Engagierte Bundestagsdebatte zur Sterbehilfe: Fünf Positionen kristallisieren sich heraus

Berlin – Eine offen geführte „Orientierungsdebatte“ zur Sterbehilfe bildete heute den Auftakt zu dem „vielleicht anspruchsvollsten Gesetzgebungsverfahren dieser Legislaturperiode“, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu Beginn der Debatte im Deutschen Bundestag sagte. 48 Abgeordnete meldeten sich zu Wort und diskutierten gut vier Stunden lang die Optionen einer künftigen gesetzlichen Regelung zum assistierten Suizid, die für Mitte des nächsten Jahres vorgesehen ist. Konkrete Gesetzentwürfe liegen noch nicht vor. Es zeichnen sich jedoch fünf Positionen ab, zu denen sich Abgeordnete über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammengefunden haben.
Allen gemeinsam ist die Forderung nach einer deutlichen Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung. Unterschiede treten jedoch bei den Vorschlägen einer Regelung der Beihilfe zum Suizid zutage.
Arztlicher Hilfe bei der Selbsttötung unter sieben Voraussetzungen
Eine erste Gruppe um die Koalitionsabgeordneten um Peter Hintze (CDU), die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann und Karl Lauterbach ( auch SPD) plädiert für eine gesetzliche Zulassung ärztlicher Sterbehilfe. „Verzweifelte Menschen sollen sich nicht an Sterbehilfevereine wenden müssen, sondern sich ihrem Arzt anvertrauen können“, sagte Reimann. Dabei formulierten die Abgeordneten die Zulassung ärztlicher Hilfe bei der Selbsttötung sieben Voraussetzungen: Unter anderem müsse der Sterbende volljährig und voll einsichtsfähig sein; es müsse sich um eine unheilbare Krankheit handeln, die unumkehrbar zum Tod führe; der Patient müsse erkennbar leiden und umfassend über andere, besonders palliative Behandlungsmöglichkeiten beraten worden sein.
Die Vorschläge ihrer Gruppe seien eng begrenzt auf einen vertrauten Arzt, sagte die SPD-Abgeordnete. Dem Sterbenden gebe die Möglichkeit eines tödlichen Medikaments große Sicherheit. Dies könne gerade zu einer Suizidvermeidung führen. „Mit unserem Positionspapier wollen wir zudem mehr Rechtssicherheit für die Ärzte“, betonte Reimann.
Für Hintze ist es nicht mit der Menschenwürde vereinbar, „wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod wird“. Ein Arzt müsse dem Patienten beim friedlichen Einschlafen helfen dürfen. „Das will auch die große Mehrheit der Bevölkerung“, sagte er. Deshalb solle der Deutsche Bundestag dieser Mehrheit eine Stimme geben. Lauterbach berichtete, dass zu Seriensterbehelfern und entsprechenden Organisationen auch viele Menschen mit Depressionen gingen, die eigentlich gerettet werden könnten. „Das können wir so unterbinden.“
„Wir sollten keine Tür öffnen, die man später nicht mehr schließen kann“
Eine zweite Position wurde bei der Debatte von der Mehrheit der Unionsabgeordneten vertreten: Michael Brand lehnt ebenso wie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU) den ärztlich assistierten Suizid ab. „Wir sollten keine Tür öffnen, die man später nicht mehr schließen kann“, erklärte Brand. Durch sie könnten Menschen geschoben werden, die nicht dort hindurch geschoben werden wollten. Die Gruppe um Brand sieht bei einem Ja zur ärztlichen Suizidassistenz die Gefahr, dass der Suizid zum „Normalfall“ wird. Ein Regelangebot würde zu einer schleichenden Werteverschiebung hin zur Tötung auf Verlangen führen, warnte Brand.
Gröhe: „Wir lehnen deshalb jedes Sonderstrafrecht für Ärzte ab"
„Auch die Ärzteschaft wehrt sich gegen eine solche Regelung“, sagte Gröhe. „Das sollten wir ernst nehmen. Wir lehnen deshalb jedes Sonderstrafrecht für Ärzte ab.“ In der Palliativmedizin sei es bereits möglich, lebensverlängernde Maßnahmen auszusetzen. „Das Recht schweigt bisher zu solchen Lebensdramen. Und auch künftig darf es keine Verklärung der Selbsttötung und keine Darstellung des assistierten Suizids als offizielle Option geben,“ betonte der Minister.
