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Warum das Geschlecht den Unterschied macht: Infektionen gender­gerecht behandeln

  • Montag, 11. März 2024

Der Verlauf einer Infektion hängt nicht zuletzt auch vom Geschlecht des Patienten/der Patientin ab. Das sollte bei der Therapie berücksichtigt werden. Doch die Realität sieht anders aus, sagt Prof. Dr. med. Markus Cornberg, stellvertretender Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Direktor des Zentrums für individualisierte Infektionsmedizin.

Frauenherzen schlagen anders als Männerherzen. Das wissen Kardiologinnen und Kardiologen schon länger. Aktuell wird deshalb am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung nach Regulationsmechanismen der Herzfunktion gesucht, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschlechtsspezifischer und somit besser behandeln zu können (DZHK Pressemitteilung 29. März 2023).

Männer mit Lungenentzündung häufiger auf die ITS

Weniger bekannt ist dagegen, dass Männer und Frauen auch auf Infektionen unterschiedlich reagieren. Wie eine Lungenentzündung verläuft, wie hoch das Risiko von Nebenwirkungen nach einer COVID-19-Impfung ist und wie oft chronische Virushepatitiden auftreten, hängt letztlich auch vom Geschlecht ab. Werden Männer etwa wegen einer Lungenentzündung hospitalisiert, müssen sie doppelt so häufig auf die ITS verlegt werden. Frauen müssen nach einer COVID-19-Impfung häufiger mit Nebenwirkungen rechnen. Das Immunsystem und dessen Schlagkraft scheint sich demnach bei Männern und Frauen erheblich zu unterscheiden. "Und das hat weitreichende Folgen: für die meisten Infektionskrankheiten, für Impfungen, für Autoimmunerkrankungen“, erläutert Dr. med. Henning Jacobsen von der Abteilung Virale Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI).

Testosteron bremst die Immunfunktion

Den Unterschied machen hormonelle, genetische und soziologische Gegebenheiten. So bremst Testosteron laut Jacobsen das Immunsystem der Männer geringfügig ein, Östrogen und Progesteron steigern dagegen seine Aktivität. Auch die genetische Ausstattung ist relevant. Auf dem X-Chromosom, von denen Frauen zwei haben, befinden sich zahlreiche Gene, die entscheidend sind für ein funktionierendes Immunsystem. „Auch der Toll-like-Rezeptor 7 (TLR7), der für die frühe Erkennung eindringender Viren verantwortlich zeigt, wird auf dem X-Chromosom verschlüsselt“, erläutert Cornberg. Nicht zu vergessen: auch soziologische Aspekte sind relevant. Frauen gehen häufiger zum Arzt und sprechen ehrlicher über ihre Beschwerden. Das kann sich in einer veränderten Therapiestrategie niederschlagen. Auch dass Frauen häufiger im Krankenhaus arbeiten und schon allein deshalb ein höheres Infektionsrisiko haben, macht einen Unterschied.

Niedrigere Impfdosen für Frauen?

Laut Cornberg müssen die Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Infektionsverlauf mehr berücksichtigt werden. So haben Frauen nach COVID-19-Impfung zwar mehr Nebenwirkungen, aber auch einen sehr viel besseren Impfschutz, wie die Antikörpertiter zeigen. „Da frage ich mich als Wissenschaftler natürlich, ob man nicht den Frauen niedrigere Impfdosen geben könnte, damit sie weniger Nebenwirkungen haben. Denn die Wirkung scheint ja besser zu sein. Oder ob man nicht umgekehrt Männern höhere Impfdosen verabreichen kann, um deren Widerstandsfähigkeit zu steigern.“ Bislang werde von diesen Überlegungen in der Praxis nichts in Erwägung gezogen.

Quelle: "Reagieren Frauen anders auf Infektionen als Männer?", Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH (HZI): https://www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/thema/reagieren-frauen-anders-auf-infektionen-als-maenner/ (letzter Zugriff: 25. Februar 2024)

Dr. Beate Fessler

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