Vermischtes

Immer mehr Daten zeigen Rassismus im Gesundheitswesen

  • Mittwoch, 27. April 2022
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Berlin – Gesundheitliche Folgen von Rassismus sowie deren strukturelle Proble­me werden auch im deutschen Gesundheitswesen immer offensichtlicher. Studien dazu liefern zwar vor allem Länder wie die USA, Kanada und Großbri­tannien. Aber auch in Deutschland liegen mit dem Afrozensus und einer Studie zu Todesfällen bei ausländischen Staatsangehörigen während der Pandemie Hinweise vor.

Eine erste repräsentative quantitative Erhebung zu den gesundheitlichen Folgen von Rassismus in Deutsch­land ist derzeit in Planung beim Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) zu diesem Schwerpunkt soll im März 2023 er­scheinen.

Aufgrund der Pandemie sei eine neue Diskussion in Gang gekommen, ist Cihan Sinanoglu, Leiter der Ge­schäftsstelle für den NaDiRa überzeugt. „Die Coronapan­demie und ihre Folgen haben die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Rassismus, sozialer Ungleichheit und Gesundheit neu gestellt“, erklärte er dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ), das in seiner aktuellen Ausgabe das Thema in mehreren Beiträgen aufgreift.

Auch der Weltärztebund (WMA) beschäftigt sich aktuell mit dem Rassismus im Gesundheitswesen. Laut Frank Ulrich Montgomery, Präsident des WMA, habe man Anfang April bei der Vorstandssitzung über ein Positions­papier gesprochen und eine Resolution für die Generalversammlung in Berlin vorbereitet und verabschiedet.

Rassismus im Gesundheitswesen, kann für die psychische und körperliche Gesundheit zum Risikofaktor wer­den. Am Beispiel von Hautkrankheiten wird dies in einem aktuellen Beitrag im Medizinreport des erläu­tert.

Das Problem: Medizinische und dermatologische Fachbücher sowie Standard­nachschlagewerke zeigen über­wiegend Fallbeispiele anhand von hellen Haut­typen.

Dabei sehen Störungen auf dunkleren Hauttypen oft sehr spezifisch aus, sodass akute Dermatosen mitunter falsch eingeschätzt oder fehldiagnostiziert werden. Auf der Webseite www.blackandbrownskin.co.uk finden Ärztinnen und Ärzte ein Archiv von Bildern, dass Haut­krankheiten auf dunklerer Haut zeigt.

Race-Korrekturen führen zu einer schlechteren Versorgung

Weitere Beispiele, bei denen konstruierte Unterschiede in Abhängigkeit der ethnischen Gruppe praktiziert werden, betreffen das Lungen- und Nierenfunk­tionen. Bis heute findet man auf Labordiagnosen den Hinweis auf einen Korrek­tur­faktor für die glomerulären Filtrationsrate (GFR), der jedoch „nicht für Kauka­sier” gelte, berichtete die Ärztin in Weiterbildung, Ngozi Odenigbo beim ALAFIA 2021 – Afrika Festival.

Für Schwarze Menschen sollen Kreatininwerte erst bei einem höheren Grenzwert als pathologisch beurteilt werden, berichtet auch die Kritische Medizin München in einem Essay. So würde es Medizinstudierenden bei­gebracht.

Dies führe dazu, dass bei Schwarzen Menschen erst bei niedrigerer GFR ein Nierenversagen diagnostiziert und entsprechende Therapien eingeleitet würden – unter anderem gehe es hier auch um die Qualifikation für das Erhalten eines Nierentransplantats (JAMA 2019; DOI: 10.1001/jama.2019.5774).

Odenigbo vom Verein Black in Medicine kritsierte, dass allein schon die Wort­wahl „Kauskasier” darauf schlie­ßen lasse, dass man davon ausgehe, dass es verschiedene Menschenrassen geben würde.

„Es gibt keinen Be­weis dafür, dass es verschiedene Menschenrassen gibt. Es gibt genetische Variationen. Wir sind zu mehr als 99,9 Prozent identisch”, betonte sie und fügte hinzu, dass eine zunehmend große Bewegung die Abschaffung von Race-Korrekturfaktoren fordern würde. Das NEJM hat 2020 eine Übersicht zu solchen Faktoren gegeben (doi: 10.1056/NEJMms2004740).

Auch die Referenzwerte für die Spirometrie beinhalten unterschiedliche Werte in Abhängigkeit der ethni­schen Gruppe. Denn Spirometer können die Referenzwerte automatisch anpassen. Für afrikanisch-karibische Menschen oder Personen asiatischer Abstammung sind die Referenzwerte zirka zehn Prozent geringer als für weiße Menschen, wie im Spirometrie-Guide der Global Initiative for Chronic Obstructive Lunge Disease (GOLD) festgehalten ist.

