Arzneimittelsicherheit rund um die Schwangerschaft: häufig nachgefragte Präparate und Grenzen der Plattform Embryotox

Berlin – Mehr als vier Millionen Laien und Fachleute haben im Jahr 2023 die unabhängige Internetplattform Embryotox aufgesucht, um sich über mögliche teratogene oder fetotoxische Risiken in der Schwangerschaft und Stillzeit zu informieren.
Eine Online-Umfrage zur Evaluation des Portals unter gut 14.500 Nutzenden, die bei einem Workshop beim 6. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie in Berlin vorgestellt wurde, ergab zudem: Bei etwa jedem zehnten Besuchenden handelte es sich um einen Arzt oder eine Ärztin, vor allem aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin (22,7 %, n=381) und der Gynäkologie (27,2 %, n=456) (Kongress-Abstracts).
Drei von vier Embryotox-Besuchenden sind Patientinnen und Patienten, knapp 40 Prozent auf ärztliche Empfehlung. Bei mehr als der Hälfte der Nutzer ändert sich die Risikoeinschätzung, nachdem sie das Portal zu Rate gezogen haben. Meistens ist das Risiko niedriger als gedacht, in gut 16 Prozent wird es jedoch höher eingeschätzt als zuvor vermutet.
„Der Bedarf an diesen Informationen ist unglaublich hoch“, berichtete Katarina Dathe, Ärztliche Leiterin des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum (PVZ) für Embryonaltoxikologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Denn eine Arzneimittelbehandlung während der Schwangerschaft sei eher die Regel als die Ausnahme: 80 bis 90 Prozent der Schwangeren nehmen Medikamente.
„Die allermeisten Medikamente sind so klein in ihrer Molekularstruktur, dass sie plazentagängig sind“, so die Fachärztin für Humangenetik. Eine Ausnahme seien zum Beispiel Biologika im ersten Trimenon.
Derzeit gibt es zirka 400 Wirkstoffseiten auf der Embryotox-Plattform. Mit Abstand am häufigsten werden die Arzneimittel Ibuprofen und Paracetamol gelesen (siehe Kasten). Ibuprofen (wie auch andere nicht-steroidale Antiphlogistika/Antirheumatika, NSAID) seien klar kontraindiziert im 3. Trimenon, erklärte Dathe.
Aufgrund neuer Erkenntnisse und aktualisierter Fachinformationen vor etwa 2 Jahren, habe man die Einschätzung der Arzneimittelsicherheit für Ibuprofen und andere NSAID aktualisiert: „Man soll bei langfristiger Einnahme auch bereits im 2. Trimenon ab der 20. Schwangerschaftswoche zurückhaltend sein, weil es dadurch zu einer Verringerung des Fruchtwassers kommen kann“, berichtete Dathe (Risikoinformation NSAID, BfArM).
Über die wichtigsten teratogenen und fetotoxischen Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit hatten Katarina Dathe und Christof Schaefer, ebenfalls vom PVZ an der Charité bereits 2019 im Deutschen Ärzteblatt berichtet.
Wichtige Anhaltspunkte zum Einsatz potenziell schädlicher Arzneimittel gab zudem der Barmer Report 2021 zum Schwerpunktthema Arzneimitteltherapie Schwangerer und die Arzneimitteltherapie von Frauen im gebärfähigen Alter. Das Ergebnis: 153.653 Frauen – das heißt 7,8 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter – waren von der Verordnung eines potenziell teratogenen Arzneimittels betroffen.
Schon vor der Schwangerschaft sollte eine Nutzen-Risiko-Abwägung stattfinden, empfahl Veronika Lappe, Ko-Autorin des Barmer-Reports von der Universität zu Köln. Immerhin ist eine von drei Schwangerschaften ungeplant. „Aber auch eine unterlassene Therapie kann schaden“, betonte Lappe.
Einige Arzneimittel fehlen auf der Embryotox-Plattform
Die Embryotox-Plattform bildet nicht alle Arzneimittel ab. Für einen weiteren Informationsausbau wären zusätzliche Ressourcen nötig, erklärte Dathen. Neuere Antibiotika und bestimmte Antihypertensiva fehlen daher auf der Webseite.
Auch Homöopathika würden immer wieder angefragt, könnten aber aufgrund mangelnder Studien nicht umfassend bewertet und abgebildet werden, so Dathe. Denn für jedes Arzneimittel wird eine ausführliche Bewertung vorliegender Studien durchgeführt, wobei unter anderem eine modifizierte Variante der Newcastle-Ottawa Scale zur Anwendung kommen, um die Evidenz und das Biasrisiko einzuordnen.
Neue Medikamente nimmt das Team der Charité aktuell aus Kapazitätsgründen nur in besonderen Fällen auf. So wurde zuletzt aufgrund vermehrter Nachfragen Lisdexamfetamin (Prodrug von Dexamfetamin) ergänzt, das zur Behandlung von ADHS verwendet wird, berichtete Marlies Onken, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Teil des Embryotox-Teams. „Eine andere Ausnahme ist Vilanterol, das mit aufgenommen wurde.“ Es dient der Behandlung von Asthma und COPD.
Keine Seite gebe es derzeit hingegen zu Modafinil – ein Präparat zu dem es einen Rote Hand Brief gab, erklärte Onken. Das Deutsche Ärzteblatt hat über die fragliche Teratogenität des Psychostimulans berichtet. Onken erinnert sich auch an regelmäßige Anfragen aus Kliniken, die sich absichern möchten etwa zu den Opioiden Tapentadol oder Nalbuphin – zu beiden Schmerzmitteln bietet Embryotox derzeit keine Online-Information zur Einordnung des Risikos in der Schwangerschaft und Stillzeit.
In einigen wenigen Fällen, in denen eine zeitnahe notwendige Aktualisierung nicht möglich ist, stellt das Embryotox-Team auch Seiten zu bestimmten Arzneimitteln vorübergehend blind. So ist es derzeit etwa der Fall bei den beiden Antiepileptika Oxcarbazepin und Gabapentin: „Das Blindstellen der entsprechenden Arzneimittelseiten hatte nichts mit den in den Medien diskutierten Todesfällen zu tun“, erklärte Onken auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts.
Beide Antiepileptika hatten eine graue Ampelfarbe, was bedeutet, dass es sich um Medikament mit widersprüchlichen oder noch unzureichenden Studienergebnissen handelt. Diese Einstufung werden beide vermutlich behalten, schätzt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Es seien jedoch Studien dazugekommen, die den Erfahrungsumfang relevant erhöhen, was oft ein wichtiges Kriterium sei, wenn es um das Abwägen zwischen verschiedenen Alternativen gehe.
Das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum (PVZ) für Embryonaltoxikologie (Embryotox) gehört zur Charité Berlin und berät seit 1988 Ärzteschaft und Schwangere. Embryotox, das sich durch öffentliche, Industrie-unabhängige Gelder finanziert, hat sich seitdem zu einem der größten europäischen Referenzzentrum für Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft entwickelt.
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