Bessere Luftqualität im 1. Lockdown soll hunderte Todesfälle in Europa verhindert haben

London – Mehr als 800 vorzeitige Todesfälle könnten durch eine bessere Luftqualität im Zeitraum zwischen Februar bis Juli 2020 in mehr als 40 europäischen Städten vermieden worden sein.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Daten des Copernicus-Atmosphärenüberwachungsdienstes (CAMS), die in Scientific Reports veröffentlicht wurde (2022; DOI: 10.1038/s41598-021-04277-6).
Vor allem die sinkenden Stickstoffdioxid (NO2)-Werte in der Luft trugen mit 486 verhinderten Todesfällen dazu bei. Es folgten Feinstaub mit einem Partikeldurchmesser von maximal 2,5 µm (PM2,5) mit 175 und 10 µm (PM10) mit 134 sowie Ozon (O3) mit 37 verhinderten Todesfällen.
Ältere Studienergebnisse legten bereits nahe, dass die Luftverschmutzung im 1. pandemiebedingten Lockdown von Februar bis Juli 2020 abgenommen hat. Diese basierten den Autoren der aktuellen Studie zufolge vor allem auf Vorher-Nachher-Vergleichen, wobei die Werte der Vorjahre als Referenz dienten. Die Rolle der verschiedenen Interventionen seien nicht beachtet worden.
Daher wollten die Forschenden mit ihren Berechnungen die Assoziation zwischen spezifischen Lockdownmaßnahmen und dem Rückgang NO2, O3 sowie PM10 und PM2,5 quantifizieren. Dazu verwendeten sie Daten aus 47 europäischen Städten, darunter Berlin, Hamburg, Köln und München. Darüber hinaus schätzten sie die Zahl der vermiedenen vorzeitigen Todesfälle ein. Mit neu modellierten CAMS-Daten wurde die Luftverschmutzung der Szenarien Business-as-usual und Lockdown definiert.
Mit Hilfe von Simulationen errechneten die Autoren, wie sich die Verbesserung der Luftqualität während des 1. Lockdowns auf die Sterblichkeit in unterschiedlichen europäischen Ländern ausgewirkt hat, beschreibt Tamara Schikowski auf Anfrage des Deutschen Ärzteblatts die Methoden. Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie von Lunge, Gehirn und Hautalterung am Leibniz-Institut für Umweltmedizinische Forschung (IUF).
Die Analyse basiere auf Schätzungen von zum Beispiel relativen Risiken, Odds Ratios, prozentualen Veränderungen der Kurzzeitexposition aus früheren Studien in den verschiedenen Ländern beziehungsweise Städten, deren Daten in die Analyse einflossen.
„Die Autoren extrahierten dafür die Expositions-Wirkungsbeziehung zwischen der Kurzzeitbelastung gegenüber NO2, O3, PM10 und PM2,5 aus den verschiedenen Studien.“
Insgesamt gingen die NO2-Werte laut der aktuellen Studie verglichen mit den Konzentrationen von PM10 und PM2,5 stärker unter sehr strikten Lockdownbedingungen zurück. Die stärksten Auswirkungen auf die Luftverschmutzung hatten dieser Analyse zufolge Maßnahmen, die das Alltagsleben erheblich beeinflussten, wie Schulschließungen oder Arbeiten im Homeoffice, die Absage öffentlicher Veranstaltungen sowie der Appell, zu Hause zu bleiben. Weniger bedeutend waren Einschränkungen des nationalen oder internationalen Reiseverkehrs.
Die Autoren schlussfolgern, dass ihre Ergebnisse dazu beitragen, die Wirksamkeit von staatlichen Restriktionen und gezielten Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung in urbanen Regionen beurteilen zu können. Sie würden zudem einen Vorteil für die allgemeine Gesundheit durch eine sinkende Exposition gegenüber starker Luftverschmutzung zeigen.
Allerdings haben „die Ergebnisse solcher Simulationsstudien zahlreiche Unsicherheiten, die mit der Art der Luftschadstoffmodellierung und der Verwendung von Expositionsschätzungen aus früheren Studien, die möglicherweise andere Expositionsmodelle verwendet haben, zusammenhängen können“, betont Schikowski.
Die Autoren der Studie argumentierten, so Schikowski weiter, dass der Lockdown die Luftverschmutzung und damit die durch die Luftverschmutzung verursachte Sterblichkeit verringert habe. Ihrer Meinung nach sei dies nur eine sehr grobe Abschätzung, „da man die Sterblichkeit nicht wirklich allein auf die Luftverschmutzung zurückführen kann“.
Andere Faktoren wie Vorerkrankungen, Lebensstilfaktoren, Infektionsgeschehen während des Lockdowns, die auch die Sterblichkeit während dieser Zeit beeinflusst hätten, seien nicht berücksichtigt worden.
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