Bundestag: Streit um Aufkaufpflicht von Arztsitzen

Berlin - Bei der ersten Lesung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (VSG) heute im Bundestag reagierten Koalitionspolitiker auf die deutliche Kritik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) an der geplanten Aufkaufpflicht von Arztsitzen. „Die KBV hat ausgerechnet, dass bis zu 25.000 Arztpraxen infolge dieser Regelung wegfallen würden. Das ist blanker Unsinn“, meinte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU). Auch in überversorgten Gebieten werde es immer von der konkreten Versorgung und der Bewerberlage abhängen, ob eine Praxis nachbesetzt werde oder nicht. Darüber müsse vor Ort entschieden werden und das liege in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und der Krankenkassen.
„Die Zulassungsausschüsse werden genau hinschauen, welchen Versorgungsauftrag eine Praxis hat, die einen Nachfolger sucht, wie die Patientenströme laufen, und danach wird erst entschieden“, sagte die stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar. „Brauch ich die Praxis, dann wird sie nachbesetzt. Brauche ich sie nicht, wird sie aufgekauft.“ Das sei kein Automatismus und auch keine Rasenmähermethode. „Ich verstehe den kollektiven Aufschrei der verfassten Ärzteschaft nicht. Das verunsichert nur die Ärzte und die Patienten gleichermaßen“, meinte Dittmar.
Nüßlein: Aufkaufpflicht ab einer Überversorgung von 150 Prozent
Im Gesetzentwurf des VSG ist vorgesehen, dass der Zulassungsausschuss einen Arztsitz nicht mehr nachbesetzen darf, wenn eine Region statistisch gesehen einen Versorgungsgrad von mehr 110 Prozent aufweist. Es soll aber Ausnahmen von dieser Regelung geben: wenn zum Beispiel der Ehepartner ein Interesse an dem Praxissitz hat, wenn die Nachbesetzung aus Versorgungsgründen erforderlich ist oder wenn sich ein Arzt bewirbt, der zuvor mindestens fünf Jahre in einem unterversorgten Gebiet tätig war.
Zuletzt hatten Mitglieder des Gesundheitsausschusses davon gesprochen, die Grenze von 110 Prozent auf 200 Prozent anzuheben. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Georg Nüßlein, sprach heute davon, dass die Aufkaufpflicht künftig ab einem statistischen Überversorgungsgrad von 150 Prozent gelten könnte. „Wir können eine Überversorgung auch anders definieren, als es jetzt im Gesetzentwurf steht“, sagte er. „Wir werden das prüfen.“
Weinberg: „Servicestellen lösen das Problem nicht“
Der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion, Harald Weinberg, kritisierte den VSG-Entwurf wegen eines weiteren, von der Ärzteschaft kritisierten Vorhabens: der geplanten Einrichtung von Servicestellen, die Patienten innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin vermitteln sollen. „Sie sind mit Ihrem Gesetzentwurf angetreten, die Zwei-Klassen-Medizin in den Praxen zu ändern“, sagte Weinberg. Die Hauptursache dafür sei die private Krankenversicherung. Aber damit beschäftige sich der Gesetzentwurf überhaupt nicht.
„Servicestellen sind eine nette Idee, aber sie werden das Problem nicht lösen“, meinte Weinberg. „Denn solange Ärzte doppelt und dreifach für Privatversicherte abrechnen können, wird es eine Zwei-Klassen-Medizin geben. Wer das Problem unterschiedlich langer Wartezeiten angehen will, der muss an die private Krankenversicherung heran.“
Lauterbach: Aufkaufpflicht könnte Wartezeitenproblem lösen
„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die zehn Prozent Privatversicherte daran schuld sind, dass die Wartezeiten so lang sind“, konterte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn. „Im Münsterland fehlen Neurologen“, nannte er ein Beispiel. „Da hilft es nicht, eine Bürgerversicherung einzuführen.“ Stattdessen helfe es, die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen, weil es dort einen Neurologen gebe.
