Ärzteschaft

Ambulante Versorgung: KV Westfalen-Lippe macht Reformvorschläge

  • Dienstag, 8. April 2025
/picture-alliance, Klaus Rose
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Dortmund – Wegen des demografischen Wandels muss die ambulante Versorgung aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) dringend reformiert werden. Die Interessenvertretung von mehr als 16.000 niedergelassenen Vertragsärzten und Psychotherapeuten hat heute in Dortmund mehrere Vorschläge dafür vorgestellt.

Dazu zählen die Einführung eines Bezugspraxensystems und einer Honorierungsform für Praxis-Patienten-Kontakte, um medizinisch nicht nötige Arzt-Patienten-Kontakte zu verringern. In der Akut- und Notfallversorgung soll die bestehende Hotline 116117 des ärztlichen Bereitschaftsdienstes demnach eine zentrale Rolle bekommen.

Das Vorschlagspapier trägt den Titel „Baustein für Baustein – ein starkes Fundament für die ambulante Versorgung der Zukunft“ und adressiere Probleme der Unter-, Über- und Fehlversorgung, wie der KVWL-Vorstandschef Dirk Spelmeyer sagte. Die Überlegungen dazu hätten bereits im vergangenen Jahr begonnen.

Von der künftigen Bundesregierung forderte die KVWL einen „echten Politik- und Stilwechsel“. Mit einigen der Vorschläge habe man erhebliche Unterstützung im NRW-Gesundheitsministerium (MAGS) gefunden, wo es Arbeitsgruppen zum Thema gegeben habe, so Spelmeyer. Kürzlich waren bereits Ideen aus einem entsprechenden Arbeitspapier des MAGS bekannt geworden. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.

Spelmeyer sprach von großen Ähnlichkeiten zwischen beiden Papieren, worüber man sehr froh sei. Die KVWL will ihr Versorgungspapier nun bei einer Klausurtagung mit allen KV-Vorständen Anfang Mai in Berlin einbringen, wie die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Anke Richter-Scheer sagte. Dabei solle auch anhand von Vorschlägen der anderen KVen ein gemeinsames Positionspapier für die Politik ausgearbeitet werden.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann war einer der Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Deren Ergebnisse kursieren ebenfalls, darin wird für grundlegende Reformen der ambulanten Versorgung in Deutschland plädiert.

Bezugsarztpraxen als Anlaufstelle für Patienten

Für die Regelversorgung schlägt die KVWL eine Veränderung hin zu klareren Strukturen vor. Innerhalb der freien Arztwahl sollen sich die Menschen eine sogenannte Bezugsarztpraxis suchen, an der sie angedockt werden, wie Spelmeyer sagte. Das Besondere sei dabei die Verbindlichkeit: Patientinnen und Patienten müssten sich dort nach Vorstellung der KVWL einschreiben, was auch auf der Versichertenkarte hinterlegt werden müsse.

Mit dieser Information könnten Praxen schon bei der Anmeldung erkennen, ob ein Patient auch tatsächlich an der richtigen Stelle ist und bei Bedarf an die festgelegte Bezugsarztpraxis als erste Anlaufstelle weiterverweisen. Von Sanktionen oder Gebühren halte man nichts, betonte Spelmeyer.

Dem Konzept der KVWL zufolge muss es sich bei der Bezugsarztpraxis nicht zwingend um eine Haus- oder Kinderarztpraxis handeln, es könnten auch grundversorgende Facharztpraxen sein. Spelmeyer nannte als Beispiel Menschen mit Krebserkrankungen, die regelmäßig ihren Onkologen aufsuchen. Sie könnten auch von diesem Facharzt zum Hausarzt geschickt werden, wenn beispielsweise eine Überprüfung des Bluthochdrucks anstehe.

Praxisteams statt Einzelkämpfertum

Aus Sicht der KVWL sollte sich auch die Arbeitsweise der Praxen verändern. Die Ärztinnen und Ärzte sollen sich primär um Erkrankte kümmern können, während Teammitglieder Aufgaben im Praxisalltag übernehmen: von Wiederholungsrezepten über die Versorgung chronischer Wunden bis hin zur Versorgung gut eingestellter Diabetiker etwa mit Diätplänen, so Spelmeyer.

