Die Cholera verwandelte Hamburg vor 125 Jahren in eine Todeszone

Berlin/Hamburg – Am Hafen fing es an und breitete sich über die ganze Stadt aus. Vor 125 Jahren brachte die Cholera Unheil über Hamburg. Die Regierung verschloss die Augen vor der Katastrophe. Die Ärzteschaft hatte noch im August kurz vor dem Ausbruch davor gewarnt, sich in Sicherheit zu wiegen.
„Wol ist in unseren sanitären Einrichtungen manches verbessert worden, wol glauben wir nach dem Auffinden des Erregers der Krankheit besser zur Abwehr gerüstet zu sein, – dennoch wäre es thöricht, sich in Sicherheit zu wiegen und etwa zu glauben, dass die Beaufsichtigung der Verkehrswege zu Land und zu Wasser ihre Invasion zu verhindern vermöge“, heißt es in der August-Ausgabe 1892 des Deutschen Ärzteblattes (damals Aerztliches Vereinsblatt). Immerhin habe „der Schrecken, den ihr unheimliches Auftreten erweckt“ habe, „die Behörden und Gemeindeverwaltungen vielfach aufgerüttelt, schädliche Einrichtungen zu beseitigen und nützliche zu fördern“.
Im Gegensatz zur Russland, wo Ärzte als Verbreiter der Seuche verfolgt würden, lerne man in Deutschland die Hilfe der Ärzte in der Not zu schätzen. „Es wenden sich die Staatsbeamten nicht allein an die Medicinalbeamten, sondern an alle Aerzte mit der Bitte, in dem Kampf gegen die Cholera ihr zur Seite zu stehen“, schreibt das Blatt weiter. Man hoffe und wünsche, dass man nicht nur die Dienste erheische, sondern „auch in Gesetzgebung und Verwaltung unsere Stimmen höre, billige Rücksicht auf uns nehme, was leider selten geschieht (Krankencassengesetz, Curpfuscherei etc.)“.
Kurz darauf brach die Cholera in Hamburg aus. Am 16. August vor 125 Jahren – ein warmer Sommer – fiel ein Hafenarbeiter der Krankheit zum Opfer. Eine Woche später waren 200 Hamburger tot und der Senat zögerte aus Angst vor wirtschaftlichen Folgen, die Epidemie offiziell zu bestätigen.
Bis heute kann das Bakterium einem Todesfluch gleichen. In der Krisenregion Jemen sind heute UN-Schätzungen zufolge mehr als 500.000 Menschen an dem Bakterium „Vibrio cholerae“ erkrankt, fast 2.000 Menschen sind gestorben. Der Erreger wird, wie der Mikrobiologe Robert Koch 1883 feststellte, vorrangig über Trinkwasser oder verunreinigte Lebensmittel übertragen. Schützen kann sich nur, wer das Wasser abkocht oder mit Chlor, Lysol oder Karbol desinfiziert.

Die überwiegende Mehrheit der Toten von Hamburg waren ärmere Bewohner. Zwar hatten dort Ende des 19. Jahrhunderts die meisten bereits einen Wasseranschluss in nächster Nähe, aber während in Altona das Wasser ausreichend gefiltert wurde, war die Filteranlage in Rothenburgsort unzureichend, das Wasser verunreinigt. Auch griffen in den Hafenvierteln viele noch direkt auf das Elbewasser zurück.
Mehrere Tage scheute der Hamburger Senat davor zurück, den Erkrankungen auf den Grund zu gehen. Der florierende Seehandel und die Schifffahrt schienen bedroht. Als der Senat offiziell den Ausbruch bekanntgab, beschränkten zahlreiche Regierungen Europas die Einfuhr von Hamburger Schiffen – Tausende Mitarbeiter der großen Reedereien wurden entlassen.

Dem Mikrobiologen Robert Koch, der als Experte von Berlin nach Hamburg reiste, bot sich ein Bild des Grauens. „Überall Menschen, die noch wenige Stunden vorher vor Gesundheit strotzend lebensfroh in den Tag hinein gelebt hatten, und nun in langen Reihen dalagen“, schrieb der Forscher an seine Lebensgefährtin. Die Umstände in den Hafenvierteln seien „Brutstätten für jeden Ansteckungskeim“. Koch nahm sofort das Trinkwasser als Infektionsquelle ins Visier und verordnete dem skeptischen Senat eine Aufklärungs- und Desinfektionskampagne. Eine spätere Folge war die Gründung des Hamburger Hygieneinstituts.
Doch die ärmere Bevölkerung konnte sich Maßnahmen wie das Abkochen von Wasser oft nicht leisten. Auch das Obst wurde ihnen zum Verhängnis. Da die gehobeneren Schichten zum Selbstschutz kein Obst oder Gemüse mehr aßen, fielen die Preise. Plötzlich waren Obstsorten erschwinglich, die sich ein Hafenmitarbeiter zuvor nie leisten konnte. Die langersehnte Pflaume glich Gift.
Bereits Ende August waren dem damaligen Deutschen Ärzteblatt (September-Ausgabe 1892) zufolge mehr als 7.000 Erkrankungen an Cholera gemeldet und 3.000 Menschen gestorben. Bis zum 10. September seien 13.000 Erkrankte gemeldet worden, fast 6.000 Menschen seien gestorben. In Hamburg sei die Cholera „plötzlich mit ungewohnter Heftigkeit hereingebrochen“, schreibt das Blatt damals. Andere Quellen sprechen davon, dass der Epidemie fast 17.000 Menschen erkrankten und mehr als 8.600 starben.
In der Regel bricht die Cholera – schwere Durchfälle mit massivem Flüssigkeitsverlust – binnen zwei bis drei Tagen aus. Ist die Infektionsdosis hoch, kann es nach Stunden zum Krankheitsausbruch kommen. Bei einem schweren Verlauf verliert der Patient bis zu 20 Liter Flüssigkeit am Tag.

Unbehandelt sterben 60 Prozent der Infizierten, bei Kindern und Älteren bis zu 90 Prozent – die Nieren versagen und der Kreislauf kollabiert. Das einzige Gegenmittel ist eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Salzen. Doch in Hamburg wurde noch „purgiert“. Mit Abführmittel sollte der Körper entgiftet werden. Die Therapie beschleunigte das Sterben.
Ursprünglich trat der Cholera-Erreger im indischen Ganges-Delta auf und breitete sich im 19. und 20. Jahrhundert in einigen Wellen auf mehrere Kontinente aus. Bei der Hamburger Epidemie war der Keim mutmaßlich über russische Immigranten, die sich auf den Weg in die USA machen wollten, in die Stadt gekommen. 1892 warteten rund 5.000 russische Auswanderer auf die Reise in die „Neue Welt“ – mit ihnen der tödliche Keim.
Vor allem wenn die Abwasserentsorgung schlecht ist, steigt das Risiko einer Cholera-Epidemie auch heute noch drastisch. Kommen Wassermangel und Unterernährung infolge von Konflikten wie im Jemen hinzu, ist der Keim tödlich wie vor 125 Jahren.
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