Antidiabetikum senkt Herz-Kreislauf-Risiko, könnte aber Augen schädigen
Kansas City – Die Behandlung mit Semaglutid, einem noch nicht zugelassenen GLP-1-Agonisten mit verlängerter Wirkdauer, hat in einer sogenannten Endpunktstudie die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse gesenkt. Es kam jedoch zu einem „unerwarteten“ Anstieg von Komplikationen der Retinopathie, wie die im New England Journal of Medicine (2016; doi: 10.1056/NEJMoa1607141) publizierte Studie zeigt, deren Ergebnisse auch auf der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes in München vorgestellt wurden.
Die US-Arzneibehörde FDA verlangt seit einiger Zeit, dass die Hersteller von Diabetesmedikamenten die kardiovaskuläre Unbedenklichkeit ihrer Präparate belegen. Die meisten dieser Endpunktstudien sind nach der Zulassung des Wirkstoffs durchgeführt worden. Für die DPP 4-Inhibitoren Alogliptin und Sitagliptin und den GLP 1-Agonisten Lixisenatid wurde kein Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen gefunden. Der SGLT 2-Hemmer Empagliflozin und der GLP-1-Agonist Liraglutid dagegen konnten in ihren Endpunktstudien die Rate von Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken, was ein wichtiger Zusatznutzen dieser Wirkstoffe ist.
Auch der noch nicht zugelassene GLP-1-Agonist Semaglutid, der aufgrund einer verzögerten Wirkung nur einmal wöchentlich subkutan verabreicht werden muss, hat jetzt in einer Endpunktstudie die Rate der Herz-Kreislauf-Ereignisse gesenkt. Der Nachweis gelang in der SUSTAIN 6-Studie, die 3.297 Patienten mit Typ 2-Diabetes auf eine Behandlung mit Semaglutid in zwei unterschiedlichen Dosierungen oder auf Placebo-Lösungen des gleichen Volumens randomisiert hat. Primärer Endpunkt war das erste Auftreten von Herzinfarkt, Schlaganfall oder einem Herz-Kreislauf-Tod.
Diese Ereignisse traten nach einer medianen Beobachtungszeit von 2,1 Jahren unter der Behandlung mit Semaglutid bei 108 von 1.648 Patienten (6,6 Prozent) auf. In den Placebo-Gruppen waren es 146 von 1.649 Patienten (8,9 Prozent). Steven Marso vom Research Medical Center, Kansas City, und Mitarbeiter errechnen eine Hazard Ratio von 0,74, die mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,58 bis 0,95 signifikant war. Semaglutid senkte damit die Rate von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 26 Prozent.
Dieser Vorteil war auf einen Rückgang der nicht-tödlichen Herzinfarkte (2,9 versus 3,9 Prozent; Hazard Ratio 0,74; 0,51-1,08) und der nicht-tödlichen Schlaganfälle (1,6 versus 2,7 Prozent; Hazard Ratio 0,61; 0,38-0,99) zurückzuführen, während es bei der Zahl der Herz-Kreislauf-Todesfälle keine Unterschiede zur Placebo-Behandlung gab.
Semaglutid senkte auch die Zahl der Patienten, bei denen es zu einem Neuauftreten oder einer Verschlechterung der Nephropathie kam (3,8 versus 6,1 Prozent; Hazard Ratio 0,64; 0,46-0,88). Im Endpunkt Retinopathie kam es jedoch zu einem Anstieg der Komplikationen (3,0 versus 1,8 Prozent; Hazard Ratio 1,76; 1,11-2,78): Dazu gehörten ein Anstieg der Patienten, die eine Lasertherapie (2,3 versus 1,2 Prozent) oder intravitreale Injektionen (1,0 versus 0,8 Prozent) benötigten oder bei denen es zu einer Glaskörperblutung (1,0 versus 0,4 Prozent) kam. Die Zahl der Erblindungen war dagegen nicht erhöht (0,3 versus 0,1 Prozent).
Warum es unter Semaglutid häufiger zu retinalen Komplikationen kommt, ist unklar. Eine mögliche Erklärung ist die gute Blutzucker-senkende Wirkung. Die HbA1c-Werte sanken unter der niedrigen Dosierung von Semaglutid um 1,1 Prozentpunkte und unter der höheren Dosierung von Semaglutid um 1,4 Prozentpunkte. Das ist mehr, als mit den meisten anderen Medikamenten zur Behandlung des Typ 2-Diabetes erreicht wird.
Aus der Behandlung des Typ 1-Diabetes ist bekannt, dass eine allzu rasche Blutzuckersenkung eine Retinopathie verschlechtern kann. Sollte diese Hypothese zutreffen, könnte die Komplikation durch eine einschleichende Dosierung verhindert werden. Eine direkte toxische Wirkung von Semaglutid auf die Augen ist laut Marso aber nicht auszuschließen.
Der Hersteller will die klinische Entwicklung von Semaglutid aufgrund der günstigen Auswirkung auf die Herz-Kreislauf-Ereignisse fortsetzen. Bei der Planung der anstehenden Zulassungsstudie dürften die möglichen Auswirkungen auf die Augen und wie sie verhindert werden können eine wichtige Rolle spielen. Angesichts der Vielzahl anderer Antidiabetika dürfte ein Medikament, das die Augen schädigt, kaum Chancen auf eine Zulassung haben.
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