„Wir lösen uns davon, dass es immer einen Arzt-Patienten-Kontakt geben muss“, betonte Spelmeyer. Das sei der entscheidende Unterschied zwischen dem Bezugspraxensystem und dem vieldiskutierten Primärarztsystem, dessen Einführung die AG Gesundheit vorgeschlagen hat. Bisher ist offen, inwieweit dies in einen Koalitionsvertrag übernommen werden könnte.

Bereits heute gebe es hochqualifizierte Kräfte in Praxen, wie die nicht ärztliche Praxisassistenz, die zur Entlastung der Niedergelassenen wichtig seien, betonte Richter-Scheer. Diese gute Arbeit müsse aber angemessen bezahlt werden. Daher werde man einen Zuschlag für Teampraxen fordern.

Die Entwicklung hin zu solchen Praxen sei alternativlos, auch in Hinblick auf den Erhalt der Praxislandschaft in ländlichen Gebieten, sagte Richter-Scheer. Man müsse sich von der Vorstellung der Einzelpraxis verabschieden. Dies passe auch zu den Vorstellungen der jüngeren Generation von der Balance zwischen Arbeit und Privatleben sowie zum wachsenden Frauenanteil in der Ärzteschaft.

Bundesweit digital fitte Praxen gefordert

Entscheidend für solche Praxen sei, dass man sie digital fit mache, so Richter-Scheer weiter. „Wir fordern als KV Westfalen-Lippe dringend ein sogenanntes bundesweites Praxiszukunftsgesetz.“

Beispielsweise brauche es ein Investitionsförderprogramm, damit Praxen ohne größeren bürokratischen Aufwand über die Länder-KVen Förderanträge stellen könnten, um Ausstattung und Betrieb einer digitalen Praxis zu realisieren.

Die nächste Bundesregierung müsse sich mit dem Thema unbedingt auseinandersetzen. „Es geht nicht um die Ärzte, es geht auch nicht um einen Mehrverdienst“, sondern es gehe um die Versorgung der Bevölkerung.

Im Papier ist auch eine Förderung des Austauschs veralteter Softwaresysteme und von Investition in zukunftsfähige Technologie durch eine Anreizvergütung als Ziel genannt.

Verbindliche Rolle der Hotline 116117 gewünscht

Der Vorschlag zur 116117 basiert auf dem bisher ungesteuerten Zustrom von Menschen mit Bagatellerkrankungen in Notfallstrukturen, über den schon lange geklagt wird. Der KVWL schwebt vor, Abhilfe dadurch zu schaffen, dass Patienten sich künftig zuerst und verbindlich für eine Ersteinschätzung an die Hotline wenden müssen.

Von dort könnten sie, falls überhaupt akut erforderlich, weiter in die individuell geeigneten Strukturen geleitet werden. Die KVWL fordert für eine solche Lösung ein verändertes Finanzierungsmodell: „Diese verpflichtende Inanspruchnahme bedeutet automatisch, dass die Finanzierung dieses Systems, die alleine auf den Schultern der Ärztinnen und Ärzte in Westfalen-Lippe beruht, umgestellt werden muss in eine andere Finanzierung – eine staatliche, durch die Krankenkassen oder wie auch immer“, sagte Spelmeyer.

Außerdem müsse die 116117 mit dem Feuerwehrnotruf 112 zusammen gedacht werden. Es sei unabdingbar, dass beide Nummern sich digital zusammenschlössen, um Fälle zwischen beiden Feldern umschichten zu können, so der Vorstandsvorsitzende.

Für die Patientinnen und Patienten hätte eine solche Steuerung den Vorteil, auch in der Notfallsituation direkt ein Terminangebot erhalten zu können, zum Beispiel in Praxen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, wie Spelmeyer erläuterte. Lange Wartezeiten könnten so vermieden werden.

Der Paradigmenwechsel, vor dem man stehe, lasse sich nicht binnen drei Monaten oder einem Jahr erledigen, machte Spelmeyer deutlich. „Das wird eine lange Entwicklungsphase sein.“ Es gelte, die Bevölkerung mitzunehmen, die sich von den bisherigen Vorstellungen über die ambulante Versorgung trennen müsse.

Der Bekanntheitsgrad der 116117 kann nach seiner Vorstellung durch die dortigen guten Leistungen und hohe Qualität wachsen: Wenn Patienten dies erlebt hätten, dann merkten sie sich das auch. Es sei auch bereits gelungen, die Hotline etwa durch Werbemaßnahmen bekannter zu machen.

ggr

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