Politik

Coronakurs: Lange Liste von Beratungsthemen für Bund-Länder-Treffen

  • Montag, 9. August 2021
/picture alliance, Bernd Weissbrod
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Berlin – Mögliche Einschränkungen für Nicht-Geimpfte, mehr Rechte für Geimpfte, ein neues System zur Bewertung der Coronalage und die Zukunft kostenfreier Coronatests: Angesichts steigender Infektions­zahlen und eines stagnierenden Impftempos diskutiert die Politik über den weiteren Kurs.

Morgen wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder darüber beraten, welche Regeln und Maßnahmen überprüft und angepasst werden müssen. Sie haben eine lange Themenliste abzuarbeiten, dabei ist mit neuerlichem Streit zu rechnen.

Grundlage für die Diskussion bildet unter andrem ein Strategiepapier aus dem Bundesministerium für Ge­sundheit (BMG). Darin wird vorgeschlagen, die derzeitigen kostenfreien Coronaschnelltests Mitte Ok­tober auslaufen zu lassen. Nur bei Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine Impf­empfehlung vorliegt, sollten die Kosten für die Schnelltest weiter übernommen werden.

Die Pläne sehen auch vor, Ungeimpfte stärker einzuschränken als Geimpfte. Für Ungeimpfte könnten „erneut weitergehende Einschränkungen notwendig werden“, heißt es im Strategiepapier. Das Ministeri­um schlägt Kontaktbeschränkungen vor, zudem könnten für die Ungeimpften Veranstaltungen und Res­taurants zum Tabu werden. Auch ein „Freitesten“ soll dann nicht mehr möglich sein. Dagegen wenden sich mehrere SPD-Politiker aus Bund und Ländern.

Ein schwieriges Thema insbesondere für die Länder ist die Frage, wie es mit dem Schulbetrieb und den Kitas weitergeht. Während noch kontrovers diskutiert wird, inwiefern Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren geimpft werden sollen, muss geklärt werden, ob trotz der wieder steigenden Infektionszahlen Präsenzunterricht stattfinden soll. Voraussetzungen dafür wären Test-, Lüftungs- und Hygienekonzepte. In mehreren Bundesländern hat das Schuljahr schon wieder begonnen.

In dem Strategiepapier des Gesundheitsministeriums wird auch vorgeschlagen, die Pflicht zum Tragen von medizinischen Schutzmasken im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr sowie im Einzelhandel beizubehalten, und zwar auch für Geimpfte und Genesene.

Darüber hinaus müssen sich Bund und Länder überlegen, wie sie die ins Stocken geratene Impfkampag­ne wieder in Gang bringen können. Ein Mittel dafür können niedrigschwellige Angebote wie Impfbusse vor Clubs oder Schulen sein. Zudem muss irgendwann entschieden werden, in welchem Rahmen es Auf­frischungsimpfungen geben soll. Diese sind insbesondere für Alten- und Pflegeheime im Gespräch.

Letztlich geht es noch um die Frage, die Sieben-Tage-Inzidenz nicht mehr zum alleinigen Maßstab für die Coronamaßnahmen zu machen. Einbezogen werden soll künftig auch die Lage in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen.

Laschet legt Plan vor

CDU-Chef Armin Laschet legte heute im CDU-Präsidium einen eigenen Fünf-Punkte-Plan zum weiteren Vorgehen in der Krise vor. So will er eine „Impf-Offensive“, außerdem solle der Bundestag die epidemi­sche Lage von nationaler Tragweite verlängern, wie des heute aus Teilnehmerkreisen hieß. Über den Plan hatte zu­erst der Spiegel berichtet. Der Unionskanzlerkandidat habe ein „besonnenes, aber entschlosse­nes Han­deln“ angekündigt. Für seinen Plan habe er große Zustimmung bekommen.

Laschet sprach sich nach Teilnehmerkreisen für eine Ausweitung der Testpflichten aus. „Wir wollen und müssen einen neuen Lockdown vermeiden“, habe der NRW-Regierungschef gesagt. „Wir wollen keine Schließungen, sondern Sicherheit durch Testung.“ Deshalb müsse man früher und mehr testen. Zukünftig müsse überall dort getestet werden, wo man im Innenraum auf fremde Menschen treffe.

