Medizin

Adipositas als Hemmschuh der Fertilität

  • Freitag, 13. Juni 2025
/kaew6566, stock.adobe.com
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Frankfurt am Main – Je mehr Kilos Frau oder Mann auf die Waage bringen, desto unwahrscheinlicher wird es für sie, Nachwuchs zeugen zu können, betonte Nikhil Purandare, Leiter einer Fertilitäts- und Pränatalklinik im irischen Galway, auf dem European Congress of Obstetrics and Gynaecology, (EBCOG) in Frankfurt am Main.

Purandare ist Mitautor eines einschlägigen Reviews (Int J Gynaecol Obstet. 2023; DOI: 10.1002/ijgo.14538) von der FIGO, der International Federation of Gynecology and Obstetrics. Aus diesem geht hervor, wie welche Bedeutung inzwischen einem erhöhten Körpergewicht im Zusammenhang mit einer verminderten Fruchtbarkeit zukommt.

Schon länger ist bekannt, dass der unerfüllte Kinderwunsch überdurchschnittlich häufig mit einem höheren Body-Mass-Index (BMI) vergesellschaftet ist. Rund jede 5. infertile Patientin hat einen BMI außerhalb der Norm. Inzwischen kann man den Einfluss des erhöhten Körpergewichtes sogar recht gut beziffern. Übergewichtige und adipöse Frauen sind rund dreifach häufiger unfruchtbar.

Auch wenn eine Frau nicht vollkommen unfruchtbar, aber doch verringert fruchtbar, also subfertil ist, lässt sich der ungünstige Einfluss eines zu hohen BMI nachweisen. Aus einer dänischen Studie geht hervor, dass die Wahrscheinlichkeit einer Subfertilität bei übergewichtigen Frauen um 27 % höher liegt, bei adipösen sogar um 78 %. Oder, wie es eine weitere Übersichtsarbeit (Open Access Library J. 2022; DOI: 10.4236/oalib.1108817) vorrechnet: Mit jeder weiteren BMI-Einheit über 29 kg/m2 fällt die Chance, spontan schwanger zu werden, um 5 %.

Zu den Hauptursachen für die Beeinträchtigung der Fertilität zähle die verringerte Ovulationsrate bei adipösen Frauen, betonte der irische Gynäkologe in seinem Vortrag. Das liege nicht nur daran, dass Übergewicht häufig mit einem Polyzystischen Ovar-Syndrom (PCOS) einhergeht, welches per se schon die Verwirklichung des Kinderwunsches erschwert.

Auch ohne PCOS sind bei übergewichtigen Frauen anovulatorische Zyklen 1,8-fach häufiger. Die Inzidenz anovulatorischer Zyklen erhöht sich zudem von 2,6 % auf 8,4 %, wenn der Anteil des Übergewichtes von 20 % des Körpergewichtes auf mehr als 74 % ansteigt.

Adipositas mindert den Erfolg der künstlichen Befruchtung

Das liege nicht zuletzt am Metabolismus des Fettgewebes, erläuterte Purandare. Im Fettgewebe wird insbesondere die Zytokinklasse der Adipokine produziert, wozu unter anderem Leptin, Ghrelin, Resistin, Visfatin, Chemerin, Omentin und Adiponektin zählen.

Diese endokrin aktiven Proteine sind an der Regulation von Energiehaushalt, Insulinsensitivität und Entzündungsreaktionen beteiligt, ein Ungleichgewicht könne sich negativ auf die Fertilität auswirken.

Beispielsweise gibt es Adiponektin-Rezeptoren an reproduktiven Organen und Strukturen, insbesondere den Ovarien, dem Endometrium und der Plazenta – deren Reduktion mit wiederholtem Implantationsversagen assoziiert ist, hieß es im Vortrag.

Außerdem nehmen Fettsäuren wie die Öl- oder Oleinsäure, die auch als Omega-9-Fettsäure bezeichnet wird, sowie die gesättigte Stearinsäure Einfluss auf die Fertilität.

Der Reproduktionsmediziner erklärte, dass die Follikelflüssigkeit bei Frauen mit hohem BMI auch hohe Konzentrationen der Oleinsäure enthielte und dies zu einer embryonalen Fragmentation führen könne. Ähnlich verhalte es sich mit der Stearinsäure, die die Entwicklung des Embryos im Blastomerstadium beeinträchtigen könne.

Diese Beobachtungen erklären wiederum, warum bei übergewichtigen Frauen, die ohnehin weniger Chancen haben, ihren Kinderwunsch spontan zu erfüllen, überdies eine assistierte Reproduktion (ART) etwa durch Hormongaben oder durch eine In-vitro-Fertilisation weniger effektiv ist.

