Politik

Ärzte, Kassen und Industrie uneinig über Weiterentwicklung der Arzneimittelpreisbildung

  • Mittwoch, 26. Februar 2025
/lesslemon, stock.adobe.com
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Berlin – Die Vorstellungen über die Weiterentwicklung der Preisbildungsmechanismen bei neuen Arzneimitteln gehen zwischen Ärzteschaft, Krankenkassen und Pharmaindustrie weiterhin auseinander. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) beklagt eine mangelnde Versorgungsperspektive bei der Nutzenbewertung.

Seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2011 sei im Nutzenbewertungs- und Preisbildungsverfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) durch die zahlreichen gesetzlichen Nachbesserungen zusehends die Perspektive der Versorgung in den Hintergrund gerückt, erklärte Juliane Cornelsen, Leiterin der Abteilung Arzneimittel in der KBV, in Berlin.

„Tatsächlich fehlt uns in der Ärzteschaft oft, dass die therapeutische Relevanz im AMNOG ausreichend abgebildet wird“, betonte sie bei der „Jahrestagung Pharma 2025“ des Handelsblatts. Unter anderem müssten Versorgungsdaten methodisch schneller so angepasst werden können, dass sie für das AMNOG-Verfahren nutzbar werden, forderte sie. „Da ist die Methodik aber noch zu langsam.“

Auch bestehe bei der Anwendungsbegleitenden Datenerhebung (ABD) noch Optimierungsbedarf. „Die ABD läuft noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagte Cornelsen. Der Arbeits- und Kostenaufwand sei noch sehr hoch, der Output komme oftmals sehr spät. „Ich denke, das wird ein Thema sein, dem wir uns bei der Entwicklung eines AMNOG 2.0 widmen müssen.“

Zustimmung erhielt sie vom medizinischen Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) und Vorsitzenden der Kommission Arzneimittel der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Bernhard Wörmann.

Er kritisierte, dass die Patientenpopulationen in klinischen Studien oft nicht versorgungsnah genug gestaltet würden. Auch die Krebsregister seien „momentan leider keine Ressource, die wir nutzen“, betonte er. „Das ist bedauerlich.“

Zudem müsse erwogen werden, die gängigen Endpunkte der Studien besser an den wissenschaftlichen Fortschritt anzupassen. In seinem Fachgebiet, der Onkologie, sei beispielsweise das Gesamtüberleben als Endpunkt oft nicht mehr zeitgemäß.

Angesichts der Erfolge moderner Krebstherapien, die vielen Patientinnen und Patienten ein langes Überleben mit Krebs als chronifizierter Erkrankungen ermöglichen würden, müssten Endpunkte wie Lebensqualität eine größere Rolle spielen.

„Orphanisierung der Krankheiten“

Auch müsse die AMNOG-Systematik künftig besser an die Erfolge bei der Erforschung der Krankheiten selbst angepasst werden. Er sehe die Herausforderung, anders als oft postuliert, weniger in der Orphanisierung von Arzneimitteln – also dem Zuschnitt der Indikationen, auf möglichst kleine Patientengruppen durch die Hersteller, um bei der Preisbildung die Sonderrechte für Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen in Anspruch nehmen zu können.

Stattdessen handele es sich vielmehr um eine „Orphanisierung der Krankheiten“, sagte er. Der wissenschaftliche Fortschritt ermögliche heute eine viel kleinteiligere Diagnose und Abgrenzung einzelner Indikationen voneinander, beispielsweise durch Biomarker. Das müsse sich künftig stärker im AMNOG widerspiegeln.

Wörmann plädierte dafür, bei einer – von allen Beteiligten als notwendig erachteten – Weiterentwicklung des AMNOG-Verfahrens zusätzlich zur heutigen frühen auch eine späte Nutzenbewertung durchzuführen.

