern, was zu einer breiteren Schutzwirkung gegenüber verschiedenen Infektionserregern führen könnte.
Damit liefert die Studie eine konzeptionelle Grundlage für die Entwicklung personalisierter Impfstrategien, die die Vielfalt biologischer Merkmale – einschließlich genetischer Varianten, epigenetischer Muster und geschlechtsspezifischer Unterschiede – gezielt einbeziehen.
Quelle (Originalpublikation): Qi C et al.: Long-term DNA methylation changes mediate heterologous cytokine responses after BCG vaccination. Genome Biol 2025; 26(1):180; https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-025-03611-9