Massenspektrometrie eröffnet neue Wege in der Virusdiagnostik
Forschende des Robert Koch-Instituts (RKI) haben ein innovatives Verfahren entwickelt, mit dem sich in Patientenproben innerhalb weniger Stunden Hunderte von Viren gleichzeitig identifizieren lassen. Grundlage ist die Massenspektrometrie, die virale Proteine innerhalb von rund zwei Stunden nachweisen kann. Im Gegensatz zu etablierten Routinemethoden, die in der Regel auf einzelne Zielstrukturen wie Nukleinsäuren oder spezifische Antigene fokussiert sind, erlaubt der neue Ansatz eine deutlich schnellere und umfassendere Diagnostik.

Diagnostische Lücke bei ungerichteter Viruserkennung
Die Routinediagnostik viraler Infektionen basiert bislang vor allem auf PCR-Tests und Immunoassays. Beide Verfahren gelten als hochsensitiv und -spezifisch, setzen jedoch eine gezielte Verdachtsdiagnose voraus und beschränken sich auf einzelne, vorab definierte Erreger. Ungerichtete Methoden wie Metagenomik oder Elektronenmikroskopie ermöglichen zwar eine breitere Erkennung, sind jedoch zeit- und kostenintensiv und für den klinischen Alltag nur eingeschränkt praktikabel.
vPro-MS: Proteombasierte Virusdiagnostik
Mit vPro-MS („virus proteomics by mass spectrometry“) haben die RKI-Forschenden eine Methode entwickelt, die eine ungerichtete Analyse von Patientenproben ermöglicht – also ohne vorherige Vermutung, welcher Erreger vorliegt. Grundlage bildet eine umfangreiche Bibliothek mit über 1,4 Millionen viralen Proteinsequenzen, die mehr als 300 humanpathogene Viren abdeckt.
Ein zentrales Element ist der vProID-Score: ein algorithmisches Verfahren, das identifizierte Proteine mit einer Bibliothek abgleicht und angibt, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Proteinfragment zu einem bestimmten Virus gehört.
Die Analyse erfolgt mithilfe der Data-Independent Acquisition Mass Spectrometry (DIA-MS). Dabei handelt es sich um ein modernes Verfahren zur Messung von Proteinen in biologischen Proben. Es gehört zur Massenspektrometrie, einer Technik, mit der Moleküle nach ihrer Masse und Ladung identifiziert werden. Anders als bei klassischen Methoden muss vorher nicht festgelegt werden, nach welchen Molekülen gesucht wird. Stattdessen werden alle Moleküle gleichzeitig erfasst, die sich in einem bestimmten Massenbereich befinden. DIA-MS funktioniert besonders gut bei Proben mit vielen verschiedenen Molekülen, wie z.B. Blutplasma, Abstrichen oder Zellkulturen.
Validierung und Leistungsfähigkeit
In Validierungsstudien konnte die vPro-MS-Methode bis zu 331 humanpathogene Viren parallel in Patientenproben nachweisen. Für SARS-CoV-2 war ein zuverlässiger Nachweis bis zu einem Ct-Wert von 27 möglich – dies ist mit Ergebnissen aus metagenomischen Verfahren vergleichbar. Die Spezifität der Methode lag bei über 99,9 %, was auf eine hohe Genauigkeit bei der Identifikation und Zuordnung viraler Proteine hinweist.
Der Workflow erlaubt die Bearbeitung von bis zu 60 Proben pro Tag und ist damit potenziell für den klinischen Routineeinsatz geeignet. Modellierungen deuten darauf hin, dass die Sensitivität der Methode künftig noch gesteigert werden könnte – etwa durch die Integration künstlich hergestellter Eiweißbausteine, die gezielt auf spezifische virale Zielstrukturen abgestimmt sind.
Perspektiven für Forschung und Klinik
vPro-MS identifiziert virale Erreger indirekt über charakteristische Proteinfragmente, die mit bekannten Sequenzen abgeglichen werden. Anders als die PCR, die intakte RNA benötigt, funktioniert dieser Ansatz auch bei eingeschränkter RNA-Stabilität oder in Proben, die eine große Menge unspezifischer, nicht-viraler Proteine enthalten: vPro-MS kann dennoch gezielt virusspezifische Proteinfragmente identifizieren und ist dadurch weniger störanfällig als RNA-basierte Methoden.
Laut den Autoren der in Nature Communications veröffentlichten Publikation eröffnen sich besondere Anwendungsmöglichkeiten für Kohortenstudien, die epidemiologische Surveillance sowie die Analyse persistierender oder multipler Virusinfektionen. Langfristig könnte die Massenspektrometrie in der Virusdiagnostik eine ähnliche Bedeutung erlangen wie sie heute bereits in der Bakteriendiagnostik etabliert ist.
Quelle (Originalpublikation): Grossegesse M et al.: vPro-MS enables identification of human-pathogenic viruses from patient samples by untargeted proteomics. Nat Commun 2025; 16(1):7041; https://www.nature.com/articles/s41467-025-62469-4