Unionsfraktionschef Volker Kauder plädierte ebenfalls für ein umfassendes Sterbehilfeverbot und gegen eine ärztlich begleitete Selbsttötung. In der Palliativmedizin sei die aktive Gabe von schmerzlindernden Mitteln zulässig, selbst wenn dabei eine lebensverkürzende Nebenfolge in Kauf genommen wird, sagte er. „Regelungen sollten wir dem ärztlichen Standesrecht überlassen.“
Gewissensentscheidung des Einzelnen ist gefragt
Die CDU-Abgeordnete Claudia Lücking-Michel sprach als Unterstützerin dieser zweiten Gruppe von einer „klaren Absage an eine ärztliche Assistenz zum Suizid“. Ein solches offiziell geregeltes Angebot würde Betroffene unter Druck setzen. Zudem warnte sie davor, „existenzielle Entscheidungssituationen“ formaljuristisch regeln zu wollen. Stattdessen sei die Gewissensentscheidung des Einzelnen gefragt.
Ein drittes Konzept stellten die SPD-Politikerinnen Eva Högl und Kerstin Griese vor. Sie verfolgen einen „Weg der Mitte“ und wollen den Ärzten Freiraum in ethischen Grenzsituationen bewahren. Die SPD-Abgeordneten warnen vor einer ausdrücklichen Erlaubnis und befürchten sozialen Druck auf Betagte und Schwerstkranke. Sie wollen die bestehenden legalen Möglichkeiten der Hilfe am Ende des Lebens, wie sie das ärztliche Standesrecht regelt, erhalten.
Eine vierte Position wird weitgehend von Grünen-Abgeordneten vertreten. Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe wollen die Beihilfe nicht nur für Angehörige, sondern auch für nahestehende Menschen straflos lassen. Dazu sollen auch Ärzte zählen, falls sie in einem engen Vertrauens- und Fürsorgeverhältnis zum Patienten stehen. Sie plädieren für ein strafrechtliches Verbot von „geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe wie auch der öffentlichen Werbung dafür“.
Künast sieht grundsätzlich keinen rechtlichen Änderungsbedarf
Ein fünftes Konzept kommt von der Grünen-Abgeordnete Renate Künast. Sie sieht grundsätzlich keinen rechtlichen Änderungsbedarf. Auch Sterbehilfevereine will sie nicht gänzlich verbieten, sondern nur streng regulieren. Lediglich kommerziell arbeitende Sterbehilfevereine sollen nach ihrer Ansicht verboten werden.
„Die Diskussion der Abgeordneten über eine mögliche Neureglung der Sterbehilfe ist hervorragend“, sagte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, am Rande der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Er begrüßte, dass sich bereits zwei deutliche Bekenntnisse abzeichneten: Zum einen der ausdrückliche Vorsatz, die Palliativmedizin in Deutschland zu stärken, und zum anderen ein breiter Konsens zum Verbot der gewerbsmäßigen und organisierten Sterbehilfe durch Vereine. Den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe für eine bessere Finanzierung palliativmedizinischer Angebote wertete Montgomery zudem als einen „wichtigen Schritt“.
Mehrheit des Deutschen Ärztetages gegen jegliche Form einer gesetzlichen Zulassung des ärztlich assistierten Suizids
„Allerdings sehe ich einen Irrtum in der Interpretation des ärztlichen Standesrechts“, sagte Montgomery. Wenn ein Arzt beispielsweise sedierende Medikamente verabreiche, gehe es um einen Zielwechsel in der Therapie, nicht um Beihilfe zum Suizid. Erneut stellte er klar, dass er und die Mehrheit des Deutschen Ärztetages jegliche Form einer gesetzlichen Zulassung des ärztlich assistierten Suizids ablehne. Dabei verwies er auf die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer, die festhält, dass „Ärztinnen und Ärzte ... Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen haben. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“
In den Berufsordnungen einiger Landesärztekammern sei zwar das Wort „dürfen“ durch „sollen“ ersetzt, räumte der Präsident ein. „Bundesweit ist jedoch klar in den Berufsordnungen verankert, dass sich ein Arzt für den Erhalt des Lebens einsetzen muss“, betonte er. „Das Berufsethos verpflichtet den Arzt, Hilfe zum Leben zu leisten, nicht Hilfe zum Sterben."