Laschet sprach sich außerdem für klare Anreize für eine Impfung aus. Wer geimpft sei, bleibe von der Testpflicht ausgenommen. Geimpfte dürften keine Nachteile haben, nur weil andere zu bequem seien, sich impfen zu lassen, sagte Laschet laut Teilnehmern.

Tests müssten zudem absehbar wieder selbst bezahlt werden. Wer die Möglichkeit habe, sich impfen zu lassen, dieses Angebot aber nicht nutze, der könne nicht damit rechnen, dass seine Tests dauerhaft vom Steuerzahler bezahlt würden. Die kostenlosen Tests sollten in zwei Monaten auslaufen. Ausnahme seien Personen, die nicht geimpft werden könnten wie zum Beispiel Schwangere.

Der CDU-Chef sprach sich außerdem für eine „Impf-Offensive“ aus. Von den Beratungen der Ministerprä­si­denten mit Merkel müsse ein „großer und geschlossener Impf-Appell“ ausgehen. Impfung sei der beste Schutz vor dem Virus. Laschet forderte laut Teilnehmerkreisen außerdem eine differenziertere Erfassung des Pandemiegeschehens. Neben der Inzidenz müssten die Krankenhausbelegung, die Zahl der Intensiv­pa­tienten und der Impffortschritt stärker in der konkreten Regulierung berücksichtigt werden.

Laschet sprach sich außerdem für eine Verlängerung der Pandemischen Lage aus. Auch wenn die Lage derzeit noch nicht so schlimm sei wie im vergangenen Jahr, dürfe man die erprobten Werkzeugkasten aus Corona-Schutz-Maßnahmen nicht vorzeitig aus der Hand geben.

Laschet wurde mit den Worten zitiert: „Wir müssen gewappnet sein, wenn die Lage wieder ernst werden sollte - gerade vor dem Hintergrund der aktuell wieder steigenden Zahlen.“ Deshalb müsse der Bundes­tag die epidemische Lage von nationaler Tragweite verlängern, damit in Landes-Corona-Schutz-Verord­nungen Sicherheitsmaßnahmen wie die Maskenpflicht, die Kontaktnachverfolgung oder die Pflicht zur Einhaltung von Hygienekonzepten weiter vorgesehen werden könnten.

Viele Fragen strittig

Die Debatte im Vorfeld der morgigen Beratungen zeigt unterdessen, dass zahlreiche Punkte – etwa die künftige Behandlung von Ungeimpften – strittig sind. Es könnte morgen also erneut ein Verhandlungs­marathon besvorstehen.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte der Bild am Sonntag., es werde zu viel über den an­geb­lichen indirekten Impfzwang geredet und zu wenig über die Rechte von Geimpften. „Ich gehe aber davon aus, dass sich das im Herbst von selbst regeln wird, weil Hoteliers, Clubs, Veranstalter sagen wer­den: „Sorry, bei mir kommst du nur mit einem Test nicht mehr rein." Ich glaube, der Druck durch den ge­impften Teil der Bevölkerung wird enorm zunehmen.“

Für Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gibt es zwei Alternativen, falls zunehmende In­fektionen wieder Beschränkungen erforderlich machen: „Ein Lockdown für alle, den ich nicht für vertret­bar halte, oder eben Beschränkungen für diejenigen, die keine Impfung haben, obwohl diese seit Langem empfohlen wird.“ In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung forderte er zudem, Ungeimpfte nur mit nega­ti­vem PCR-Test Geimpften und Genesenen gleichzustellen. „Antigenschnelltests sind nicht zuverlässig genug.“

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) sagte dem Handelsblatt: „Ich glaube, mit Überzeu­gung kommt man weiter als mit Druck“. Ansätze, Nicht-Geimpfte von bestimmten Veranstaltungen oder Besuchen auszuschließen, halte er für „wenig zielführend“. So sei es nicht möglich, eine klare Abgrenzung zur Grundversorgung eines Menschen zu treffen.

Grünen-Chef Robert Habeck sprach sich im ZDF-Sommerinterview dafür aus, dass Coronatests kostenfrei bleiben. Mit Blick auf einen gegenteiligen Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums sagte er: „Das ist die falsche Maßnahme, die Leute zum Impfen zu motivieren.“

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hält Einschränkungen für Ungeimpfte nur bei einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems für vertretbar, wie er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte.

Für eine Ende des Gratisangebots an Coronaschnelltests sprachen sich die Ministerpräsidenten von Nie­dersachsen und Baden-Württemberg, Stephan Weil (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) aus. Auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz plädierte in der Süddeutschen Zeitung erneut dafür.

„Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass Ungeimpfte ab dem Herbst ihre Tests selbst bezahlen müssen. Bis dahin hatte jeder die Möglichkeit, sich kostenfrei impfen zu lassen“, sagte Weil dem Tagesspiegel. Kretschmann sagte der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten: „Auf Dauer wird die öffentliche Hand die Tests nicht finanzieren können. Das ist auch eine Frage von fairer Lastenverteilung, denn es gibt ja ein kostenfreies Impfangebot für alle.“

Dagegen riet FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae: „Die Kostenlosigkeit der Tests möglichst lange, auch bis in das Jahr 2022 hinein aufrecht zu erhalten, ist gut angelegtes Geld.“ Das gelte auch für Genesene und Geimpfte, sagte er. Denn sie seien zwar weitgehend vor Erkrankung geschützt, könnten aber das Virus weitertragen.

Einigkeit bei Vorgaben für Coronamaßnahmen

Über Änderungen an den Vorgaben für Coronamaßnahmen scheint in der Politik weitgehend Einigkeit zu bestehen: Die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Neu­infektionen je 100.000 Einwohner und Woche – soll durch weitere Faktoren ergänzt werden. Hinzu kommen sollen etwa Para­meter wie die Impfquote und die Auslastung der Kran­kenhäuser.

Ausschlaggebend müsse auch die Belegung von Krankenhausbetten und Intensivstationen sein, sagte Laschet. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt befand in der Bild am Sonntag: „Die Inzidenz als alleiniges Maß aller Dinge hat ausgedient.“ Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warb in der Zeitung für eine „Coronaampel“.

Für einen neuen Mix sprach sich vor den morgigen Gesprächen auch noch einmal die Deutsche Kranken­hausgesellschaft (DKG) aus. Es sei erforderlich mit einem neuen, umfassenderen und bundesweiten Am­pelsystem das Infektionsgeschehen adäquat abzubilden, um dann sachgerechte politische Entscheidun­gen treffen zu können, so die DKG.

Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß betonte, es sei „mittlerweile allgemeiner Konsens, dass die Inzidenz alleine keine geeignete Maßzahl mehr sein kann, um die Pandemie auch im Herbst abzuschät­zen“. Gerade wenn es weiterhin wesentliches Ziel aller politischen Handlungen sei, die Überlastung des Ge­sundheitssystems zu verhindern, müssten auch vermehrt die Messzahlen und Indikatoren aus dem Ge­sundheitssystem herangezogen werden.

Aus Sicht der DKG muss es das politisch Ziel sein, das Infektionsgeschehen niedrig zu halten, Hospitali­sierungen zu vermeiden und gleichzeitig gesellschaftliches Leben, Bildung und Kultur zu ermöglichen. „Es muss alles getan werden, um eine Situation wie im Herbst letzten Jahres zu vermeiden“, so Gaß.

Er plädierte an die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin, die Bevölkerung bei ihren Entscheidungen mit­zunehmen und auf eine breite Akzeptanz zu zielen. „Dass wir bis dato so erfolgreich durch die Pande­mie gekommen sind, liegt zum Großteil an der großen Bereitschaft der Menschen, die Maßnahmen mit­zutragen“, sagte er. Diesen Zusammenhalt dürfe man „auf keinen Fall verspielen“.

Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestags, Erwin Rüddel (CDU), hofft ebenfalls auf klare Ergebnisse. „Es muss die Botschaft kommen, dass es keine automatischen Lockdowns mehr geben wird – auch keine nur für Ungeimpfte“, sagte er der Bild.

„Es stellt sich die Frage, ob es unsere Gesellschaft nicht auch aushalten kann, diejenigen, die sich be­wusst nicht impfen lassen und dann schwer erkranken, entsprechend zu versorgen, statt das gesamte Land und die Wirtschaft mit dem Damoklesschwert des Lockdowns zu ängstigen und zu schädigen.“

CSU-Generalsekretär Markus Blume zeigte sich optimistisch, dass sich die Ministerpräsidenten mit Bun­deskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf ein neues Coronaregelwerk verständigen können. Künftig müssten neben der Inzidenz auch andere Indikatoren bei der Beurteilung der Pandemielage eine Rolle spielen, sagte Blume in der Sendung „Die richtigen Fragen“ bei Bild live.

dpa/afp/may

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