Ärzte erleben häufig Gewalt am Arbeitsplatz

Berlin/Kiel – Ärzte erleben häufig sowohl verbale als auch körperliche Gewalt im beruflichen Kontext. Das zeigen heute zwei neue Umfragen von der Ärztekammer Schleswig-Holstein und dem Marburger Bund (MB).
Verbale Gewalt habe die deutliche Mehrheit der angestellten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland demnach bereits erlebt. Lediglich elf Prozent der im vergangenen Herbst befragten 9.649 Ärzte, die Mitglied beim MB sind, hätten noch nie Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen im beruflichen Kontext erlebt.
Zwölf Prozent der Befragten gaben an, dies häufig zu erfahren und ein Drittel berichtet von entsprechenden manchmal erlebten Situationen. Körperliche Gewalt hat zudem bereits jeder Zehnte (zwölf Prozent) manchmal oder häufig erfahren, zeigt die Umfrage des MB weiter. Selten hatten 42 Prozent der Befragten körperliche Gewalt gegen sich oder andere Mitarbeitende erlebt.
Gewalt geht vor allem von Patienten aus
Der Umfrage der Ärztegewerkschaft zufolge geht die Gewalt hauptsächlich von Patienten aus (75 Prozent), an zweiter Stelle stehen Angehörige oder Bekannte von Patienten (52 Prozent). Ärzte sind aber auch Gewalt von Mitarbeitenden ausgesetzt (14 Prozent). Bei dieser Frage waren Mehrfachantworten möglich.
Diese Situation führe dazu, dass der Arbeitsplatz im Krankenhaus nicht mehr sicher sei, erklärte heute die erste Vorsitzende des MB, Susanne Johna. Manche Ärztinnen und Ärzte gingen aufgrund dieser Gewalterfahrungen mit einem Unsicherheitsgefühl in die Kliniken, um dort zu arbeiten, bemängelte sie. Das dürfe nicht sein.
Gewalterfahrungen seien häufig in der Notaufnahme oder in der Rettungsstelle zu beobachten, weil Patientinnen und Patienten nach langer Wartezeit teilweise aggressiv würden, erklärte Johna. In diesen Situationen fehle oft das Verständnis, warum andere aufgrund der medizinischen Dringlichkeit etwas schneller drankommen würden.
Aber auch im sonstigen stationären Bereich werde häufig Gewalt gegen Ärzte beobachtet oder selbst erlebt. Knapp die Hälfte der Befragten gab zudem an, dass Gewalterfahrungen im beruflichen Kontext in den fünf vergangenen Jahren zugenommen hätten.
Zunahme von Gewalt beobachtet
Ähnliche Ergebnisse ergab die Onlinebefragung der Ärztekammer Schleswig-Holstein. 46 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass Gewalt gegen Ärzte in den vergangenen drei Jahren zugenommen hat. Eine Abnahme hat nur ein Prozent wahrgenommen. An der Befragung haben im Januar rund 1.700 der etwa 15.000 berufstätigen Kammermitglieder teilgenommen.
Bei dieser Umfrage waren 49 Prozent der befragten Mediziner bereits persönlich von Gewalt betroffen gewesen. 55 Prozent der Vorfälle betrafen den Angaben zufolge verbale Gewalt, wie Drohungen oder Beleidigungen, in 32 Prozent der Fälle gab es körperliche Angriffe. In jedem dritten Fall wurde die Polizei eingeschaltet.
Die Vorfälle haben der Ärztekammer-Umfrage zufolge verschiedene, zum Teil erhebliche Auswirkungen. 15 Prozent der befragten Mediziner litten unter psychischen Folgen wie Schlafstörungen, Albträumen oder Panikattacken, sagte die Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Doreen Richardt bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse. Fünf Prozent benötigen demnach eine Therapie zur Verarbeitung der Erlebnisse. In zehn Prozent der Fälle führten die Übergriffe zu körperlichen Verletzungen, etwa durch Bisse oder Schnittwunden.
„Die Ergebnisse haben ein erschreckendes Bild geliefert“, sagte Richardt. Besonders verheerend sei, dass Gewalttaten das Arzt-Patienten-Verhältnis nachhaltig verändere. So gaben 38 Prozent der befragten Medizinerinnen an, dass ihr Patientenverhalten nach einem Vorfall distanzierter und weniger empathisch geworden sei.
Weitere Sicherheitsmaßnahmen gefordert
Als Hauptgründe für die gestiegene Gewaltbereitschaft nennen die befragten Mediziner unter anderem eine zunehmende Anspruchshaltung von Patienten, Unzufriedenheit mit der Gesundheitspolitik sowie kulturelle Missverständnisse. Besonders häufig eskaliert die Situation der Umfrage zufolge im Zusammenhang mit der Forderung nach schnellen Terminen, bestimmten Rezepten oder Untersuchungen.
Viele Einrichtungen haben bereits reagiert: Rund die Hälfte der Praxen und Krankenhäuser hat Notfallknöpfe installiert, Fluchtwege angepasst oder Deeskalationstrainings durchgeführt, wie Richardt weiter sagte. Auch Sicherheitsdienste und Hausverbote gehörten zu den Maßnahmen, um das Personal zu schützen.
Jede Gesundheitseinrichtung müsse sich diesem Thema widmen, forderte auch MB-Vorsitzende Johna. Die Einrichtungen müssten prüfen, wo Gewalt besonders häufig stattfinde und wie man das Personal etwa mit Deeskalationstrainings entsprechend schulen könne. Zudem müsse auch geprüft werden, inwiefern das Gesundheits- mit Sicherheitspersonal geschützt werden könne. Auch die Einrichtung von Notfallknöpfen könnte eine wirkungsvolle Sicherheitsmaßnahme sein, erklärte Johna.
Sie sprach sich dabei nicht für eine vollumfängliche Videoüberwachung aus, denn insbesondere in Behandlungszimmern dürfe aus gutem Grund nicht gefilmt werden. Der Arzt-Patienten-Kontakt müsse zudem vertrauensvoll bleiben. Stattdessen müsse man dafür sorgen, dass Ärzte nicht alleine vor Ort seien, sondern genügend Personal vorhanden sei, um entsprechende Situationen zu vermeiden.
Darüber hinaus brauche es strengere Gesetze zur Ahndung von Gewalttaten sowie eine schnellere Bearbeitung von Beschwerden, ergänzte Richardt. Einigen Forderungen werde man zügig nachkommen, sagte sie.
„Wir werden eine Aufklärungskampagne für Patienten über angemessenes Verhalten gegenüber dem medizinischen Personal entwickeln und erneut Trainings zur Gewaltprävention und Deeskalation für das medizinische Personal anbieten.“
Weiter brauche es eine gesamtgesellschaftliche Debatte über den Umgang mit medizinischem Personal und eine konsequente Ahndung von Gewalt gegen Ärzte. „Die Gesundheit und Sicherheit derjenigen, die tagtäglich für das Wohl der Patienten sorgen, darf nicht gefährdet werden“, sagte Richardt.
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