Andreas Gassen: „Wir werden nicht über jedes Stöckchen springen.“
Düsseldorf – Heimspiel für den Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Andreas Gassen war am 5. Mai zu Gast in Düsseldorf bei einer Diskussionsveranstaltung der Vereinigung Liberaler Ärzte Nordrhein-Westfalen. Gassen nutzte die Gelegenheit zu einer Tour d’horizon über das, was aktuell auf der gesundheitspolitischen Agenda der KBV steht.
Das Thema Wartezeiten bezeichnet der KBV-Vorsitzende als einen „populistischen Popanz, der mit einem gewissen Zielsetzung aufgebaut wird. Denn diese Wartezeitendiskussion ist in gewisser Weise die letzte Möglichkeit, den Trojaner Bürgerversicherung noch einmal zu reaktivieren, weil man da das Thema Zweiklassenmedizin noch einmal spielen kann.“
Politiker seien beim Thema Wartezeiten sensibel und würden den Druck gerne weiter geben, urteilte Gassen. „Im Klartext: Das Wartezeitenproblem steht im Koalitionsvertrag, und das wollen die gelöst haben. Wenn wir keine Selbstverwaltungslösung anbieten, dann kommt das ins Gesetz. Die KBV lehnt zwar grundsätzlich den Eingriff in das Terminmanagement der Praxen ab, wird aber wohl nicht darum herum kommen, eine eigene schlanke Selbstverwaltungslösung zu präsentieren.“
Gassen kritisierte auch die vom GKV-Spitzenverband ausgerufene ärztliche Überversorgung. Die Arztzahlauswertung der KBV zeige relativ klar, dass das Durchschnittsalter der Ärzte dramatisch nach oben gehe; jetzt schon seien 44 Prozent der Vertragsärzte zwischen 50 und 59 Jahre alt. Die Zahl der angestellten Ärzte in der Praxis und die Zahl der Frauen in der vertragsärztlichen Versorgung würden zunehmen.
Zudem komme, dass die jüngere Ärztegeneration die Selbstausbeutung mit 54-55 Stunden Arbeitszeit in der Woche und Hausbesuchen am Wochenende nicht mehr mitmache. „Trotz immer noch steigender Arztzahlen sinkt die Nettoleistung am Patienten. Wir können deshalb nicht nur Köpfe zählen, wir müssen Bedarfsplanungsgewichte erstellen – das ist alles sehr komplex.“
Das Grundproblem des begrenzten Honorars werde es auch weiterhin geben; „egal wie wir den nächsten EBM reformieren, er bringt zunächst einmal kein neues Geld“, machte der KBV-Vorsitzende deutlich. Mit Umverteilen komme man nicht weiter – „diejenigen, denen man etwas wegnimmt, sind unzufrieden, und diejenigen, denen man etwas gibt, auch, weil es viel zu wenig ist.“ Für Gassen kommt als einziger Lösungsweg infrage, dass man versucht, bestimmte Leistungen zu definieren und auszubudgetieren.
„Das wird unsere große Aufgabe in diesem Sommer sein, wenn es wieder in die Honorarrunden geht. Ich bin der Meinung, dass man eine solche Grundleistung sehr wohl definieren und auch ausbudgetieren kann, und man kann diese auch für alle gleich machen. In der GOÄ ist das genauso, und da beklagt sich keiner. Deshalb mein Petitum: Eine Leistung für alle gleich, und für alle raus. Dann haben wir erstmals eine Leistung zu einem festen Preis und nicht mehr mit einer Muschelwährung. Das bringt nicht unmittelbar mehr Honorar, wirkt aber mittelfristig.“
Mittlerweile gebe es viele Fächer, sagte Gassen, bei denen die Ärzte in Weiterbildung wesentliche Inhalte in der Klinik kaum mehr vermittelt bekämen. Viele Krankenhäuser „fahren über die DRG-Systematik relativ engspurig, können das ja auch gar nicht anders.“ Gassen verwies auf den Antrag auf dem vergangenen 116. Ärztetag, mit dem verpflichtende ambulante Weiterbildungsinhalte/-zeiten definiert werden sollten. Das sei auf den Widerstand der Bundesärztekammer (BÄK) gestoßen, nicht ganz unerwartet, weil der Marburger Bund gut in der BÄK vertreten sei. Hier fühle sich wohl jemand im Tarifrecht angegangen und in einer originären Aufgabe der Kammern – das solle sie ja auch weiterhin bleiben, verwies Gassen.
