Medizin

Ezetimib: Erster Beleg für kardiovaskuläre Protektion durch umstrittenen Lipidsenker

  • Dienstag, 18. November 2014
Uploaded: 27.09.2012 15:19:47 by mis
dpa

Boston - Mit der Teilnahme von mehr als 18.000 Patienten und nach einer Studiendauer von sieben Jahren kann der Hersteller Merck (MSD) ein Jahr vor Auslaufen des Patent­schutzes beweisen, dass der Wirkstoff Ezetimib nicht nur den Cholesterin-Wert senkt, sondern Hochrisikopatienten vor kardiovaskulären Folgeschäden schützt, wenn er mit einem Statin kombiniert wird. Die Ergebnisse der IMPROVE-IT-Studie wurden auf der Jahrestagung der American Heart Association in Chicago auch als (erneuter) Beweis der Cholesterin-Hypothese gewertet und sie könnten zu einer Revision der Leitlinien führen, auch wenn das Ausmaß der sekundärpräventiven Wirkung begrenzt war. Vorbehaltlich einer Publikation bescheinigen die Ergebnisse Ezetimib eine ausgezeichnete Verträg­lichkeit und hohe Sicherheit.

Das 2002 als Ezetrol eingeführte Ezetimib blockiert die intestinale Resorption von Cholesterin und unterscheidet sich damit klar von den Statinen, die die Cholesterin­synthese in der Leber hemmen. Die Zulassung erfolgte auf der Basis der nachgewiesenen Senkung des LDL-Cholesterins. Für die Statine ist darüber hinaus seit den 90er Jahren eine protektive Wirkung gegenüber Herz-Kreislau-Erkrankungen nachgewiesen. Für Ezetimib fehlte dieser Beweis bisher.

Zweifel am klinischen Nutzen traten 2008 auf, als der Hersteller die Ergebnisse der ENHANCE-Studie vorstellte. Dies geschah mehr als zwei Jahre nach dem Abschluss der Studie und die Ergebnisse schienen die damals geäußerten Vermutungen von Kritikern zu bestätigen, die ein Zurückhalten ungünstiger Ergebnisse vermutet hatten: Tatsächlich konnte Ezetimib in der Studie die günstige Wirkung von Simvastatin auf die Intima-Media-Dicke (IMT) in der Halsschlagader nicht steigern. Es kam sogar zu einer tendenziell schnelleren Zunahme der Atherosklerose (NEJM 2008; 358: 1431-1443).

Kurze Zeit später wurde in der SEAS-Studie, in der Ezetimib die Prognose bei Patienten mit Aortenstenose nicht verbessern konnte, zu allem Überfluss noch eine erhöhte Rate von Krebserkrankungen gefunden (NEJM 2008; 359: 1343-1356). Zwar folge die US-Arzneibehörde FDA bereits im Folgejahr der Interpretation des Herstellers, der trotz eines signifikanten Unterschieds von einem Zufallsbefund ausging. Das Ansehen von Ezetimib hatte jedoch gelitten. Im Jahr 2011 konstatierte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), es gebe keinen Beleg, dass Patienten einen höheren Nutzen haben, wenn sie Ezetimib zusätzlich zu Statinen zur Herzinfarktvorbeugung einnehmen.

Die Ergebnisse der ENHANCE-Studie haben sicherlich auch die Leitlinien der US-Fach­ge­­sellschaften beeinflusst, die im November 2013 den klinischen Nutzen der Statine von der Cholesterinsenkung entkoppelten. Sie empfahlen eine Therapie auch bei niedrigen LDL-Werten – allerdings ausschließlich mit Statinen. Ezetimib wurde nicht mehr als Option betrachtet. Einige Experten vermuteten sogar, dass die Wirkung der Statine andere Gründe als Senkung des Cholesterins haben könnte.

Der Hersteller Merck hatte jedoch bereits nach dem Ende der ENHANCE-Studie beschlossen, die IMPROVE-IT-Studie fortzusetzen und die Teilnehmerzahl zu erhöhen. Damit stiegen aus statistischen Gründen die Chancen, dass bereits ein geringer Nutzen eindeutig nachgewiesen werden kann. Dieser Fall ist jetzt eingetreten.

An der internationalen, multizentrischen, doppelblinden, placebokontrollierten, rando­misierten Studie hatten 18.144 Patienten teilgenommen, die zuvor wegen eines Herzinfarktes (STEMI, NSTEMI) oder einer instabilen Angina hospitalisiert worden waren. Sie mussten wenigstens 50 Jahre alt sein und wenigstens einen Hoch-Risikofaktor aufweisen (beispielsweise Diabetes mellitus, früherer Herzinfarkt, Bypass-Operation, Schlaganfall). Das LDL-Cholesterin musste vor Beginn der Studie zwischen 50 und 125 mg/dl liegen. Die Patienten hatten demnach keine Hypercholesterinämie.

