Coronavirus: Erste importierte Infektion außerhalb von Asien

Peking/Atlanta/Genf/Berlin – Mit der ersten importierten Erkrankung in den USA ist die Sorge vor einer massiven internationalen Ausbreitung des Coronavirus 2019-nCoV gestiegen. Ob es zu einer globalen Epidemie kommt, hängt im Wesentlichen von der Basisreproduktionszahl R0 und dem Auftreten von „super-spreading events“ ab, die die Ausbrüche von SARS-CoV und MERS-CoV getragen haben.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird im Verlauf des Tages darüber entscheiden, ob ein „Public Health Emergency of International Concern" (PHEIC) vorliegt, die höchste Alarmstufe.
In China ist es nach den jüngsten Meldungen in 13 chinesischen Provinzen zu 473 Erkrankungen gekommen mit bislang 17 Todesfällen. Außerhalb von China sind 3 Fälle in Thailand und je einer in Südkorea, Japan, Taiwan und den USA aufgetreten. Alle Erkrankungen außerhalb von China sind importierte Erkrankungen.
Übertragungen von Mensch zu Mensch sind offenbar bisher nur in Wuhan aufgetreten, wo sich an einer Klinik gleich 15 Personen des medizinischen Personals infiziert haben sollen. Nach den Angaben der chinesischen Behörden soll es auch vereinzelt Übertragungen innerhalb der Familien von Infizierten gegeben haben.
Das Risiko einer Ausbreitung dürfte, wenn den Angaben aus China zu trauen ist, insgesamt gering sein. Von den 988 engen Kontakten, die unter medizinischer Beobachtung standen, konnten bis zum 20. Januar 739 entlassen werden, die anderen 249 befanden sich noch unter ärztlicher Beobachtung. Von Infektionen in dieser Gruppe wird nicht berichtet.
Der US-Patient, ein Mann in den 30ern aus der Region von Seattle, soll nicht ernsthaft erkrankt sein. Er soll sich bei den Behörden gemeldet haben, nachdem er online von der Epidemie in Wuhan erfahren hat, von wo aus er in die USA eingereist ist. Er befindet sich derzeit zur Beobachtung in einer Klinik in Everett im Bundesstaat Washington.
In Europa könnten die ersten Erkrankten nach Einschätzung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) über die Flughäfen in Paris, London oder Rom eintreffen, die mehrmals die Woche Direktverbindungen nach Wuhan haben. Möglich ist natürlich auch, dass die erkrankten Passagiere Anschlussflüge etwa nach Deutschland gebucht haben.
Dass sich 2019-nCoV weltweit ausbreitet, kann nicht ausgeschlossen werden, wie die Erfahrungen mit den beiden anderen Coronaviren zeigen. Das SARS-CoV konnte sich 2002/2003 in 37 Länder ausbreiten mit mehr als 8.000 Erkrankungen und fast 800 Todesfällen.
Das MERS-CoV erreichte seit 2012 27 Länder mit 2.494 dokumentierten Erkrankungen und 858 Todesfällen. Dem SARS-CoV wurde zum Verhängnis, dass fast alle Erkrankungen symptomatisch verlaufen, was eine medizinische Kontrolle der Ausbreitung erleichtert.
Seit längerem hat es keine neuen Erkrankungen gegeben. Infektionen mit MERS-CoV verlaufen vermutlich meist asymptomatisch. Dies gilt auch für 4 weitere bekannte Coronaviren (OC43, 229E, NL63 und HKU1), die im subtropischen Süden Chinas endemisch sind. Dort erkranken vor allem Kinder an Atemwegssymptomen (European Journal of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (2018; 37: 363–369).
SARS-CoV und MERS-CoV haben eine niedrige Basisreproduktionszahl R0. Sie gibt die Zahl der Menschen an, die ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Bei SARS-CoV lag R0 zu Beginn in Hongkong bei 1,70, für MERS-CoV wird ein R0-Wert von unter 1 angegeben, der eine Ausbreitung praktisch ausschließt. Bei Masern, eine der ansteckendsten Erkrankungen, liegt der R0-Wert bei 15 bis 18. Zum R0-Wert von 2019-nCoV gibt es noch keine offiziellen Schätzungen.