Demnach sollte ungefähr drei bis fünf Jahre nach Beginn der Verfügbarkeit noch einmal eruiert werden, für welche Patientengruppen und in welchen Behandlungskontexten ein Arzneimittel einen höheren oder geringeren Zusatznutzen aufweist, als er den Erstattungspreisverhandlungen zugrunde gelegt worden war. Denn die Erfahrung würde zeigen, dass viele solcher Fälle gebe, in denen später bedeutende Erkenntnisse entstünden.

Dafür erhielt er Widerspruch vom Präsidenten des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel. „Wir sollten das AMNOG 2.0 so gestalten, dass wir es passend machen für das, was noch kommt, nicht für das, was wir bereits haben“, sagte er.

Der wissenschaftliche Fortschritt beschleunige sich gerade in der Onkologie kontinuierlich. Eine erneute Nutzenbewertung nach fünf Jahren wäre dann angesichts der zahlreichen Weiterentwicklungen und neuen Markteintritte pro Jahr meist schon überholt.

Aus Sicht der Krankenkassen stehe vor allem die Frage im Vordergrund, wie das System angesichts der stark steigenden Preise für patentgeschützte Arzneimittel aufrechterhalten werden kann, erklärte Sabine Jablonka, Leiterin der Abteilung Arznei-, Heil- und Hilfsmittel beim AOK-Bundesverband.

„Kontrahierungszwang der Kassen“

„Wir sind in einer sehr unfairen Situation“, beklagte sie. Denn anders als in anderen europäischen Ländern gebe es in Deutschland keine sogenannte vierte Hürde, also eine Abwägung der Kosteneffizienz als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit. Damit unterliege die gesetzliche Krankenversicherung faktisch einem Kontrahierungszwang und habe deshalb nur wenig Verhandlungsmacht gegenüber der Pharmaindustrie.

„Wir sind auch für mehr Wirtschaftlichkeit, aber ich glaube, wir definieren den Begriff anders als Sie“, wandte Steutel ein. Statt eines immer höheren Kostendrucks auf Arzneimittel müssten die Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion wieder unbürokratischer und wirtschaftlicher gestaltet werden.

Die Industrie investiere enorme Summen in die Forschung und Entwicklung, was zu immer effektiveren neuen Arzneimitteln führe. Es sei klar, dass diese nicht zu den gleichen Preisen angeboten werden können wie ihre Vorgängerpräparate.

Eine bessere Vergütung hatte zuvor auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Kai Joachimsen, mit Blick auf generische Arzneimittel gefordert. Hier sei in der jüngeren Vergangenheit vom Gesetzgeber sehr viel Schaden am AMNOG angerichtet worden.

Es sei „fahrlässig bis toxisch, an das klinisch saubere AMNOG neue Einschränkungen wie Kombinationsabschläge anzubauen“, kritisierte er. Der Basispreis liege bei vielen generischen Arzneimitteln mittlerweile bei sechs Cent pro Tagesdosis. „Ich kenne kein Produkt, bei dem so ein Preis angelegt wird, wahrscheinlich nicht einmal bei Kaugummis.“

Jablonka wandte sich zudem gegen das von der Industrie favorisierte Konzept Pay-for-Performance, also die leistungsbasierte Vergütung von Arzneimitteln. „Pay-for-Performance führt zu intransparenten Preisen und einem hohen Transaktionsaufwand. Das wollen wir nicht“, sagte sie. In Selektivverträgen könnten solche Modelle durchaus ihren Platz haben, für den Kollektivvertrag hingegen seien sie nicht geeignet.

Die KBV habe dazu keinen abgestimmten Standpunkt, betonte Cornelsen. „Wir können als Ärzte die Augen vor den steigenden Preisen nicht verschließen, aber wir haben auch noch keine genaue Idee, was zu tun ist“, räumte sie ein.

Wörmann plädierte demgegenüber für eine flexiblere Modellierung von Erstattungsmechanismen, zu denen auch Pay-for-Performance gehören könne, während Steutel das Modell verteidigte. Es sei „intrinsisch wirtschaftlich“, unterstrich er. „Pay-for-Performance ist nicht der Heilige Gral – aber wir haben im Moment nichts besseres.“

lau

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