Purandare verwies auf Reviews und Metaanalysen, wonach jede zusätzliche BMI-Einheit die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Embryo nach einer Laborzeugung erfolgreich in der Gebärmutter einnistet, um 2,2 % bis 4,3 % verringere.

Möchte man nach Stimulation der Ovarien für die Laborzeugung Eier gewinnen (Oozyten-Pickup), so gestaltet sich der Zugang bei dieser Prozedur bei adipösen Frauen vielfach komplizierter als in den Fällen, in denen Frauen einen BMI < 25 kg/m2 aufweisen (28,9 % versus 5,2 %). Zudem bleibt der Oozyten-Pickup deutlich öfter unvollständig – was bedeutet, dass man nur unzureichend Eizellmaterial für eine künstliche Befruchtung gewinnen konnte.

Außerdem ist die Überlebensrate der befruchteten und implantierten Embryonen geringer: Denn die Lebendgeburtenrate nach Kinderwunschbehandlung ist bei übergewichtigen und adipösen Frauen im Vergleich zum Kollektiv derer bei einem Norm-BMI noch einmal stärker reduziert. Zudem ist die Fehlgeburtsrate von adipösen Schwangeren mit 38,1 % auch ohne ART bereits deutlich höher als eine von 13,3 % bei einem normalen BMI.

Adipositas bei Männern und das Alter sind mit schuld

Nicht zuletzt gebe es zunehmend Erkenntnisse darüber, dass auch Männer zur steigenden Infertilität beitrügen. Purandare zitierte das Fazit aus 30 Studien mit 115.158 Teilnehmern, wonach adipöse Männer mit erhöhter Unfruchtbarkeit rechnen müssen und geringere Chancen aufweisen, dass die mit ihrem Samen gezeugten Kinder im Rahmen eines ART-Zyklus auch lebend geboren werden.

Eine große Zahl der untersuchten Männer in diesen Studien wiesen Abnormalitäten der Spermien auf. Oder man findet eine verringerte Zahl an Spermien bis hin zur Azoospermie in den Samenspenden der adipösen Männer. Eine der Erklärungen sei die vermehrte Konversion von Androgenen in Östrogene bei adipösen Männern plus geringere Mengen an zirkulierendem Testosteron, schilderte der irische Experte.

Adipositastherapie ist infolgedessen auch ein Teil der Kinderwunschtherapie. Denn eine Gewichtsabnahme ist offenbar im Hinblick auf den Kinderwunsch erfolgversprechend.

So verweist der FIGO-Review auf eine – wenn auch kleine – Studie mit 43 männlichen Teilnehmern, derzufolge ein Gewichtsverlust von 15 % die Spermaparameter verbessert. Noch günstigere Effekte zeigen sich bei Frauen: Hier kann schon eine Verringerung von 5 % des Körpergewichtes genügen, um die Ovulationsrate, den Zyklusverlauf und die Schwangerschaftsraten zu verbessern.

Und schließlich mahnte der Reproduktionsmediziner an, dass das Alter bei der Nachwuchsplanung eine erhebliche Rolle spiele. Denn alle reproduktiven Nachteile – auch die des erhöhten Körpergewichtes – wirken sich bei Frauen jenseits der 35 noch einmal deutlich stärker aus als bei noch jüngeren.

Um zu verstehen, was Alter in Sachen Fertilität ausmacht, zeigte Purandare die Resultate einer vielzitieren Computersimulation (Hum Reprod. 2015; DOI: 10.1093/humrep/dev148) in einer Kohorte von 10.000 Paaren.

Um eine Chance von mindestens 90 % auf eine Ein-Kind-Familie zu realisieren und notfalls eine künstliche Befruchtung auch in Betracht zu ziehen, sollten die Partner spätestens im Alter von 35 Jahren begonnen haben, den Kinderwunsch umzusetzen. Wolle man 2 Kinder, müsse man den Startpunkt schon vor das 31. Lebensjahr verlegt haben; bei 3 sei die Obergrenze noch tiefer auf 28 Jahre zu verlegen.

Wer jedoch keinesfalls eine In-vitro-Fertilisation als Unterstützung akzeptiere und nur natürlich Nachwuchs zeugen wolle, der sollte beim Wunsch nach einem einzigen Kind nicht später als mit 32 diesen verwirklichen. Sollten es 2 Geschwister werden, dann müsse man schon mit 27 so weit sein. Strebe man schließlich mindestens 3 Kinder an, dann dürfe man die Realisierung des Kinderwunsches nicht weiter als bis zum 23. Lebensjahr hinausschieben.

mls

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