Bundesfamilienministerium legt Strategie gegen Einsamkeit vor

Berlin – Einsamkeit kann, insbesondere wenn sie chronisch wird oder über einen längeren Zeitraum andauert, vielfältige negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben, ebenso auf die soziale Teilhabe und damit auf das gesellschaftliche Miteinander.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) haben deshalb heute in einer Online-Arbeitstagung ein Diskussionspapier vorgestellt: eine Strategie gegen Einsamkeit.
„Das Thema Einsamkeit gibt es in allen Altersgruppen. Wir sind in Gefahr, Menschen zurückzulassen, und das darf nicht sein. Wir müssen uns auch fragen, wohin sich unser gesellschaftlicher Zusammenhalt entwickelt“, sagte Andreas Schulze, Leiter der Abteilung 3 „Demografischer Wandel, Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege“ beim BMFSFJ.
Ältere und hochaltrige Menschen waren den Experten des Diskussionspapiers zufolge vor der Coronapandemie besonders von Einsamkeit betroffen. Im Zuge der Auswirkungen der Pandemie kam es zu einer Umkehr: Während der Pandemie waren eher jüngere Menschen (unter 30 Jahren) vermehrt von Einsamkeit betroffen, wohingegen ältere Menschen, im Vergleich zu anderen Altersgruppen, sich am seltensten einsam fühlten.
„In der Forschung liegt der Fokus auf dem hohen Alter, weniger bekannt ist über Wirksamkeit von Interventionen gegen Einsamkeit bei jungen Menschen“, berichtete Susanne Bücker, Psychologisches Institut der Sporthochschule Köln. Wenig Wissen gebe es auch darüber, wie man psychisch kranke Menschen und Geflüchtete aus der Einsamkeit holen könne. Hier sieht sie Nachholbedarf.
Zusammenhang zwischen Armut und Einsamkeit
Der Expertise zufolge sind Menschen in vulnerablen Lebenssituationen einem erhöhten Risiko für Einsamkeit ausgesetzt. Dazu zählen Geflüchtete, queere Personen, Alleinerziehende, pflegende Angehörige und Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen sowie Schwerstkranke in der letzten Lebensphase und ihre Angehörigen. Auch kann demnach ein deutlicher Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Armut festgestellt werden.
„Psychologische Interventionen zeigen die größten Effekte gegen Einsamkeit, gefolgt von Konzepten mit sozialer Unterstützung. Zwischen den beiden gibt es keine eindeutige Überlegenheit“, berichtete Psychologin Bücker. Häufig liege der Fokus dabei auf technologiefokussierten Interventionen. Dies sei jedoch für Menschen im hohen Lebensalter kritisch zu betrachten. Und auch bei jüngeren Menschen würden digitale Interventionen auch nur etwas bewirken, wenn sie in persönliche Begegnungen mit Menschen mündeten.
Funktionierende Vereinsstruktur wirkt positiv
Die internationale Perspektive brachte Claus Wendt, Universität Siegen, in die Diskussion ein. „In gut funktionierenden Wohlfahrtsstaaten kann besser gegen Einsamkeit geschützt werden als in anderen, sagte er. Länder, die eine Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen anböten, schützten Alleinerziehende zudem deutlich besser vor Einsamkeit, weil es ihnen eine Berufstätigkeit ermögliche. Darüber hinaus haben nach Wendts Expertise Länder mit einer funktionierenden Vereinsstruktur deutlich bessere Werte.
„Vereine bringen Menschen zusammen. Deutschland hat sehr gute verästelte Vereinsstrukturen, das ist ein Schatz“, betonte Schulze vom BMFSFJ. Die Niedrigschwelligkeit der Angebote sei dabei sehr wichtig. Er zeigt sich sehr erfreut über die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund.
Bücker betonte, dass ein breites Angebotsspektrum wichtig sei, ebenso wie eine bessere Bekanntheit der Angebote. „Einsame Menschen wissen oft nicht, wohin sie sich wenden sollen und auch der erste Schritt ist oftmals schwierig“, sagte sie.
Bei allen Angeboten sei es wichtig, nicht nur auf Ältere zu fokussieren, man dürfe die Jüngeren nicht außer Acht lassen. Notwendig sind ihrer Ansicht nach vor allem auch langfristige Angebote: Projekte gegen Einsamkeit müssten durch Verstetigung durch ausreichende Förderung sichergestellt werden. „Menschen brauchen Sicherheit“, betonte sie.
Der Soziologe Wendt betonte, dass es gerade bei Interventionen für junge Menschen wichtig sei, mehr professionelle Kräfte miteinzubeziehen, wie Sportlehrer oder Sozialarbeiter. Die Frage sei zudem wie bestehende Strukturen von Sport- oder anderen Vereinen, das Gesundheits- und das Pflegesystem miteinander vernetzt werden könnten. Beispielsweise gehe in der Pflege der Trend auch international immer mehr hin zu häuslicher Pflege. Um Einsamkeit der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen vorzubeugen, müsse die Infrastruktur in der Nachbarschaft angepasst werden.
Soziale Aktivitäten verschreiben
Als einen weiteren guten Baustein einer Strategie gegen Einsamkeit nannte Wendt „social prescribing“, das in Großbritannien vielfach zum Einsatz kommt. Hausärzte verschreiben dabei vor allem älteren Betroffenen soziale Aktivitäten, wie Tanzen, Vereine, Chor und vieles mehr. Menschen können diese Angebote dann kostenfrei nutzen. Wendt betonte allerdings, dass nur Menschen, die bereits früher entsprechend aktiv waren, dies auch dauerhaft durchhielten.
Mit der Arbeitstagung solle die Diskussion zu den Inhalten einer Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit gefördert werden, betonte Herlind Megges vom BMFSFJ. Das Diskussionspapier sei als Entwurf noch nicht mit anderen Bundesministerien abgestimmt. Diese sei der nächste Schritt.
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