Gassen hält es für falsch, die Gestaltung der Weiterbildung nach einem bestimmten Versorgungsbedarf auszurichten. „Meines Erachtens müsste die Weiterbildung so gestaltet sein, dass ein junger Kollege, der sich für ein Fachgebiet entscheidet, alle Möglichkeiten hat, diesen Beruf auch einmal auszuüben. Wichtig ist, dass die Kollegen ihr Fach in vollem Umfang lernen.“ Mit einer Stiftung, in die Geld aus der GKV und PKV fließen, soll erreicht werden, dass Ärzte in Weiterbildung künftig über das gleiche Einkommen wie in der Klinikweiterbildung verfügen.
Beim Entlassmanagement der Krankenhäuser sieht KBV-Vorstand Andreas Gassen erheblichen Handlungsbedarf. „Es ist nicht einzusehen, dass Krankenhäuser DRGs mit prä- und poststationären Leistungen abrechnen und die Patienten mit tropfender Drainagewunde in die Praxis schicken.“ Es dürfe auch nicht passieren, dass Patienten ohne Medikation am Wochenende aus dem Krankenhaus nach Hause kommen. „Wir wollen eine Mitgabe von Medikamenten für mindestens drei Werktage.“
Beim Thema Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) beurteilt Gassen das Vorgehen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisch. Grundsätzlich sei die ASV – von vielen misstrauisch beäugt - eine gute Idee. Von vielen werde sie aber extrem kritisch gesehen, weil man die Angst habe, von den Kliniken über den Tisch gezogen zu werden. Bei den Verhandlungen zur ASV sei es tatsächlich durchgehend darum gegangen, Vorstöße der Krankenhäuser abzuwehren.
„Alle fast schon aberwitzigen Regelungen, die wir da implementieren, dienen letztlich nur dazu, die vergleichsweise gleich langen Spieße auch gleich lang zu erhalten.“ Dies sei auch in einem sehr wichtigen Punkt gelungen – nämlich beim Facharztstatus. Dagegen hätten sich die Krankenhäuser mit aller Kraft gewehrt. „Die wollten den Facharztstandard – das ist etwas anderes.“ Denn da reiche es aus, wenn unter der Aufsicht des Chefarztes der Assistent in Weiterbildung eine Leistung erbringe.
Gassen: „Der Selektivvertrag ist derzeit einfach Realität, es wäre naiv anzunehmen, dass wir den jetzt einfach wegbekommen. Der Kollektivvertrag braucht den Selektivvertrag genau so, wie er die GOÄ braucht.“ Ein Selektivvertrag könne ja auch ein Ansporn sein, das KV-System etwas attraktiver zu gestalten. „Wir wünschen uns beim Selektivvertrag, dass die KVen Partner werden könnten. Es wäre vielen Kollegen auch gar nicht so unrecht, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Glückseligkeit der Kollegen mit den neuen Selektivverträgen nicht so ganz vollkommen ist.“
Gassen sieht die Positionen von CDU und SPD in der Gesundheitspolitik gar nicht so weit auseinander. Er befürchtet, „dass bei diesem Koalitionsvertrag vieles direkt in ein Gesetz fließt, und zwar mit hoher Geschwindigkeit. Der Politik wäre es am liebsten, die KBV wäre so eine Art Exekutivbehörde für das Ministerium. Wir werden versuchen, da hart am Wind zu segeln. Wir können natürlich den körperschaftlichen Auftrag nicht komplett ignorieren, aber wir können und werden nicht über jedes Stöckchen springen.“
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