Begründet wird das mit einer Studie aus 2012, in der Daten von mehr als 160.000 Menschen erhoben worden sind und die zwischen „Kaukasiern“, Afroamerikanern, Süd-Ost-Asiaten und Menschen aus Nordasien unter­scheidet (European Respiratory Journal 2012; DOI: 10.1183/09031936.00080312).

Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), hält die unter­schiedlichen Referenzwerte aufgrund dieser Studienergebnisse für sinnvoll und sieht darin „zunächst keine Diskrimi­nierung, sondern den Versuch, Individuen besser einschätzen zu wollen.“

Die Ärztin und Professorin Staci Leisman sieht dagegen keine biologische Grundlage für unterschiedliche Normbereiche des Lungenvolumens bei weißen und Schwarzen Menschen, wie einem Beitrag des Deutsch­land­funks zu entnehmen ist. An der Icahn Medizinhochschule in New York hält sie regelmäßig Vorträge zu Race-Korrekturfaktoren.

Auch andere Forschende sehen die unterschiedlichen Normwerte für Lungenvo­lumina in Abhängigkeit der ethnischen Gruppe kritisch. Eine 2021 im ATSJournal veröffentlichte Langzeitstudie mit 3.344 Teilnehmenden zeigte, dass race-basierte im Vergleich zu race-neutralen Referenzwerten die Vorhersage über eine chronische Erkrankung der unteren Atemwege nicht verbessern würden. (ATSJournal 2021; DOI: 10.1164/rccm.202107-1612OC).

Zusätzlich könnten die unterschiedlichen Referenzwerte dazu führen, dass bestimmte Lungenerkrankungen wie eine COPD bei Schwarzen Menschen seltener diagnostiziert werde. Darauf deutet eine ebenfalls im ATSJournal veröffentlichte Studie mit insgesamt 2.652 Teilnehmenden hin (ATSJournal 2021; DOI: 10.1164/rccm.202105-1246OC).

„Es wäre wünschenswert, wenn wir uns bei der Einschätzung der Lungenfunktion auf das Individuum unab­hängig der ethnischen Gruppe konzentrieren könnten“, sagte Bauer dem .

Zur Beurteilung von Asthma stün­de in Europa flächendeckend die Bodyplethys­mographie zur Verfügung und werde von den Krankenkassen er­stattet – ein Verfahren, das die Lungenfunktion individuell und unabhängig vom Behandler misst und bewer­tet. Das Verfahren habe sich weltweit jedoch noch nicht durch­gesetzt, da es als „Point-of-care“-Verfahren noch zu aufwendig sei, erläuterte Bauer.

Auch im Zusammenhang mit COVID-19 befürchten Forschende der University of California, dass eine bedroh­liche Einschränkung der Lungenfunktion bei BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) durch die unter­schied­lichen Referenzwerte unterschätzt würde. Sie schlagen daher vor, die Referenzwerte an Körperpro­portionen, sozioökonomischen und beruflichen Status anzupassen (The Lancet 2021; DOI: 10.1016/S2213-2600(20)30571-3).

Eine männlich weiße Bevölkerung im Fokus

Das eigene Bewusstsein hinsichtlich rassistischer Stereotype und Vorurteile im Versorgungskontext zu hinter­fragen sei Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, sagte Solmaz Golsabahi-Broclawski, Ärztliche Leitung des Medi­zinischen Instituts für Transkulturelle Kompetenz in Bielefeld.

In einem weiteren Beitrag der aktuellen Ausga­be des kritisiert sie, dass der Fokus lange Zeit in der medizinischen Diagnostik auf der Demografie einer männlichen weißen Bevölkerung lag.

An den Beispielen der Hautkrankheiten oder der Race-Korrekturfaktoren werden die Folgen dieser Sicht deut­lich. Dass gerade die Unterscheidung nach „Rasse“ im medizinischen Kontext wissenschaftlich nicht haltbar sei würden unter anderem Studiendaten zur Medikamentenverträglichkeit von Personen mit unterschiedli­cher ethnischer Herkunft zeigen, ist Golsabahi-Broclawski überzeugt (Nature Reviews Genetics 2003; DOI: 10.1038/nrg1229).

Das Wissen hierum sei in der medizinischen Ausbildung und im ärztlichen Alltag oft noch nicht angekommen – umso mehr seien Ärztinnen und Ärzte gefordert, sich zu informieren und diese Aspekte im Behandlungs­alltag zu berücksichtigen.

gie/mim

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