Medizin

Blaues Licht bei Ratten mit verfrühter Pubertät assoziiert

  • Mittwoch, 21. September 2022
/noorhaswan, stock.adobe.com
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Rom – Eine beim Jahreskongress der European Society for Paediatric Endocrinology in Rom präsentierte Studie an Ratten deutet darauf hin, dass blaues Licht, wie es etwa von Smart­phones abgegeben wird, bei Mädchen einen verfrühten Eintritt in die Pubertät begünstigen könnte. Experten warnen allerdings, dass die Studienergebnisse kaum auf den Menschen übertragbar seien.

In der Studie kamen weibliche Ratten, die für mehrere Stunden am Tag unter Blaulicht gehalten wurden, frü­her in die Pubertät. Außerdem wiesen sie niedrigere Melatoninspiegel, erhöhte Spiegel einiger Sexualhor­mone und physische Veränderungen im Ovarialgewebe auf.

Erstautorin Aylin Kilinç Uğurlu, die die Ergebnisse beim Kongress vorstellte, räumte ein, dass es schwierig sei, die Bildschirmnutzung und Blaulichtexposition von Kindern bei Ratten nachzuahmen. Dennoch kommen sie und ihre Kollegen zu dem Schluss, dass „blaues Licht als Risikofaktor für einen früheren Eintritt in die Puber­tät angesehen werden könnte“.

Blaues Licht könnte nicht nur den Schlaf stören

In früheren Studien wurde bereits ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobilgeräten, die blaues Licht emittieren, und Schlafstörungen bei Kindern und Erwachsenen konstatiert. Die neuen Erkenntnisse der Kinderendokrinologen vom Städtischen Krankenhaus in Ankara, Türkei, deuten darauf hin, dass blaues Licht mit weiteren Risiken für die kindliche Entwicklung einhergehen könnte.

Um eine Stellungnahme gebeten, sehen Experten in dieser Studie aber keinen Grund zur Besorgnis: „Es wäre zuviel behauptet, dass diese Ergebnisse in irgendeiner Weise relevant für Menschen, ihre Bildschirmnutzung und die Pubertät sind“, sagte Stuart Peirson, Professor für Zirkadiane Neurowissenschaften an der Universität Oxford.

Studienbedingungen nicht mit der menschlichen Handynutzung vergleichbar

Er wies darauf hin, dass Handybildschirme vor allem weißes Licht abgeben, das in gewissem Maße um blaues Licht angereichert sei. Die Ratten dagegen seien reinem blauen LED-Licht ausgesetzt worden, was überhaupt nicht der üblichen Bildschirmnutzung entspreche.

Kilinç Uğurlu und ihre Kollegen setzten jeweils 6 Rattenweibchen im Alter von 21 Tagen einem normalen Lichtzyklus oder 6 oder 12 Stunden blauem Licht (Wellenlänge 450-470 nm) aus. In den beiden Gruppen, die blauem Licht ausgesetzt waren, traten die ersten Anzeichen der Pubertät signifikant früher ein. Und je länger sie blauem Licht ausgesetzt waren, desto früher kamen sie in die Pubertät.

In der Gruppe mit 6 Stunden blauem Licht war dies nach 32 Tagen der Fall, in der Gruppe mit 12 Stunden blauem Licht nach 30 Tagen – verglichen mit 38 Tagen in der Kontrollgruppe mit normalem Licht.

Hormonspiegel und ovarielle Veränderungen wiesen auf Pubertät hin

Während bei follikelstimulierendem Hormon, Testosterone, DHEA-S und Leptin keine Veränderungen messbar waren, wiesen die dem blauen Licht ausgesetzten Ratten einen niedrigeren Melatoninspiegel und erhöhte Spiegel von Östradiol und luteinisierendem Hormon auf.

Darüber hinaus seien physische Veränderungen im Eierstockgewebe zu beobachten gewesen, die alle konsistent mit dem Beginn der Pubertät gewesen seien, berichtete Kilinç Uğurlu. Bei 12 Stunden Exposition gegenüber blauem Licht waren in den Rattenovarien außerdem PCOS-ähnliche morphologische Veränderungen sowie Apoptose in Granulosazellen zu beobachten

„Wir konnten zeigen, dass die Exposition gegenüber blauem Licht – ausreichend um den Melatoninspiegel zu verändern – in unserem Rattenmodell ebenfalls in der Lage war, die Spiegel von Sexualhormonen zu verän­dern und eine verfrühte Pubertät zu verursachen. Dabei galt: Je länger die Exposition, desto früher der Be­ginn“, sagte Kilinç Uğurlu.

Risikofaktor für eine verfrühte Pubertät?

Sie ergänzte: „Da es sich um eine Studie mit Ratten handelt, können wir nicht sicher sein, dass sich diese Er­gebnisse bei Kindern replizieren lassen würden. Aber unsere Daten sprechen dafür, dass blaues Licht als Risi­kofaktor für einen früheren Eintritt in die Pubertät angesehen werden könnte.“

Aus Gründen der Vorsicht empfahl sie deshalb, die Nutzung von Geräten, die blaues Licht abgeben, bei präpu­bertären Kindern zu minimieren, speziell am Abend, wenn die Exposition möglicherweise den stärksten Effekt auf den Hormonhaushalt habe.

Entscheidende Unterschiede zwischen Ratten und Menschen

Doch die Übertragung auf den Menschen ist nicht so einfach, wie mehrere Experten betonten. Nicht nur, dass die Exposition in der Studie nicht wirklich mit der normalen Bildschirmnutzung vergleichbar sei, wie Pierson anmerkte. „Wilde Ratten sind vorwiegend nachtaktiv“, ergänzte Kevin McConway, emeritierter Professor für Angewandte Statistik an der Open University.

„Und trotz des Verhaltens mancher jungen Menschen, die ich getroffen habe, sind Menschen im Allgemeinen weniger nachtaktiv. Das heißt, dass die Reaktionen auf Licht jeglicher Art bei Menschen und Ratten nicht unbedingt gleich sein müssen.“

Darüber hinaus hätten die Forscher keinen Mechanismus vorgeschlagen, der diesen Effekten zugrunde liegen könnte, kritisierte Peirson. Der Verweis auf Melatotin reicht ihm nicht aus: „Melatonin ist ein biologischer Marker dafür, dass es Nacht ist, kein Treiber für den Schlaf. Tatsächlich sind bei nachtaktiven Nagern die Melatoninspiegel hoch, wenn die Tiere wach und aktiv sind, und niedrig, wenn sie schlafen.“

Nüchternes Fazit: Studie kein Grund zur Besorgnis bei Kindern

Und letztlich: „Das ist ein Bericht über eine noch nicht veröffentlichte Studie, die bei einer Konferenz vorge­stellt wurde und noch keinen Peer-Review-Prozess durchlaufen hat“, sagte Pete Etchells, Professor für Psycho­logie und Wissenschaftskommunikation an der Bath Spa University. „Deshalb müssen wir bei der Interpreta­tion der Ergebnisse sehr vorsichtig sein.“

Sein nüchternes Fazit: „Nach Stand der Dinge sagt uns diese Studie nichts Bedeutsames über die Nutzung digitaler Technologien bei Kindern oder dem Effekt von blauem Licht auf Schlaf oder Pubertät.“

nec

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