Wie Opiate (bei Ratten) neuropathische Schmerzen verlängern
Boulder/Colorado – Eine Schmerzbehandlung mit Opiaten hat in Experimenten an Ratten die Schmerzdauer nach einer Verletzung peripherer Nerven verdoppelt, was die Forscher in den Proceedings of the National Academy of Sciences (2016; doi: 10.1073/pnas.1602070113) auf eine Verstärkung der entzündlichen Reaktion durch die Mikroglia zurückführen. Die Ergebnisse erklären, warum Opiate bei neuropathischen Schmerzen oft von zeitlich begrenzter Wirkung sind und vielleicht sogar zur Chronifizierung beitragen. Sie liefern gleichzeitig Ansätze für eine effektivere Schmerztherapie.
Die zunehmend großzügigere Verordnung von Opiaten hat die Schmerzbehandlung nicht verbessert. Im Gegenteil: Im letzten Jahr sind in den USA rund 20.000 Amerikaner an einer Überdosis von verschreibungspflichtigen Opioid-Schmerzmitteln gestorben. Das letzte prominente Opfer könnte der Musiker Prince gewesen sein. Voraus geht häufig der Versuch, die zunehmende Opiattoleranz durch eine Steigerung der Dosis zu überwinden, was wegen der bekannten Atemdepression von Opiaten fatale Folgen hat. Der zunehmende Wirkungsverlust wird bislang auf ein vermindertes Ansprechen der Opiatrezeptoren zurückgeführt. Die Experimente, die Peter Grace und Mitarbeiter von der Universität von Boulder bei Denver vorstellen, kommen zu einem anderen Ergebnis.
Die Forscher verglichen zwei Gruppen von Ratten, bei denen sie eine akute Nervenverletzung ausgelöst hatten. Eine Gruppe blieb unbehandelt, die andere wurde mit Morphin behandelt. Zur Überraschung der Forscher erholte sich die unbehandelte Gruppe nach sechs Wochen von der Nervenverletzung, während die mit Morphin behandelten Ratten über zwölf Wochen unter neuropathischen Schmerzen litten (die durch Berührung der Pfote mit Nylonfäden gemessen wurden). Selbst bei Ratten ohne Nervenschädigung stieg nach einer Morphin-Behandlung die Berührungsempfindlichkeit. Die Tiere erholten sich nach Beendigung der Morphinbehandlung jedoch innerhalb einer Woche.
Den Grund für die erhöhte Schmerzempfindlichkeit vermuten die Forscher in einer Reaktion der Mikroglia. Es handelt sich um Zellen im Rückenmark, die im weitesten Sinne zum Abwehrsystem des Körpers gehören. Sie reagieren auf eine Nervenschädigung mit der Freisetzung von Zytokinen, die in ihrer Gesamtheit als Inflammosom bezeichnet werden. Die Experimente der Forscher zeigen, dass das Inflammosom durch Opiate verstärkt wird. Grace spricht von einer „two hit“-Hypothese. Den ersten Schlag („hit“) erhalten die Nerven durch die Verletzung, der zweite Schlag erfolgt durch die Opiate.
Die Experimente zeigen, dass dieser zweite Schlag nicht die Folge einer verminderten Sensibilität der Opiatrezeptoren ist, wie viele Kliniker vermuten. Eine allmähliche Dosissteigerung würde deshalb die Schmerzen nicht lindern, sondern im Gegenteil verstärken. Hinzu kommt das Risiko einer Überdosierung, da fälschlicherweise angenommen wird, dass auch die zentrale Wirkung der Opiate im Sinne einer Toleranzentwicklung nachlässt.
Weitere Befunde zeigen, dass die entzündliche Reaktion über den Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4) und über den Rezeptor P2X7R vermittelt wird. Dies könnte neue Perspektiven für die Behandlung neuropathischer Schmerzen eröffnen. Eine Blockade von TLR4 oder P2X7R könnte verhindern, dass Opiate die entzündliche Reaktion verstärken und die neuropathischen Schmerzen länger anhalten. Die Seniorautorin Linda Watkins hat nach Informationen von Science bereits eine Firma gegründet, die einen TLR4-Inhibitor entwickeln will. Dieses Mittel könnte dann in Kombination mit Opiaten eingesetzt werden. Dies würde vielleicht die Schmerzen lindern, ohne die Folgen der Nervenschädigung zu verstärken.
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