Die Epidemien von SARS-CoV und MERS-CoV wurden vor allem von „superspreading events“ (SSE) angetrieben, bei denen ein einzelner Erkrankter gleich mehrere Personen infizierte. Solche SSE wurden für SARS-CoV in Hongkong, Taipeh, Singapur und Toronto beobachtet und für MERS-CoV in Jeddah und Seoul. Ob auch 2019-nCoV zu SSE in der Lage ist, ist nicht bekannt. Der Bericht von 15 Erkrankungen beim Gesundheitspersonal einer Klinik in Wuhan deutet allerdings darauf hin.
Zwei Gruppen haben in den vergangenen Tagen Prognosen für den weiteren Verlauf gewagt. Natsuko Imai vom Imperial College London und Mitarbeiter schätzen, dass bis zum 18. Januar etwa 4.000 Menschen in Wuhan erkrankt sind (95-%-Konfidenzintervall 1.000 bis 9.700).
Kathy Leung von der Universität Hongkong und Mitarbeiter gehen von 1.343 Fällen (95-%-Konfidenzintervall 547 bis 3.446) bis zum 17. Januar aus. Die chinesischen Forscher stufen die Gefahr, dass es mit dem Frühlingsfest zu einer weiteren Ausbreitung kommt, übrigens als gering ein. Rund um das Fest sind jedes Jahr Millionen Chinesen per Zug, Bus oder Flugzeug im Land unterwegs.
Ob die WHO im Verlauf des Tages eine „Public Health Emergency of International Concern" (PHEIC) feststellen wird, bleibt abzuwarten. Eine Ausbreitung von Mensch zu Mensch scheint gesichert, doch welche Dynamik die Epidemie erreicht, ist derzeit offen.
In Deutschland ist man auf den Fall eines Krankheitsimports vorbereitet. Die „Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention“ (KRINKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin hat nach der SARS- und den MERS-Epidemien Pläne für die Infektionsprophylaxe von Coronaviren erarbeitet.
Bei einem Verdachtsfall wird zunächst ein Vorgehen wie bei anderen Erregern empfohlen die durch Tröpfchen übertragen werden. Diese sehen die Isolierung in einem Zimmer mit Vorraum/Schleusenfunktion und die Verwendung von mindestens FFP2-Masken als Atemschutz vor (Bundesgesundheitsblatt 2015; 58: 1151-1170). Das RKI weist darauf hin, dass eine gezielte Diagnostik von Verdachtsfällen molekularbiologisch möglich ist.
Die chinesischen Gesundheitsbehörden sprechen von einem Verdacht, wenn ein Patient ein Fieber von mindestens 38°C hat, wenn der Röntgenbefund eine Lungenentzündung oder ein akutes Atemnotsyndrom anzeigt und wenn es nach einer Behandlung mit Antibiotika über 3 bis 5 Tage nicht zu einer Besserung oder sogar zu einer weiteren Verschlechterung gekommen ist.
Leukozyten und Lymphozyten können normal oder erniedrigt sein. Wenn zusätzlich eine Verbindung zu anderen Fällen oder eine positive Reiseanamnese besteht, liegt eine wahrscheinliche Erkrankung vor. Die Bestätigung erfolgt durch den Nachweis von Virusgenen.
Kein Grund für Alarmismus
Die Ausbreitung der neuen Lungenkrankheit aus China bedeutet nach Einschätzung der Bundesregierung vorerst nur ein „sehr geringes“ Gesundheitsrisiko für die Menschen in Deutschland. Es gebe keinen Grund, jetzt in Alarmismus zu verfallen, sagte ein Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der heute das Bundeskabinett über die Lage informierte.
Das neuartige Coronavirus sei weit weniger gefährlich als etwa der Sars-Erreger vor einigen Jahren. Die Situation werde aber aufmerksam verfolgt. Außerdem laufe unter anderem über das RKI eine internationale Abstimmung.
Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind vorerst keine Deutschen vom Coronavirus betroffen. Das Krisenreaktionszentrum des Ministeriums beriet heute mit dem RKI und eigenen Experten in Asien darüber. Man sei darauf vorbereitet, auch Reisehinweise zu aktualisieren. Im Moment gebe es aber keinen Grund für eine Reisewarnung, sagte eine Sprecherin am frühen Nachmittag.
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