Medizin

Anhaltend hohe Zahl von HIV-Infektionen

  • Montag, 14. November 2016
Uploaded: 04.03.2013 14:58:32 by mis
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Hi-Viren /pa

Berlin – In Deutschland haben sich im letzten Jahr schätzungsweise 3.200 Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Zwei Drittel der Infektionen entfielen auf Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Doch auch heterosexuelle Männer und Frauen können sich infizieren. Hier ist es ebenso wie bei intravenösen Drogenkonsumenten zuletzt zu einem Anstieg der Neuinfektionen gekommen. Dies geht aus einem Bericht im Epidemiologischen Bulletin (2016; doi: 10.17886/EpiBull-2016-066) hervor.

Wie viele Menschen in Deutschland mit HIV infiziert sind und wie viele sich im letzten Jahr angesteckt haben, ist nicht genau bekannt, da es kein regelmäßiges Screening gibt. Das Robert Koch-Institut (RKI) ist auf mathematische Modellrechnungen angewiesen, die es aber seit einigen Jahren in gleicher Weise anwendet. Deshalb dürften, wenn schon die Zahl nicht genau bekannt ist, die Trends stimmen. Der Trend geht seit einigen Jahren, wenn auch langsam, nach oben.

Im letzten Jahr kam es zu 3.200 Neuinfektionen (95-Prozent-Konfidenzintervall 3.000 bis 3.400). Darunter waren 2.200 (68,8 Prozent) MSM sowie 420 Frauen (13,1 Prozent) und 310 Männer (9,7 Prozent), die sich auf heterosexuellem Weg in Deutschland infiziert haben. Darüber hinaus haben sich etwa 250 (7,8 Prozent) Personen beim intravenösen Drogenkonsum infiziert.

Bei den MSM haben sich die Neuinfektionen nach einem Anstieg zwischen 1999 und 2006 stabilisiert. Derzeit registrierte das RKI sogar einen leichten Rückgang. Dies könnte auf die intensive Aufklärung und ein zunehmendes Risikobewusstsein hinweisen. Das RKI befürchtet aber, dass sich die Situation infolge der Ausweitung der Kontakt­möglichkeiten, die sich durch Smartphone-Apps und andere Kommunikationsmedien ergeben, jederzeit wieder ändern könnte. Die Epidemie könnte sich dank der einfacheren Kommunikation zunehmend von den Städten auf ländliche Regionen ausweiten.

Neben MSM kommen auch bisexuelle Männer als Überträger infrage. Die Infektion von bisexuellen Männern könnte laut dem Bericht ein Grund für die langsam ansteigenden Zahlen bei heterosexuellen Frauen sein. Diese wüssten häufig nicht, dass ihr Partner bisexuell ist. Auch viele Ärzte würden bei Frauen zögern, einen HIV-Test zu veranlassen, selbst wenn sich diese mit HIV-Indikator-Erkrankungen bei ihnen vorstellen.

Ein gewisses Risiko von sexuellen Männern und Frauen besteht bei ungeschützten Sexualkontakten in Osteuropa. Dort haben in den letzten Jahren heterosexuelle Übertragungen deutlich zugenommen. Auch Migranten aus Hochendemie-Ländern südlich der Sahara, die in den letzten Jahren vermehrt nach Deutschland eingereist sind, können natürlich infiziert sein. Das RKI hält allerdings eine Routinetestung von Asylbewerbern bei Erstaufnahme-Untersuchungen, wie sie in Bayern häufig durchgeführt werden, nicht für zielführend, da eine kultursensible Beratung und geordnete Befundübermittlung und -mitteilung oft nicht gewährleistet seien. 

Warum die Neuinfektionen bei den intravenösen Drogenkonsumenten ansteigen, ist nicht genau bekannt. In früheren Jahren hatte es hier einen Rückgang gegeben. Er wurde auf die Ausweitung der Substitutionstherapie und die Entkriminalisierung des Gebrauchs zurückgeführt. Diese Angebote gibt es vielen Ländern Ost- und Südeuropas nicht. In einigen Ländern (Griechenland, Bulgarien, Rumänien) sei es in den letzten Jahren zum Teil zu erheblichen Zunahmen von HIV-Neuinfektionen gekommen, warnt das RKI. Die Infektion von intravenös Drogenabhängigen erfolgt nicht nur über kontaminierte Spritzen, auch sexuelle Kontakte kommen in dieser Gruppe als Übertragungsweg infrage.

Da jeder ungeschützte Sexualkontakt zu einer Infektion führen kann, rät das RKI zur Benutzung von Kondomen, wenn der HIV-Status des Sexualpartners nicht bekannt ist. Safer Sex bleibt für das RKI Grundpfeiler für die Prävention von HIV, aber auch von anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen. Nach einem ungeschützten Risikokontakt sollte Mann oder Frau möglichst bald den HIV-Status prüfen lassen. Dies ist nicht nur wichtig, um rechtzeitig mit der Therapie beginnen zu können. Die fehlende Kenntnis des HIV-Status ist auch ein wesentlicher Grund für die Ausbreitung der Infektion.

Das RKI schätzt, dass von schätzungsweise 84.700 HIV-Infizierten in Deutschland 12.600 nichts von ihrer Infektion wissen. Von den 72.100 Personen mit bekannter Infektion würden derzeit nur 60.700 behandelt. Daraus lässt sich ab­leiten, dass circa 11.400 HIV-Infizierte zwar von ihrer Infektion wissen, aber keine Medi­kamente nehmen. Die Leitlinien empfehlen heute bei jeder bekannten Infektion eine antiretrovirale Behandlung. Sie wird ebenso wie die vorsorgliche Behandlung von Risiko-Personen (Präexpositionsprophylaxe) als wichtiges Instrument zur Eindämmung der Epidemie angesehen.

Das RKI wünscht sich vor allem von niedergelassenen Ärzten, dass diese offensiver als bisher Tests auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen anbieten. Dies sollte regelmäßig im Rahmen der STI/STD–Beratung geschehen. Im Prinzip würden es die RKI-Autoren wohl begrüßen, wenn in Deutschland ein Test ohne Arztbesuch möglich wäre. In Ländern, wo – beispielsweise für MSM – solche Alternativangebote gemacht werden, würden sie auch rege in Anspruch genommen. In Deutschland ist dies nicht erlaubt und arztrechtlich problematisch.

rme

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