Ärztegewerkschaft lehnt geplante Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit ab

Leipzig – Der Marburger Bund (MB) lehnt die von Union und SPD geplante Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit ab. Die Umstellung auf eine bloße wöchentliche Höchstarbeitszeit sei für das Gesundheitswesen „nicht sachgerecht“, betonten die Delegierten heute auf der 145. Hauptversammlung des MB in Leipzig.
„Es besteht die Gefahr, dass eine vollständige Auflösung der täglichen Höchstgrenzen die Belastung der bereits stark beanspruchten Beschäftigten nochmals erheblich steigert“, betonten die Delegierten des MB in einem Beschluss. „Die gesetzlichen und tariflichen Regelungen sind Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten, die bewahrt werden müssen.“
Zudem hat der MB die Bundesregierung dazu aufgerufen, sich von Versuchen zu distanzieren, das Streikrecht in Deutschland einzuschränken. Arbeitgeberseitige Ideen, wie der jüngst vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall vorgelegte „Gesetzentwurf zur Schlichtung von Tarifkonflikten“, seien ein verklausulierter Generalangriff auf das grundgesetzlich geschützte Streikrecht in Deutschland und damit auf die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insgesamt.
Darüber hinaus forderten die Delegierten die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes dazu auf, den Tarifvertrag für kommunale Kliniken zeitnah zu übernehmen. Der Marburger Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) haben im Januar dieses Jahres einen Tarifvertrag vereinbart, der unter anderem die Gehälter der Ärztinnen und Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern rückwirkend zum 1.Juli 2024 in drei Schritten bis zum Juni 2026 um insgesamt acht Prozent anhebt.
„Traditionell orientierte sich der Deutsche Caritasverband bei der Anpassung tariflicher Arbeitsbedingungen und Gehaltsentwicklungen an den Abschlüssen des TV-Ärzte/VKA, wenngleich es in der Vergangenheit immer wieder zu inhaltlichen Abweichungen und Abschlägen kam“, heißt es zur Erklärung in einem Beschluss. Bislang sei eine Übernahme jedoch nicht erfolgt.
„In der Folge sind rund 35.000 Ärztinnen und Ärzte, die in katholischen Krankenhäusern beschäftigt sind, deutlich schlechter gestellt als ihre Kolleginnen und Kollegen, die in kommunalen Einrichtungen unter denselben Belastungen arbeiten“, kritisierte der MB.
Diese Situation mache einmal mehr deutlich, dass der „Dritte Weg“ nicht geeignet sei, über faire Arbeits- und Vergütungsbedingungen für Ärzte auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln. Als Dritter Weg wird die Praxis der kirchlichen Arbeitgeber bezeichnet, Löhne ohne Beteiligung von Gewerkschaften auszuhandeln.
Notfallversorgung und Rettungsdienst reformieren
Der Marburger Bund hat darüber hinaus eine Reihe von Beschlüssen gefasst, etwa zur Notfallversorgung, zu Lachgas, zur Schmerztherapie, zu Bachelorabschlusses in den Studiengängen Humanmedizin, Zahnmedizin und Pharmazie oder auch appbasierten Ersthelferalarmierungssystemen.
Eine Reform der Notfallversorgung halten die Delegierten zum Beispiel für dringend und zeitnah notwendig. „Die Notfallreform muss zwingend mit der Krankenhausreform in Einklang gebracht werden, unter anderem im Hinblick auf die Standortzuweisung für Integrierte Notfallzentren“, betonten die Delegierten des MB.
„Die Integrierten Notfallzentren müssten dabei flächendeckend und bedarfsgerecht etabliert werden. Zudem forderte der MB, Regelungen für eine verbindliche Patientensteuerung zu etablieren, um Patienten in die passende Versorgungsebene leiten zu können.
Auch eine Reform des Rettungsdienstwesens mahnten die Delegierten des MB an. „Angesichts steigender Einsatzzahlen und länger werdender Transportwege ist eine Stärkung der rettungsdienstlichen Strukturen in den Ländern überfällig“, betonten sie. Dazu gehöre unter anderem der Ausbau notwendiger Rettungsmittelkapazitäten an den Standorten, an denen durch Veränderungen in der Krankenhauslandschaft längere Transportzeiten zu erwarten seien.
