Adipositas bei Kindern: Kardiologen rufen zum Handeln auf

Basel – Die steigende Zahl von adipösen Kindern in Europa bereitet Kardiologen große Sorgen. Die betroffenen Kinder hätten ein deutlich erhöhtes Risiko, im Erwachsenenalter frühzeitig Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, heißt es in einer Stellungnahme einer „Task Force“ aus Präventivmedizinern und Adipositasexperten im European Journal of Preventive Cardiology (2023; DOI: 10.1093/eurjpc/zwad152).
Die Fettleibigkeit bei Kindern hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren im Jahr 1975 weniger als ein Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 5 bis 19 Jahren fettleibig, im Jahr 2016 hat der Anteil bei den Mädchen bereits auf sechs Prozent und bei den Jungen auf acht Prozent zugenommen. Die Tendenz ist steigend, und die Probleme wurden zuletzt durch die COVID-19-Pandemie weiter verschärft.
In der Folge haben immer mehr Menschen bereits vor Erreichen des Erwachsenenalters einen zu hohen Blutdruck, zu hohe Blutfette und einen zu hohen Blutzucker. Bei den meisten ändert sich dies auch im Erwachsenenleben nicht mehr. So sei die Wahrscheinlichkeit, dass fettleibige Kinder zu fettleibigen Erwachsenen werden, fünfmal höher als bei ihren gesunden Altersgenossen, schreibt ein Team um Henner Hanssen von der Universität Basel.
Im Vergleich zu Kindern mit einem niedrigen Body-Mass-Index (BMI) sei die Wahrscheinlichkeit, in der Lebensmitte an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden, bei Kindern mit einem hohen BMI um 40 Prozent höher. Kinder mit einer Kombination von Risikofaktoren wie Rauchen und hohem BMI, Blutdruck und Blutfetten hätten in der Lebensmitte ein 2- bis 9fach höheres Risiko auf einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Das Kindes- und Jugendalter bietet nach Ansicht der Task Force der „European Association of Preventive Cardiology“ und der „European Childhood Obesity Group“ die Chance, den Prozess anzuhalten und späteren Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen, zumal Gewohnheiten, die im Kindesalter erworben werden, im Erwachsenenalter häufig beibehalten würden.
Die Präventivmediziner empfehlen, dass Kinder im schulpflichtigen Alter mindestens 60 Minuten pro Tag mäßiger bis intensiver aerober körperlicher Aktivität nachgehen (Ausdauersport). Darüber hinaus sollten sie mindestens dreimal pro Woche muskelstärkende Aktivitäten durchführen (Krafttraining). Die sitzende Zeit, insbesondere Bildschirmzeit, sollte begrenzt werden.
In der Ernährung raten die Kardiologen dazu, dass Kinder ausreichend frühstücken, Zwischenmahlzeiten vermeiden, drei Mahlzeiten und nicht mehr als zwei Snacks pro Tag zu sich nehmen. Die Portionsgrößen sollten begrenzt, energiereiche und nährstoffarme Lebensmittel wie Fruchtsäfte oder Fast Food gemieden werden. Die Aufnahme von unverarbeitetem Obst, Gemüse und ballaststoffreichem Getreide sollte erhöht und die Fett- und Zuckeraufnahme sollte begrenzt werden.
Den Kardiologen ist bewusst, dass Appelle allein zu keiner Änderung des Verhaltens führen. Sie fordern deshalb die politischen Entscheidungsträger auf, mehr Plätze zu schaffen, an denen die Kinder Spaß an sportlicher Aktivität haben. Den Schulen käme eine wichtige Rolle bei der Ernährung zu, nicht nur durch gesunde Mahlzeiten in den Mensen, sondern auch durch die Behandlung von Ernährung und Bewegung im Unterricht.
Die Eltern und Freunde sollten nach Möglichkeit in diese Aktivitäten einbezogen werden, weil sie einen deutlichen Einfluss auf den Lebensstil der Kinder und damit auf ihr Körpergewicht haben.
Einen negativen Einfluss haben nach Einschätzung der Kardiologen die Medien. Die meisten Kinder würden heute bis zu 200 Mal pro Woche in den sozialen Medien mit der Werbung und der Vermarktung von Produkten wie Fast Food und zuckerhaltigen Getränken konfrontiert.
Die Task Force fordert, dass die Vermarktung ungesunder Lebensmittel und Getränke insbesondere an Schulen minimiert oder verboten werden sollte, da sie das Verhalten von Kindern nachhaltig beeinflusse. Stattdessen sollte ein gesunder Lebensstil gefördert werden und zwar in einer Weise, die „Spaß macht und cool ist“, fordern die Kardiologen.
Kinder, die bereits fettleibig sind, benötigen eine individuelle Therapie. Dabei müsse verhindert werden, dass die betroffenen Kinder durch die Behandlung stigmatisiert werden, denn mit der Ausgrenzung übergewichtiger und fettleibiger Kinder steige die Gefahr, dass es zu Essstörungen kommt und die Inaktivität der Kinder weiter zunehme.
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