Politik

Behindertenbewegung kritisiert Triage-Vorschläge medizinischer Fachgesellschaften

  • Dienstag, 31. März 2020
/Tyler Olson, stock.adobe.com
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Berlin – Scharfe Kritik an den am vergangenen Mittwoch vorgelegten Handlungsemp­feh­­­­lungen für die Triage von COVID-19-Patienten hat die Behinderten-Aktionsplattform „Abi­lityWatch“.

Die Handlungsempfehlung soll Ärzten und Medizinern Orientierung bei der Frage geben, welche Patienten lebensrettende Behandlungen erhalten sollen und welche nicht, falls die Kapazitäten nicht für alle Patienten ausreichen. „Einige dieser Kriterien sind dabei weniger medizinisch geprägt als vielmehr demo­gra­fisch und gegen einzelne Minderhei­ten gerichtet“, kritisiert die Organisation.

Als Beispiel nennt „AbilityWatch“ Kriterien wie generalisierte neurologische oder neuro­mus­­kuläre Er­krankungen, „die in dieser Formulierung ein Spektrum abbilden, was keines­falls als Krite­rium für eine Bewertung der Erfolgsaussichten der Behandlung genutzt wer­den kann“, so die Organisation. Sie sieht in den Triage-Handlungsempfehlungen eine Diskriminierung.

„Im Ergebnis bedeutet dies, dass grundsätzlich und pauschal alle Menschen gewissen Alters und Behinderung – unabhängig von der patientenindividuellen Erfolgsaussicht von Behandlungen – negativ bewertet werden und so im Zweifel keine Behandlung erfahren“, behauptet AbilityWatch.

Die Aufstellung von Algorithmen, die durch vorherbestimmte Kriterien eine Abwägung zwischen zwei Leben beziehungsweise deren Überlebensaussichten trifft, sei zudem mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Auch den Fachgesellschaften und dem Deutschen Ethik­rat sei dies bewusst. „Trotzdem entschieden sich die Fachgesellschaften dafür einen solchen Algorithmus zu erstellen“, kritisiert AbilityWatch.

Wie der Ethikrat richtig beschrieben habe, sei dem Staat eine Abwägung Leben gegen Le­ben verfassungsrechtlich verboten. Dies schließe das Aufstellen von Kriterien und Em­pfeh­lungen für Abwägungen Dritter ein. „Nun über die Empfehlungen der Fachverbände genau diese Kriterien aufstellen zu lassen und darauf zu bauen, dass der Staat dies nicht unterbindet, erscheint sehr beunruhigend“, meint AbilityWatch.

In dem am vergangenen Mittwoch von sieben Fachgesellschaften vorgelegten Hand­lungsempfehlungen heißt es, es sei „wahrscheinlich, dass auch in Deutschland in kurzer Zeit und trotz bereits erfolgter Kapazitätserhöhungen nicht mehr ausreichend intensiv­medizinische Ressourcen für alle Patienten zur Verfügung stehen, die ihrer bedürfen.“

Klare Handlungsempfehlungen könnten die Teams in der Klinik entlasten und zugleich das Vertrauen der Bevölkerung in das Krisenmanagement der Krankenhäuser stärken.

In der Woche zuvor hatte die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen, eindeutige Regeln für solche ethischen Konflikte gefordert. Sollte es einen Mangel an in­tensivmedizinischen Geräten geben, müssten die Ärzte vor Ort zuerst entscheiden, wer überhaupt gerettet werden könne, erläuterte die Medizinethikerin im Spiegel.

Die Organisation „AbilityWatch“ versteht sich nach eigenen Angaben als „Teil einer mo­dernen Behindertenbewegung in Deutschland“. „AbilityWatch fordert die Vertretung für Menschen mit Behinderung von Menschen mit Behinderungen“, heißt es auf der Website der Organisation.

hil

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