Bispektralindex kann „Wachheit in Narkose“ nicht erkennen

St. Louis – In seltenen Fällen berichten Patienten nach einer Operation, den Eingriff trotz Allgemeinanästhesie bei mehr oder weniger vollem Bewusstsein durchlitten zu haben.
Die Bestimmung des Bispektralindex, der solche Wachheitserlebnisse während der Narkose erkennen soll, war in einer randomisierten Studie im New England Journal of Medicine (2011; 365: 591-600) dem konventionellen Monitoring nicht überlegen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Anästhesisten nicht in der Lage sind, den Bewusstseinszustand ihrer Patienten exakt zu bestimmen. Überhaupt sind die neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins kaum erforscht.
Wie bei der ersten Narkose durch William Morton vor 165 Jahren sind die Mediziner auf indirekte Zeichen wie einem Anstieg von Blutdruck und Herzrate oder Bewegungen des Patienten angewiesen, um zu erkennen, dass die Narkosetiefe nicht ausreicht, um ihren Patienten Leid zu ersparen. Einen gewissen Anhaltspunkt gibt die endtidale Konzentration des Narkotikums (ETAC).
Seit einigen Jahren werden Geräte angeboten, die aus einer einzelnen Ableitung des EEGs an der Stirn einen Bispektralindex (BIS) errechnen. Er gibt die Narkosetiefe in einem numerischen Wert zwischen 0 (maximal) bis 100 (völlig Wachheit) an.
Der Hersteller konnte die US-Zulassungsbehörde FDA 2003 durch die Ergebnisse einer klinischen Studie vom Nutzen des Gerätes überzeugen: In der B-Aware Studie senkte das BIS-Monitoring die Rate der Patienten mit Wachheitserlebnissen während der Operation um 82 Prozent (Lancet 2004; 363: 1757-1763).
Später kamen Zweifel an der Effektivität auf. Michael Avidan von der Washington Universität in St. Louis und Mitarbeiter konnten in der B-Unaware-Studie in einer Gruppe von Risikopatienten keinen Vorteil gegenüber der Bestimmung der ETAC erkennen. Doch auch die B-Unaware-Studie hatte Schwächen.
Da Wachheitserlebnisse seltener als erwartet auftraten, konnte die Studie trotz einer Teilnehmerzahl von 1.941 Patienten nicht ausschließen, dass der BIS doch einen Nutzen haben könnte. Avidan hat die Studie deshalb an einer größeren Patientenzahl wiederholt.
In der „BIS or Anesthetic Gas to Reduce Explicit Recall (BAG-RECALL)-Studie wurden 6.041 Patienten auf ein Monitoring mit ETAC oder BIS randomisiert. Alle Patienten wurden nach der Operation nach Wachheitserlebnissen befragt, und sofern sie solche angaben sorgfältig interviewt.
Am Ende wurde ein definitives Wachheitserlebnis bei 7 von 2.861 Patienten (0,24 Prozent) in der BIS-Gruppe und bei 2 von 2852 (0,07 Prozent) in der ETAC-Gruppe festgestellt. Demnach war das BIS, entgegen allen Erwartungen dem ETAC-Monitoring sogar unterlegen.
Dies war auch der Fall, wenn neben den definitiven auch wahrscheinliche Wachheitserlebnisse in die Analyse einbezogen wurden. Die Inzidenz betrug dann 0,66 Prozent unter dem BIS-Monitoring, aber nur 0,28 Prozent unter dem ETAC-Monitoring.
Die Ergebnisse bedeuten laut Avidan nicht, dass der BIS nicht in der Lage ist, Wachheitserlebnisse zu erkennen. Es gebe jedoch keinen Zusatznutzen gegenüber der ETAC-Bestimmung. Beide Geräte befreien den Anästhesisten nach Ansicht des Editorialisten Gregory Crosby vom Brigham and Women's Hospital, Boston, keinesfalls davon, auf die klassischen klinischen Zeichen einer verminderten Narkosetiefe (Blutdruck, Herzrate, Bewegungen) zu achten.
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