US-Leitlinien: Statine auch bei normalen Cholesterinwerten

Dallas – Nach vierjähriger Beratung haben die führenden US-Fachgesellschaften vier neue Leitlinien zur Prävention von atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen herausgegeben. Neben guten Ratschlägen zur Lebensführung und Diät soll die Indikation für Statine ausgeweitet werden. Die Verordnung soll jetzt ohne konkrete Cholesterinziele erfolgen.
Die jetzt veröffentlichten Leitlinien waren 2008 vom National Heart, Lung and Blood Institute (NHLB) angeregt worden. Die staatliche Behörde hat sich jedoch später zurückgezogen und den medizinischen Fachgesellschaften das Feld überlassen, die unter der Ägide des American College of Cardiology und der American Heart Association jetzt ihre Empfehlungen veröffentlichen, wobei zu den einzelnen Themen weitere Fachgesellschaften hinzugezogen wurden.
Die NHLB begründet ihren Rückzug mit praktischen Gründen und unterstützt in einer Pressemitteilung auch die Empfehlungen. Die New York Times vermutet dagegen Unstimmigkeiten und berichtet, dass mehrere Mitglieder die Komitees verlassen hätten.
Die Kritik dürfte weniger die Leitlinie zum Lebensstilmanagement und zur Adipositas betreffen. Die Kardiologen raten den US-Amerikanern, weniger gesättige Fette, weniger Trans-Fettsäuren und weniger Kochsalz zu verzehren, sich dafür aber mehr zu bewegen. Die Devise lautet: Drei- bis viermal in der Woche aerobe Übungen für jeweils 40 Minuten. Die Adipositas wird jetzt als Krankheit definiert und Diät oder bariatrische Operation sind spätestens dann angezeigt, wenn ein Risikofaktor wie hoher Blutdruck oder hohe Blutfette (Triglyzeride) vorliegen.
Die Leitlinie zur Risikoabschätzung bezieht jetzt auch den Schlaganfall als Prädiktor ein. Außerdem werden ethnische Unterschiede berücksichtigt. So haben Amerikaner afrikanischer Herkunft bei gleichen traditionellen Risikofaktoren (Alter, Rauchen, Cholesterin, Blutdruck und Diabetes) ein höheres Risiko als Amerikaner europäischer Herkunft, und auch zwischen Männern und Frauen bestehen Unterschiede.
Die Leitlinie gibt auch Ratschläge, wann die Verwendung weiterer Risikomarker wie Familienanamnese, koronarer Kalziumscore, hochsensitives C-reaktives Protein und Knöchel-Arm-Index sinnvoll sein können. Ob die neuen Empfehlungen die Behandlungsindikationen verändern, lässt sich schwer vorhersagen. Der Einfluss war nach erster Einschätzung von US-Experten eher gering.
Eine deutliche Ausweitung für die medikamentöse Therapie ergibt sich dagegen aus der Leitlinie zur „Therapie des Blutcholesterins zur Reduktion des atherosklerotischen kardiovaskulären Risikos“. Bereits im Titel fehlt der Hinweis auf eine Hypercholesterinämie, die nach Maßgabe der neuen Leitlinie nicht mehr Grundvoraussetzung für eine Therapie ist.
Neben einem LDL-Cholesterin von 190 mg/dl oder darüber (Gruppe 1) werden drei weitere Kriterien genannt: Statine sollen künftig an alle Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Gruppe 2) verordnet werden, sie werden für alle Patienten mit Typ 2-Diabetes im Alter zwischen 40 und 75 Jahren (Gruppe 3) empfohlen, und sie sind indiziert bei allen Menschen, bei denen der überarbeitete Risikokalkulator das 10-Jahresrisiko eines kardiovaskulären Ereignisses auf 7,5 Prozent oder höher einstuft (Gruppe 4).
Experten schätzen, dass 33 Millionen US-Amerikaner – 44 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen – diese Kriterien erfüllen könnnten. Dies wäre eine deutliche Steigerung gegenüber den etwa 15 Prozent der Bevölkerung, denen die älteren Leitlinien zur Therapie geraten haben.
Die neue Leitlinie empfiehlt zur Therapie nur Statine, für andere Wirkstoffe sahen die US-Experten keine ausreichenden Wirkungsbelege. Das gilt auch für Ezetimib, zu dem es in den letzten Jahren mehrere enttäuschende Studien gegeben hatte. Dennoch sind diese Medikamente bei den Ärzten beliebt.
Dem Bericht der New York Times zufolge setzte Merck (in Deutschland MSD) im letzten Jahr mit Zetia (Wirkstoff: Ezetimib, in Deutschland als Ezetrol auf dem Markt) 2,6 Milliarden US-Dollar um. Auch Vytorin (in Deutschland Inegy), das Ezetimib mit Simvastatin kombiniert, verkaufte sich gut (1,8 Milliarden Umsatz in 2012), und mit Liptruzet hat der Hersteller im Mai diesen Jahres ein weiteres Kombinationspräparat eingeführt (Ezetimib plus Atorvastatin). Nach dem Willen der Leitlinie müsste die Verordnung dieser Medikamente zurückgehen.
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