Coronavirus: WHO ruft vorerst keine internationale Notlage aus

Peking – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat trotz einer rasanten Zunahme von Infektionen mit einem neuartigen Virus in China vorerst keine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ ausgerufen. Ein Expertenrat, der die WHO berät, sah dafür gestern keinen Anlass, wollte aber heute weiter tagen.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte gestern Abend in Genf, er nehme die Entscheidung, ob ein internationaler Gesundheitsnotstand aufgerufen werde oder nicht, „sehr ernst“. Er werde die Entscheidung daher erst nach der „angemessen Berücksichtigung der verfügbaren Beweise“ treffen, fügte er hinzu.
Bis heute wurde das Virus bei mindestens 620 Menschen nachgewiesen, wie das chinesische Staatsfernsehen berichtete. Experten des Imperial College London gehen von weit mehr Betroffenen aus: Bis zum 18. Januar könnten bei etwa 4.000 Menschen in der chinesischen Stadt Wuhan Symptome aufgetreten sein. Das Deutsche Ärzteblatt hat darüber berichtet. Die Zahl der Todesfälle lag demnach vorerst unverändert bei 17.
China stoppt wegen des neuartigen Coronavirus alle Flüge und Züge aus der Millionenstadt Wuhan. Wie die chinesischen Staatsmedien gestern berichteten, dürfen die Bewohner die Stadt, in der der Erreger zuerst aufgetreten war, nur noch mit einer Sondergenehmigung verlassen.
Weitere Städte unter Quarantäne
Nach Wuhan ist eine zweite chinesische Stadt unter Quarantäne gestellt worden. In Huanggang würden der Bahnverkehr und andere öffentliche Verkehrsverbindungen ab Mitternacht ausgesetzt, teilte die Verwaltung der 7,5-Millionen-Einwohner-Stadt heute mit. Außerdem würden alle Kinos, Internetcafés und der zentrale Markt der Stadt geschlossen. Huanggang liegt 70 Kilometer östlich von Wuhan.
Auch in der 1,1-Millionen-Einwohner-Stadt Ezhou und in der Stadt Chibi wurden der öffentliche Verkehr und die Verbindungen zu anderen Orten ausgesetzt.
Ghebreyesus lobte das entschiedene Vorgehen der chinesischen Behörden gegen die Ausbreitung des Krankheitserregers: „Mit einer starken Maßnahme werden sie nicht nur den Ausbruch in ihrem Land kontrollieren, sondern auch die Chancen einer internationalen Ausbreitung dieses Ausbruchs minimieren.“
Fledermäuse oder Schlangen als Virusquelle vermutet
Das neuartige Coronavirus, das sich derzeit von der chinesischen Millionenmetropole ausgehend verbreitet, könnte wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge durch Fledermäuse oder Schlangen übertragen worden sein.
Eine umfassende Analyse der Gensequenz des Virus 2019-nCoV und ihr Vergleich mit anderen Viren habe ergeben, dass Schlangen die wahrscheinlichsten Träger des Virus in freier Wildbahn seien, heißt es in einer Studie, die gestern im Journal of Medical Virology veröffentlicht wurde (2020; doi: 10.1002/jmv.25681). Dieses Ergebnis müsse aber durch weitere experimentelle Studien überprüft werden, führten die Autoren aus.
Bereits vorgestern erschien in Science China Life Sciences (2020; doi: 10.1007/s11427-020-1637-5) eine Studie, die nach Ähnlichkeiten des neuen Virus mit anderen Erregern suchte. Demnach besteht eine enge Beziehung zwischen dem in Wuhan auftretendem Erreger und einem in Fledermäusen auftretendem Virus.
„Es wäre die logische und naheliegendste Schlussfolgerung, dass Fledermäuse der natürlich Wirt des Wuhan-CoV sind, auch wenn es wahrscheinlich ist, dass es einen oder mehrere Zwischenwirte bei der Übertragungskaskade von Fledermäusen zu Menschen gab“, schrieben die Autoren, die an verschiedenen Forschungsinstituten in China arbeiten. Darüber, welche Tiere Zwischenwirte sein könnten, stellten die Wissenschaftler in dem Artikel keine Vermutungen an.
Geringes Risiko für Deutschland
Die Experten der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) rechnen damit, dass es auch in Deutschland zu eingeschleppten Einzelfällen kommen wird. „Wichtig ist jetzt vor allem, Ärzte und medizinisches Personal in Kliniken und Praxen für das Thema zu sensibilisieren, damit Verdachtsfälle schnell identifiziert werden“, sagt Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Essen. Für die Bevölkerung in Deutschland besteht nach Einschätzung der DGI-Experten derzeit aber kein Anlass zur Beunruhigung.
Diese Einschätzung teilt auch die Bundesregierung. Das Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland sei „sehr gering“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Mittwoch in Berlin. Es gebe keinen Grund, „in Alarmismus zu verfallen“. Das Virus sei „weniger gefährlich“ als der Sars-Erreger, erklärte der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Ihm zufolge ist Deutschland „gut vorbereitet“. Nach den Erfahrungen mit Epidemien wie Sars oder Ebola sei auch die internationale Abstimmung gut. Das Sars-Virus war Anfang der 2000er-Jahre ausgebrochen, in China und Hongkong kamen damals 650 Menschen ums Leben.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin erklärte, dass die Reisehinweise laufend aktualisiert würden. Derzeit sehe das Ministerium keinen Grund für eine Reisewarnung. Deutsche seien im Moment nicht von dem Virus betroffen.
EU-Behörde sieht moderates Risiko für neue Lungenkrankheit in Europa
Auch die EU-Präventionsbehörde ECDC sieht vorerst nur ein moderates Risiko, dass der Erreger in die Europäische Union eingeschleppt wird. Dies teilte das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten gestern im schwedischen Solna mit. Mit dem erhöhten Reiseverkehr zum chinesischen Neujahr Ende des Monats wachse die Wahrscheinlichkeit, dass Fälle in der EU auftauchen. Die Stadt Peking sagte Großveranstaltungen zur Feier des chinesischen Neujahrsfests am Wochenende ab. Mehrere Großveranstaltungen unter anderem in Tempeln würden gestrichen, um die Vorbeugung gegen das Virus zu „stärken“, erklärte die Verwaltung der chinesischen Hauptstadt heute.
ECDC-Direktorin Andrea Ammon warnte, es gebe erhebliche Unsicherheit, wie schwerwiegend und wie tödlich die Krankheit sei. „Mehr epidemiologische Daten sind dringend erforderlich, um ein besseres Verständnis des Virus zu gewinnen.“
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