BKK-Studie: Ärzte verschreiben Antibiotika oft auf Verdacht

Berlin – Ärzte verschreiben ihren Patienten nach einer Krankenkassenstudie Antibiotika fast immer auf Verdacht. In 95 Prozent der Fälle verordnen Mediziner Antibiotika, ohne vorab durch einen Abstrich deren Wirksamkeit zu klären, wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe heute unter Berufung auf eine Erhebung der Betriebskrankenkassen (BKKen) Nordwest und Mitte berichteten.
Die BKK-Landesverbände werteten für ihre Erhebung die Daten von rund sieben Millionen Versicherten in 13 Bundesländern aus. Nur bei 3,6 Prozent der Patienten mit Infektionen wurde demnach vor der Antibiotika-Verschreibung ein Antibiogramm erstellt.
Am häufigsten wird dieser den Angaben zufolge in der Urologie eingesetzt. Bei rund 207.000 Infektionen und damit in annähernd jedem vierten Fall veranlassten diese den Test. Bei den Internisten kamen der Studie zufolge auf fast 119.000 Infektionsfälle nur 30 Antibiogramme, bei den Allgemeinmedizinern fanden die BKK-Prüfer lediglich 15 unter mehr als 350.000 mit Antibiotika behandelten Infektionen.
Als Gründe für den weitgehenden Verzicht auf Antbiogramme nannten Ärzte nach BKK-Angaben die Erwartung einzelner Patienten an eine schnelle Antibiotikaverordnung, den zusätzlichen Zeitaufwand etwa für Urinproben, Unwissenheit, Sorge um Finanzierung der Untersuchung und das Vorliegen des Testergebnisses erst nach 48 Stunden.
Zu viele Verordnungen bei Kindern
Der Bremer Gesundheitsexperte Gerd Glaeske sprach von einer „Therapie mit der Schrotflinte, breit gestreut statt zielgenau“. Er macht in Deutschland vor allem einen Missbrauch bei Kindern aus. Diese bekämen deutlich häufiger Antibiotika verabreicht als Erwachsene, obwohl bei genauerem Hinsehen selten eine bakterielle Infektion vorliege, sagte der Bremer Pharmakologe der Berliner Morgenpost. Eine notwendige und sinnvolle wissenschaftliche Absicherung des Arzneimittels per Antibiogramm werde in den seltensten Fällen gemacht.
Diese „medizinische Hypothek“ kann aus Sicht von Glaeske schlimme Folgen für die Kinder haben. „Die verordnenden Ärzte übersehen, dass eine falsche Antibiotikatherapie ein lebenslanges Problem werden kann – durch immer mehr und immer neue Antibiotikaresistenzen, die entstehen“, warnte Glaeske. Bei vielen Ärzten herrsche der Irrglaube vor, dass aus jedem Virusinfekt eine bakterielle Infektion werde, eine sogenannte Superinfektion oder Sekundärinfektion. „Tatsächlich ist das bei den wenigsten Erkrankungen der Fall“, sagte der Pharmakologe.
Der Deutscher Hausärzteverband weist die Vorwürfe zurück. „Es steht vollkommen außer Zweifel, dass es dringend weiterer gemeinsamer Anstrengungen bedarf, um Antibiotikaresistenzen vorzubeugen“, sagte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Undifferenziert zu unterstellen, dass Ärzte leichtfertig vorgingen, sei aber „geradezu unverschämt“.
Weigeldt wies darauf hin, dass sich Hausärzte unter anderem in ihren Fortbildungen, aber auch in ihrer Weiterbildung, sehr intensiv mit der Frage einer optimalen Versorgung mit Antibiotika befassten. Er betonte zudem, dass Antibiogramme nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in der ambulanten Versorgung von hohem Wert sein könnten. Gleichzeitig verwies er jedoch darauf, dass sich der Erkenntnisgewinn solcher Tests in den Praxen häufig in Grenzen halte, vor allem, weil die Laborergebnisse nicht eins zu eins auf die individuelle Situation des Patienten übertragbar seien. Außerdem seien die Tests auch fehleranfällig.
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