Leopoldina: Öffentliches Leben unter Bedingungen normalisieren

Halle – Die Forschungsgemeinschaft Leopoldina als wichtiger Berater der Bundesregierung hat in einer neuen Stellungnahme eine Maskenpflicht für den öffentlichen Personenverkehr vorgeschlagen. Zudem sprachen sich die Forscher heute dafür aus, die Schulen schrittweise zunächst für jüngere Schüler wieder zu öffnen.
Der Betrieb in Kindertagesstätten sollte „nur sehr eingeschränkt wiederaufgenommen werden“. Die Datenerhebung muss nach Ansicht der Wissenschaftler deutlich verbessert werden, auch mithilfe von Corona-Apps.
„Da die Jüngeren im Bildungssystem mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen sind, sollten zuerst Grundschulen und die Sekundarstufe I wieder schrittweise geöffnet werden.“ Die Möglichkeiten des Fernunterrichts „können mit zunehmendem Alter besser genutzt werden“, so die Forscher.
„Deshalb ist zu empfehlen, dass eine Rückkehr zum gewohnten Unterricht in höheren Stufen des Bildungssystems später erfolgen sollte." Dabei seien unterschiedliche Übergangsformen und Verknüpfungen zwischen Präsenzphasen und Unterricht auf Distanz mithilfe digitaler Medien denkbar. Prüfungen sollten aber „wenn eben möglich“ abgehalten werden.
Die Empfehlung, den Kita-Betrieb nur sehr eingeschränkt wiederaufzunehmen, begründen die Forscher damit, dass kleinere Kinder sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten können, gleichzeitig aber die Infektion weitergeben können.
Gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen sollten „in Abhängigkeit von der möglichen räumlichen Distanz und den Kontaktintensitäten der Beteiligten (...) nach und nach wieder ermöglicht werden“, empfahlen die Forscher weiter.
Neuinfektionen stabilisieren
Die Normalisierung des öffentlichen Lebens könne schrittweise unter folgenden Voraussetzungen erfolgen: Die Neuinfektionen müssten sich auf niedrigem Niveau stabilisieren, notwendige klinische Reservekapazitäten müssten aufgebaut und die Versorgung der anderen Patienten wieder regulär aufgenommen werden, die bekannten Schutzmaßnahmen müssten diszipliniert eingehalten werden.
„So können zunächst zum Beispiel der Einzelhandel und das Gastgewerbe wieder öffnen sowie der allgemeine geschäftliche und behördliche Publikumsverkehr wiederaufgenommen werden“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer dritten Ad-hoc-Stellungnahme zur Corona-Pandemie.
„Darüber hinaus können dienstliche und private Reisen unter Beachtung der genannten Schutzmaßnahmen getätigt werden.“ Weiter heißt es: „Das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sollte als zusätzliche Maßnahme in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Personenverkehr Pflicht werden.“
Tracking nutzen
Die Datenerhebung zum Infektions- und Immunitätsschutz sei „substanziell zu verbessern, insbesondere durch repräsentative und regionale Erhebung des Infektions- und Immunitätsstatus“. Die Daten sollten „in Echtzeit“ verarbeitet werden und so verlässlichere Kurzzeitprognosen ermöglichen.
„Dabei sollte die Nutzung von freiwillig bereitgestellten GPS-Daten in Kombination mit Contact-Tracing, wie dies beispielsweise in Südkorea der Fall ist, möglich sein“, schreiben die Forscher zum Thema Corona-Apps.
„Dies würde die Präzision heute verfügbarer Modelle steigern, um insbesondere eine kontextabhängige, örtliche Auflösung und damit eine differenzierte Vorhersage des Pandemieverlaufs zu erlauben.“ Die Bürger sollten ihre Daten „anonymisiert, sicher und geschützt“ als Fundament für bessere Prognosen zur Verfügung stellen können.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Stellungnahme der Leopoldina mit in die gemeinsame Entscheidung mit den Ministerpräsidenten einfließen lassen. Die Bund-Länder-Beratungen darüber, welche Lockerungen nach den Osterferien in Deutschland möglich sind, finden am Mittwoch statt.
In den Empfehlungen heißt es unter dem Punkt „Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Stabilisierung nutzen“, staatliche Beteiligungen sollten nur im äußersten Notfall zur Stabilisierung von Unternehmen eingesetzt werden.
Mit dem Auslaufen der jetzigen gesundheitspolitischen Maßnahmen würden mittelfristig weitere expansive fiskalpolitische Impulse notwendig sein. Auf der Einnahmenseite könnten dies Steuererleichterungen sein, das Vorziehen der Teilentlastung beim Solidaritätszuschlag oder seine vollständige Abschaffung.
Auf der Ausgabenseite seien zusätzliche Mittel für öffentliche Investitionen, etwa im Gesundheitswesen, der digitalen Infrastruktur und im Klimaschutz wichtig. Die Krise erfordere in höchstem Maße ein europäisch-solidarisches Handeln.
Die Experten rufen zudem dazu auf, an der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung festzuhalten. So sei an der Schuldenbremse im Rahmen ihrer derzeit geltenden Regeln festzuhalten. Dies erlaube gerade in so besonderen Zeiten wie der Corona-Krise eine deutlich höhere Verschuldung, verlange aber bei der Rückkehr zur Normalität wieder deren Rückführung.
Allgemein heißt es in diesem Zusammenhang, die in der Krise getroffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssten so bald wie möglich zugunsten eines nachhaltigen Wirtschaftens im Rahmen einer freiheitlichen Marktordnung rückgeführt oder angepasst werden.
Ähnliche Empfehlungen aus NRW
Eine Expertengruppe in Nordrhein-Westfalen (NRW) hatte ebenfalls Voraussetzungen für den möglichen Abbau der Einschränkungen in der Coronakrise aufgelistet. In dem Papier des interdisziplinären Teams heißt es, über Lockerungen könne erst nachgedacht werden, wenn klar sei, dass das Gesundheitssystem „absehbar nicht überfordert ist“ und Voraussetzungen für ein besseres „Monitoring“ der Krise geschaffen seien.
Dann aber könne die Rückkehr zur Normalität „schrittweise forciert werden“, heißt es in der 15-seitigen Ausarbeitung, die im Auftrag der NRW-Landesregierung erstellt wurde.
In Deutschland sind bis heute Mittag nach Informationen der Johns-Hopkins-University rund 127.800 Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert worden. Mehr als 3.000 Menschen starben bundesweit daran. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts haben etwa 64.300 Menschen die Infektion überstanden, etwa die Hälfte der bisher erfassten Infizierten.
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