Derzeit sind in Deutschland die aktive Sterbehilfe und die Tötung auf Verlangen verboten. Das Spritzen einer tödlichen Dosis gilt als Totschlag. Auch die Tötung auf Verlangen wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Nicht strafbar ist dagegen bislang die Beihilfe zum Suizid. Dazu zählt der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bei einer tödlich verlaufenden Erkrankung. Dieses bewusste Sterbenlassen ist in Deutschland zulässig, wenn dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies in einem Grundsatzurteil im Jahr 2010.
Darüber und über die Themen Palliativversorgung und Sterbehilfe fühlen sich drei Viertel der Deutschen nicht ausreichend informiert. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Stiftung Zentrum für Qualität und Pflege, die gestern veröffentlicht wurde. Dennoch sprechen sich 77 Prozent grundsätzlich für das Recht auf Beihilfe zum Suizid für unheilbar kranken Menschen aus.
Dabei haben 36 Prozent jedoch die Sorge, dass sich schwerkranke oder pflegebedürftige Menschen durch ein Recht auf Suizidbeihilfe gedrängt fühlen könnten, dies auch in Anspruch zu nehmen. Auch sind 74 Prozent der Meinung, dass Mediziner aus ihrem freien Gewissen heraus und ohne Zwang entscheiden sollten, ob sie sich für eine Beihilfe zur Selbsttötung zur Verfügung stellen.
Trotz Informationsmangel glauben zudem rund zwei Drittel, dass der Sterbewunsch eines leidenden Menschen durch eine gute palliative Versorgung gemindert werden kann. Über die Zahl der palliativmedizinischen Einrichtungen gibt es jedoch widersprüchliche Statistiken:
In der Hospizbewegung engagieren sich mehr als 100.000 ehrenamtliche Helfer
Nach Angaben des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands gibt es derzeit in Deutschland rund 1.500 ambulante Hospizdienste, über 200 stationäre Hospize und mehr als 250 Palliativstationen in Krankenhäusern. Die Zahl der Teams für Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung, die Sterbenden zu Hause in schwersten Versorgungssituationen beistehen sollen, sei auf 273 gewachsen. Notwendig wären in Deutschland nach Schätzungen des PalliativVerbandes 330 Teams. In der Hospizbewegung engagieren sich den Angaben zufolge bundesweit 100.000 ehrenamtliche Helfer.
Nach Angaben der Krankenkassen wurden allerdings 2012 lediglich 803 ambulante Hospizdienste bundesweit gefördert. Die Zahl ihrer Ehrenamtlichen wird vom Spitzenverband GKV mit rund 30.000 angegeben. Die Zahl der SAPV-Verträge bezifferten die Kassen für 2011 mit 159. Die Bundesregierung geht von 231 Palliativstationen im Jahr 2011 aus.
Kirchen forden Ausbau der Palliativmedizin
Anlässlich der Bundestagsdebatte bekräftigten auch die evangelische und die katholische Kirche ihre Forderungen nach einem Ausbau der Sterbebegleitung. Die Ablehnung aktiver Sterbehilfe müsse einhergehen mit einem flächendeckenden Ausbau von palliativer und Hospiz-Versorgung, sagte der scheidende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, regte ein Aktionsbündnis beider Kirchen zum Ausbau der Sterbebegleitung an.
Lammert kündigte heute im Bundestag für Anfang nächsten Jahres eine weitere Plenardebatte an, bei der die Gesetzentwürfe konkret vorgestellt werden sollen. Diese würden dann in den Fachausschüssen des Parlaments weiter beraten, bevor es eine zweite und dritte Lesung und eine Entscheidung im Sommer 2015 geben werde.
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