„Sie lösen das Wartezeitenproblem im Übrigen auch nicht, wenn Sie Privatversicherte genauso lange warten lassen wie gesetzlich Versicherte“, so Spahn weiter. „Wir wollen nicht, dass es überall gleich schlecht ist. Wir wollen, dass es auch für die gesetzlich Versicherten besser wird.“
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, brachte die Wartezeitendiskussion mit der Aufkaufpflicht von Arztsitzen in Zusammenhang: „Es ist nicht so, dass wir nichts gegen die Zwei-Klassen-Medizin tun. Wenn Arztpraxen in wohlhabenden und überversorgten Regionen aufgekauft und in die weniger gut versorgte Vorstadt verlegt werden, ist das schon eine Lösung für das Problem.“ Wenn es künftig unmöglich sei, sich in überversorgten Regionen niederzulassen, sei das eine unbürokratische Maßnahme, um die Ärzte besser im Land zu verteilen.
Widmann-Mauz: Freiberuflich tätige Ärzte sind Rückgrat der Versorgung
Alle Koalitionspolitiker würdigten die Arbeit niedergelassener Ärzte. „Der niedergelassene freiberuflich tätige Arzt ist das Rückgrat der Versorgung in Deutschland. Haus- und Fachärzte sind Lebensbegleiter“, sagte Widmann-Mauz. Und Spahn betonte: „Für uns ist es von hohem Wert, dass es selbstständig tätige Ärzte in der Versorgung gibt. Das ist ein Qualitätsmerkmal.“
Zugleich betonten sie aber auch, dass viele junge Ärzte heute nicht mehr die Verantwortung für eine eigene Praxis übernehmen wollten. „Viele junge Ärzte wollen geregelte Arbeitszeiten, und deshalb fördern wir kooperative Versorgungsformen, zum Beispiel Ärztenetze“, sagte Dittmar. „Wir wollen Praxisnetze, Gemeinschaftspraxen und Medizinische Versorgungszentren besser fördern“, sagte auch Widmann-Mauz. Das sei aber keine Abkehr von der niedergelassenen Praxis und keine Absage an den freien Arztberuf.
Spahn: „Geld allein löst das Problem nicht“
„Wir wollen Anreize zur Niederlassung verbessern, indem wir den KVen die Möglichkeit geben, mit vielen Maßnahmen einen Beitrag dazu zu leisten, dass Unterversorgung erst gar nicht entsteht“, so Widmann-Mauz weiter. So könnten KVen künftig auch Ärztenetze aus dem Strukturfonds fördern. Oder sie könnten Zuschläge für bestimmte Leistungen bezahlen.
Geld allein löse das Problem aber nicht, meinte Spahn. „Sie können heute als Hausarzt in Mecklenburg-Vorpommern richtig gut verdienen. Trotzdem haben es die Hausärzte dort schwer, Nachfolger für ihre Praxen zu finden.“ Es gehe eben auch darum, unter welchen Bedingungen Ärzte dieses Geld verdienten. Zum Beispiel gehe es darum, wie viel Notdienste sie machen müssten, wie weit sie zu Hausbesuchen fahren müssten oder ob sie die einzigen Ärzte in ihrer Region seien.
Terpe: Reform der Bedarfsplanung ist gescheitert
Harald Terpe von der Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ erklärte, es gebe durchaus sinnvolle Vorhaben im VSG-Entwurf, „zum Beispiel die Einführung einer Nutzenbewertung für Medizinprodukte hoher Risikoklassen oder die Förderung der Weiterbildung von Hausärzten.“ Er kritisierte jedoch, dass nicht alle Akteure Anträge auf eine Förderung aus dem geplanten Innovationsfonds stellen könnten: „Beim Innovationsfonds sollten auch Regionen und Kommunen Antragsteller sein dürfen, damit eine populationsorientierte Versorgung gefördert werden kann.“ Stattdessen könnten Pharmafirmen Anträge stellen. „Das deutet darauf hin, dass wir keine Innovationen bekommen werden, die die Versorgungsstruktur braucht“, meinte Terpe.
Die Reform der Bedarfsplanung hält er zudem für gescheitert: „Die Bedarfsplanung beruht auch heute noch auf völlig veralteten regionalen Zahlen, und deshalb kommt es zu einem Ungleichgewicht bei der Verteilung.“
„Bei der Bedarfsplanung müssen wir künftig auch die Morbidität einer Region berücksichtigen, die Infrastruktur, konkrete Versorgungsleistungen“, meinte auch Sabine Dittmar. Die ganze Planung bringe zudem nichts, wenn es nicht gelinge, junge Mediziner für die ambulante Versorgung zu begeistern.
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