Die Studie sollte klären, ob eine Senkung des Cholesterinwerts auf unter 70 mg/dl, dem unteren Bereich des Normalwerts, einen Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse hat. Die Hälfte der Studienteilnehmer wurde ausschließlich mit einem Statin (40mg/die Sim­vastatin) behandelt. Der LDL-Cholesterinwert sank unter dieser Therapie auf durch­schnittlich 69,5 mg/dl. Die andere Hälfte der Patienten erhielt zusätzlich Ezetimib (10 mg/die) verordnet. Hier kam es zu einem Abfall des LDL-Cholesterins auf 53,7 mg/dl.

Die Studie sollte untersuchen, ob diese zusätzliche Senkung des LDL-Cholsterins die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse senkt. Primärer Endpunkt der Studie waren entweder ein Herz-Kreislauf-Tod, Herzinfarkt, eine Hospitalisierung aufgrund einer instabilen Angina, eine koronare Revaskularisierung oder ein Schlaganfall. Wie das Team um Christopher Cannon vom Brigham and Women's Hospital in Boston jetzt mitteilt, wurde der Endpunkt nach sieben Jahren unter der Monotherapie mit Simvastatin von 2.742 Patienten (34,7 Prozent) erreicht.

Unter der Kombinationstherapie trat er bei 2.572 Patienten (32,7 Prozent) der Teilnehmer auf. Dies ist ein Unterschied von gerade einmal 2 Prozentpunkten. Dies ergibt eine Number Needed to Treat (NNT) von 50 Patienten, die über durchschnittlich sechs Jahre behandelt werden müssen, um ein Ereignis zu vermeiden. Hätte Cannon die NNT auf ein Jahr bezogen, wäre er zu einer deutlich höheren NNT gekommen.

Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl der Studie war der Unterschied jedoch statistisch signifikant. Die Autoren errechnen eine Hazard Ratio von 0,936 (95-Prozent-Konfidenzintervall 0,887-0,988) oder 93,6 Prozent. Dies lässt sich auch als eine relative Reduktion um 6,4 Prozent (Differenz zu 100 Prozent) darstellen. Diese Zahl stellen neben dem Hersteller auch die Autoren und die American Heart Association in den Vordergrund. Ähnlich waren die Ergebnisse in den sekundären Endpunkten: Die Zahl der Herzinfarkte sank (jeweils relativ) um 14 Prozent, die der Schlaganfälle ebenfalls um 14 Prozent. Bei den ischämischen Schlaganfällen gab es sogar einen Rückgang um 21 Prozent. Die Zahl der Todesfälle war allerdings in beiden Gruppen gleich, so dass ein Rückgang der Sterblichkeit nicht belegt werden konnte.

Auf die Zulassung des Präparates Vytorin (in Deutschland Inegy) werden sich die Ergebnisse nicht auswirken (auch nicht auf den Gewinn des Herstellers, der ab dem nächsten Jahr nach dem Auslauf des Patentschutzes für Ezetimib mit Konkurrenz­präparaten wenigstens zu dem Monopräparat rechnen muss, aber in den letzten Jahren gute Umsätze erzielte). In den Arzneimittelagenturen dürfte man sich vor allem für die Ergebnisse in den Sicherheitsendpunkten interessieren.

Hier gab es keine Signale hinsichtlich eines möglichen Krebsrisikos (Inzidenz: 10,2 Prozent in beiden Gruppen). Auch Cholezystektomie oder Gallenblasen-bezogene Nebenwirkungen traten nicht gehäuft auf. Die Rate der Rhabdomyolysen (die am meisten gefürchtete Nebenwirkung von Statinen) oder Myopathien war in beiden Gruppen gleich. Damit dürfte die Studie, sofern in der ausstehenden Publikation nicht noch neue Befunde auftreten, alle Sicherheitsbedenken entkräftet haben.

In den Fachgesellschaften dürfte sich die Diskussion in den nächsten Monaten darum drehen, ob die geringen Vorteile von Ezetimib eine erneute Berücksichtigung in den Leitlinien rechtfertigen und in welchen Situationen die Einnahme empfohlen wird.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse einer vor wenigen Tagen publizierten genetischen Studie (NEJM 2014; doi: 10.1056/NEJMoa1405386) zu 34 Patienten, bei denen aufgrund einer Mutation im NPC1L1-Gen der Transporter defekt ist, über den Cholesterin vom Darm resorbiert wird. Bei diesem Transporter handelt es sich um den das „Niemann–Pick C1-like 1“-Protein, das Angriffspunkt von Ezetimib ist.

Die (allesamt heterogenen) Träger der Mutation hatten ein um 12 mg/dl signifikant niedrigeres LDL-Cholesterin, was in etwa der (zusätzlichen) Wirkung von Ezetimib in der Studie entsprach. Gleichzeitig war die Rate der Herzinfarkte um relativ 53 Prozent vermindert (0,09 gegenüber 0,04 Prozent in der Kontrollgruppe ohne den Genfehler). Das ist deutlich mehr als jetzt in der IMPOVE-IT-Studie. Allerdings dürfte der „Follow-Up“ in den prospektiven Beobachtungsstudien, die der genetischen Analyse zugrunde lagen, deutlich länger gewesen sein.

rme

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