Medizin

Frankreich: Hirntod in klinischer Studie

  • Samstag, 16. Januar 2016
Uploaded: 16.01.2016 17:42:37 by mis
dpa

Rennes – Eine Phase 1-Studie zu dem oralen Analgetikum BIA 10-2474 aus der Gruppe der FAAH-Inhibitoren hat in Frankreich ein tragisches Ende genommen. Wie die französischen Behörden am Freitag bekannt gaben, mussten sechs Probanden aufgrund von neurologischen Komplikationen hospitalisiert werden. Der Proband, der zunächst für hirntot erklärt wurde, wurde am Sonntaganed für tot erklärt, wie das Krankenhaus in Rennes mitteilte. Der Zustand der anderen fünf in der Klinik behandelten Probanden sei stabil. Die Behörden suchten derweil weiter nach Aufklärung, warum es zu dem Unglück kam. 

Die Komplikationen traten im Rahmen einer klinischen Studie auf, die die Firma Biotrial aus Rennes im Auftrag des portugiesischen Arzneimittelherstellers Bial mit Sitz in Coronado durchgeführt hat. Die Studie war am 26. Juni von der französischen Arzneimittelbehörde ANSM (L’Agence nationale de sécurité du médicament) genehmigt worden. Von den 128 gesunden Probanden im Alter von 18 bis 55 Jahren sollen 108 den Wirkstoff erhalten haben. Im Rahmen der Studie war eine Dosissteigerung vorgesehen und die sechs betroffenen Probanden sollen die bisher höchste Dosis erhalten haben.

Die erste Einnahme dieser Dosis erfolgte am 7. Januar. Am 10. Januar erkrankte der erste Proband so schwer, dass er hospitalisiert werden musste. Die Studie wurde daraufhin am 11. Januar gestoppt. Inzwischen wurden fünf weitere Teilnehmer hospitalisiert. Die ANSM hat eine Untersuchung eingeleitet.

FAAH-Inhibitoren hemmen das Enzym Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH), das im Körper Anandamid und andere Endocannabinoid abbaut. Die Folge ist eine Verstärkung der Endocannabinoid-Wirkung im Gehirn. Das endocannabinoide System ist an der Regulation des Blutdrucks beteiligt. Schlaganfälle sind eine bekannte Folge einer Überdosierung. Ob dies die Ursache der Komplikationen war, dürften die Unter­suchungen in den nächsten Wochen klären.

Laut dem Branchendienst BioCentury Publications wurden in den letzten Jahren mindestens fünf Wirkstoffe klinisch getestet, die ihren Angriffspunkt beim Enzym FAAH haben. Keiner der FAAH-Inhibitoren wurde bislang zugelassen. Die Probleme betrafen dem Vernehmen nach jedoch eher die geringe Wirksamkeit als eine problematische Verträglichkeit.

Schwere Komplikationen sind in klinischen Phase 1-Studien selten, Todesfälle ungewöhnlich. Laut einer Meta-Analyse im britischen Ärzteblatt (BMJ 2015; 350: h3271) kam es in 394 Phase 1-Studien mit 11.028 Teilnehmen zu 34 schweren Komplikationen (0,31 Prozent), aber zu keinen Todesfällen. Insgesamt sechs der 34 Komplikationen traten im März 2006 bei der ersten klinischen Anwendung von TGN1412 auf. Der agnostische Antikörper hatte einen Zytokinsturm ausgelöst, der ein systemisches inflammatorisches Response-Syndrom zur Folge hatte. Alle Patienten konnten die Klinik später lebend verlassen.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) beschloss im Juli 2007 neue Leitlinien zur Risikoidentifizierung und -minimierung bei der Erstanwendung neuer Arzneimittel am Menschen. Sie sehen vor der ersten Anwendung am Menschen eine umfassende Risikoabschätzung vor. Die ANSM versicherte, dass bei BIA 10-2474 alle Auflagen erfüllt worden seien.

rme

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