AMNOG Pro und Contra: Sollen neue Wirkstoffe mit Generika verglichen werden dürfen?
Berlin – Seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes gibt es immer wieder Streit um die frühe Nutzenbewertung. In deren Rahmen legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine zweckmäßige Vergleichstherapie fest, ein bereits zugelassenes Medikament also, mit dem das neue Arzneimittel verglichen wird. Pharmafirmen kritisieren nun, dass der G-BA auch preisgünstige Generika als Vergleichstherapie festgelegt hat.
Boehringer Ingelheim beispielsweise hat nach einer solchen Entscheidung die Preisverhandlungen über ihr Arzneimittel Trajenta mit dem Wirkstoff Linagliptin abgebrochen. Sollen neue Wirkstoffe mit Generika verglich werden dürfen? In „pro und contra“ geben IQWiG-Leiter Jürgen Windeler und die Hauptgeschäftsführerin des Verband forschender Arzneimittelhersteller, Birgit Fischer, die Antwort.
Pro: Jürgen Windeler (IQWiG): Patentschutz ist unerheblich
Ja, denn es gibt medizinische und wirtschaftliche Gründe dafür. Bei der frühen Nutzenbewertung geht es um den Zusatznutzen neuer Wirkstoffe, die mit dem Behandlungsstandard (zweckmäßige Vergleichstherapie) verglichen werden. Dabei ist es aus medizinischer Sicht unerheblich, ob es sich um ein Arzneimittel mit oder ohne Patentschutz oder überhaupt um ein Arzneimittel handelt.
Mit der Zulassung ist davon auszugehen, dass es keine relevanten Unterschiede zwischen patentgeschützten Wirkstoffen und Generika gibt. Darauf basiert die Aut-idem-Regelung. Deshalb besteht auch kein Anlass, Generika bei der Bewertung des Zusatznutzens auszuschließen.
Bei der Wahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie im G-BA geht es vereinfacht um die beste Therapie. Wenn die Datenlage für einen nicht mehr patentgeschützten Wirkstoff besser ist als für einen patentgeschützten, gibt es keinen medizinischen Grund, den patentgeschützten als Vergleichstherapie festzusetzen. In dieser, an der medizinischen Versorgung und an der Datenlage orientierten Linie, hat der G-BA in sechs von insgesamt 21 Dossierbewertungen des IQWiG mindestens einen patentgeschützten Wirkstoff als Vergleichstherapie bestimmt.

Die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller sind nachvollziehbar, denn bei Generika ist der Bezugspreis niedriger. Doch dem steht das Interesse der Versicherten (Wirtschaftlichkeitsgebot) entgegen. Das AMNOG soll ja gerade die bisher „automatische“ Orientierung an den jüngsten, also höchsten und von Herstellern bestimmten Preisen abschaffen. Und das erste abgeschlossene Verfahren zeigt bereits, dass sich offenbar auch ein zufriedenstellender Preis erzielen lässt – trotz des Vergleichs mit einem Generikum.
Contra: Birgit Fischer (vfa): Entscheidend ist die Patientenperspektive
Die Frage, ob Generika mit innovativen Arzneimitteln in der frühen Nutzenbewertung verglichen werden können oder nicht, eignet sich nicht für einen Grundsatzstreit. Denn der Vergleich zwischen Generika und innovativen Arzneimitteln ist nicht per se „richtig“ oder „falsch“. Es ist vielmehr fallweise zu entscheiden, ob ein solcher Bezug angemessen ist. Und dabei muss der Patientennutzen im Mittelpunkt stehen, methodisch abgesichert, aber frei von verdeckten Sparvorgaben. Neue Wirkstoffe sind dann innovativ und haben einen Nutzen für Patienten, wenn sie helfen, die Versorgung zu verbessern. Das muss unsere Richtschnur sein!
Um eine faire frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln zu gewährleisten, sollte die Auswahl der Vergleichstherapie an der Versorgungspraxis ausgerichtet werden. Zudem sollte klar sein, dass bei der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie die medizinische Beurteilung nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin maßgeblich ist. Ergänzend sind die Leitlinien der medizinisch-wissenschaftlichen Fachkreise zur Beurteilung heranzuziehen. So kann gewährleistet werden, dass medizinische Aspekte nicht durch Kostenaspekte verdrängt werden, dass also der Patientennutzen nicht außer Sichtweite des Systems gerät.

Erst in der zweiten Stufe des AMNOG-Verfahrens – bei den Verhandlungen zwischen dem pharmazeutischen Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband über den Erstattungsbetrag – sollten dann Kostenaspekte im Zentrum stehen. Die Auswahl der Vergleichstherapie sollte frei von ökonomischen Fragestellungen Aussagen über den therapeutischen Wert innovativer Arzneimittel ermöglichen.
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