„Den Ausbau der telenotärztlichen Unterstützung in der Notfallversorgung verstehen wir als zusätzliches Angebot und nicht als Maßnahme, um Notärztinnen und Notärzte vor Ort zu ersetzen“, heißt es weiter in dem Beschluss. „Überlegungen, den Einsatz von Notärzten weitgehend auf Telemedizin und Luftrettung zu begrenzen, lehnen wir ab.“
Lachgas verbieten
Der Marburger Bund spricht sich auch für die schnellstmögliche Umsetzung eines Abgabe- und Erwerbsverbots von Distickstoffmonoxid, auch Lachgas genannt, im privaten Bereich aus. „Die Folgen des uneingeschränkten Zugangs zu Lachgas, auch für Minderjährige – teils aus Automaten und über den Versandhandel –, sind gravierend“, erklärten die Delegierten.
„Als behandelnde Ärztinnen und Ärzte der häufig sehr jungen Patientinnen und Patienten erleben wir in den Kliniken einen massiven Anstieg von schwersten, irreversiblen, neurologischen Schäden wie Querschnittslähmungen, partielle Nervenschäden, Hypoxieschäden und Abhängigkeitssymptome.“
Mit jedem weiteren Tag einer freien Verfügbarkeit von Lachgas mache sich der Gesetzgeber der fahrlässigen Untätigkeit schuldig und nehme weitere Verletzte und chronisch geschädigte Opfer des Konsums von Lachgas in Kauf. Ein bereits von der Ampelkoalition vorgesehenes Lachgasverbot wurde in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt.
Spezialisierte Schmerztherapie erhalten
Zudem forderte der Marburger Bund den Gesetzgeber auf, die Bundesländer und die Mitglieder des Leistungsgruppenausschusses auf, kurzfristig Möglichkeiten für die weitere Existenz der spezialisierten Schmerztherapie zu schaffen.
„Behandlungsfälle der spezialisierten Schmerztherapie streuen im derzeitigen bundesweiten Leistungsgruppensystem über eine Vielzahl fachfremder Leistungsgruppen, deren qualitative Mindestvoraussetzungen die spezialisierte Schmerztherapie nicht erfüllen kann und die auch keinerlei Bezug zur Versorgungsqualität in der Schmerztherapie aufweisen“, heißt es in einem Beschluss.
Nach derzeitigem Stand sind 61 Leistungsgruppen vorgesehen, die den Krankenhäusern zugeordnet werden können. Jede Leistungsgruppe verfügt über Qualitätsvorgaben in personeller und technischer Hinsicht. Die Delegierten forderten die Schaffung einer eigenen Leistungsgruppe mit passenden Qualitätskriterien für die spezialisierte Schmerztherapie und damit zeitnah eine Perspektive für die bestehenden schmerztherapeutischen Einrichtungen.
„Sollte es nicht gelingen, unmittelbar eine Leistungsgruppe Multimodale Schmerztherapie einzuführen, hätte dies unmittelbar zur Folge, dass insbesondere die stationäre multimodale Schmerzmedizin nicht mehr abbildbar wäre“, erklärten die Delegierten.
Der Marburger Bund hat sich darüber hinaus gegen die Einführung eines Bachelorabschlusses in den Studiengängen Humanmedizin, Zahnmedizin und Pharmazie ausgesprochen – so, wie er zurzeit in Nordrhein-Westfalen geplant sei. Unter anderem biete ein solcher Abschluss den Studierenden keine realistischen Berufsperspektiven.
Er könne zu Missverständnissen in der Patientenversorgung führen. Zudem besteht die reale Gefahr, dass über ein Masterstudium eine faktische Umgehung der Approbationsordnung erfolge. „Das würde den im Gesetz genannten Qualitätsanspruch konterkarieren und potenziell Patientensicherheit gefährden“, betonten die Delegierten.
Der Marburger Bund hat Bund, Länder und Landkreise in einem weiteren Beschluss dazu aufgefordert, die flächendeckende Einführung von appbasierten Ersthelferalarmierungssystemen sicherzustellen. Ferner mahnt der MB an, Schnittstellen zwischen entsprechenden Apps zu schaffen, damit diese miteinander kompatibel sind.
In vielen Ländern der Welt gebe es Ersthelferalarmierungssysteme, die üblicherweise auf der Basis von Smartphone-Apps funktionierten, heißt es in dem Beschluss. Qualifizierte Ersthelfer in der Nähe einer Einsatzstelle könnten so durch die entsprechenden Leitstellen geortet und zu lebensbedrohlichen Notfällen, in der Regel zu Reanimationen, gerufen werden.
„Auch in Deutschland existieren in vielen Landkreisen und kreisfreien Städten Ersthelfer-Apps, in vielen Landkreisen und kreisfreien Städten jedoch nicht. Das ist eine Lücke, die dringend geschlossen werden sollte“, meinten die Delegierten.
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