Krankenhausreform: So funktioniert das Instrument der Auswirkungsanalyse

Berlin/Tübingen – Vor Kurzem fertig geworden, am vergangenen Donnerstag an die Länder übergeben: Seit einer Woche können die Länder das lang diskutierte und oft geforderte Simulationsmodell zur Krankenhausreform nutzen. Bis zur Bundesratssitzung am 22. November können die Länder jetzt verschiedene Szenarien testen und analysieren.
Das System ist aus der Idee einer Arbeitsgruppe der Regierungskommission Krankenhäuser und Vertretern des GKV-Spitzenverbands entstanden. Die technische Entwicklung des Instruments übernahm das Tübinger Unternehmen BinDoc, das sich auf cloudbasierte Softwarelösungen im Gesundheitswesen spezialisiert hat, in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Oberender.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte die beiden Unternehmen im vergangenen Jahr mit Folgenabschätzungen rund um die Krankenhausreform beauftragt. „Seit dem Ende der parlamentarischen Sommerpause haben wir ein Tool entwickelt, das die Länder nun selbst nutzen können“, sagte Maximilian Schmid, Chief Operating Officer bei BinDoc, dem Deutschen Ärzteblatt.
„Das populationsbezogene Simulationsmodell soll vor allem die Patientenperspektive hinsichtlich der Versorgungsbedeutung und der Bedarfsnotwendigkeit einzelner Krankenhausstandorte einnehmen“, erläuterte Schmid weiter.
„Unser Auftrag war für das Bundesgesundheitsministerium ein Werkzeug zu bauen, dass den Ländern erlaubt, ihre Auswirkungen selbst abschätzen zu können, in dem sie das System mit bestimmten Annahmen und Parametern füttern, die nur die Länder selbst angeben können.“
Dazu gehöre etwa die Frage, wie künftige Versorgungsstufen aussehen oder wie viele und welche Kliniken bestimmte Leistungsgruppen übernehmen sollen. Die Länder können grenzübergreifende Szenarien für ihr eigenes Bundesland planen.
Das Instrument liefere einerseits Simulationen für jede Leistungsgruppe in einem Bundesland. „In einem zweiten Abschnitt können die Kalkulationen hinsichtlich der Verteilung der Vorhaltepauschalen vorgenommen werden“, sagte Schmid. Das System basiert auf Abrechnungsdaten aus dem Jahr 2023 und der Logik der neu geplanten 65 Leistungsgruppen durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK).
Erreichbarkeit von Kliniken grafisch dargestellt
„Anhand der Analyse der Leistungsgruppe Stroke Unit in Niedersachsen wird beispielsweise deutlich, wie das Instrument funktioniert“, erklärte Schmid. Alle Krankenhäuser, die dort im Jahr 2023 Schlaganfälle behandelt haben, bilden je nach Fallzahlgröße kleinere oder größere Kreisflächen.
Dazwischen seien viele einzelne Marktzellen zu sehen, also geographische Bereiche in einem Raster von einem mal einem Kilometer mit der Information über die dort lebende Bevölkerung. Diese seien je nach Länge der Fahrtzeit bis zum nächsten Klinikstandort in unterschiedliche und aufsteigende Fahrzeitkorridore sortiert.
Für die nächstgelegene Klinik werden auch bundeslandübergreifend Standorte berücksichtigt. „Mithilfe dieser Marktzellen können die Bundesländer einsehen, wo es Überversorgung gibt und wo zusätzliche Angebote geschaffen werden müssten“, so Schmid. Mit dem Tool kann man durch die Festlegung einer Mindestvorhaltezahl sogenannte „Gelegenheitsversorger“ erkennen und für die Planung isolieren.
„Zur Erläuterung ein Beispiel: Wenn zehn Krankenhäuser insgesamt 1.000 Fälle erbringen und davon vier Standorte jeweils 10, 20, 30 und 40 Fälle haben, würden diese vier Kliniken bei der Berücksichtigung der Mindestvorhaltezahl von zehn Prozent (100 Fälle) von der Versorgung ausgeschlossen werden“, sagte Schmid. Die Länder könnten darüber hinaus nach subjektivem Ermessen entweder weitere Leistungsangebote an bestehenden Standorten in Form von Planfallzahlen schaffen oder reduzieren.
„Mit diesen Einstellungen können die Länder sehen, wie sich die Erreichbarkeit der Kliniken für die Bevölkerung verändern würde“, erklärte Schmid. Mit der oben genannten Einstellung würde sich die Erreichbarkeit etwa kaum verändern. „Statt 95 Prozent würden immer noch 93 Prozent der niedersächsischen Bevölkerung eine Stroke Unit innerhalb von maximal 30 bis 40 Minuten erreichen“, sagte Schmid.
Die Länder können mithilfe des Tools für jede Klinik auch die Zahl der potenziell zu versorgenden Einwohner sowie die Einwohnerzahl einsehen, für die der Leistungsgruppenstandort der nächste ist. „Das Instrument zeigt auch auf, welche Kliniken unbedingt erhalten bleiben müssen, damit sich die Versorgung der Bevölkerung nicht verschlechtert. Und: Wo es Lücken in der Versorgung gibt, können die Länder auch über den Ausbau der Luftrettung oder über die Schaffung eines telemedizinischen Standortes nachdenken“, so Schmid.
Länder können verschiedene Vorhaltebudgets ausprobieren
Neben dieser Erreichbarkeitsanalyse bietet das Tool Simulationen zur geplanten Vorhaltefinanzierung. So können Szenarien, die im ersten Schritt durchgeführt worden sind, in diese Kalkulationsebene gehoben werden.
„Anhand eines Beispiels der Schlaganfallversorgung im Saarland wird deutlich, dass es im Status Quo für die bisher an der Versorgung teilnehmenden zehn Klinikstandorte rund 8,6 Millionen Euro an Vorhaltepauschalen geben würde“, erklärte Schmid. Dies werde auf die Kliniken je nach Fallzahl, Vorhalte-Casemix und Vorhaltebewertungsrelation verteilt.
„Nach aktueller Auslegung des Kalkulationsmodells würde beispielsweise das Klinikum Saarbrücken etwa 16 Prozent des Vorhaltebudgets erhalten, das sind umgerechnet 1,4 Millionen Euro. Würde man in diesem Szenario annehmen, es gebe im Saarland künftig fünf Kliniken weniger, die Schlaganfälle behandeln, müsste das Klinikum nach Neuverteilung der Behandlungsfälle circa doppelt so viele Fälle behandeln und bekäme ein Vorhaltebudget von 2,2 Millionen Euro, also rund 800.000 Euro mehr“, erläuterte Schmid.
Dies sei ein radikales Beispiel, aber es zeige, wie sich Leistungskonzentrationseffekte auf die Vorhaltevergütung auswirke, wenn man die flächendeckende Versorgung aufrechterhalte, aber trotzdem die Zahl der Krankenhausstandorte reduziere.
Die Bundesländer werden in den kommenden Tagen und Wochen diese Analysen für ihre Regionen und Leistungsgruppen vornehmen. Viele Länder erklärten bereits, dass die Entscheidung über die Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat voraussichtlich am 22. November von diesen Ergebnissen abhängen werde. Wenn die Bundesländer den Vermittlungsausschuss anrufen, wird die Reform nicht wie geplant zum 1. Januar 2025 in Kraft treten können.
Für die künftige Krankenhausplanung und Finanzierung der Krankenhäuser könne das Tool Schmid zufolge nun von wichtiger Bedeutung sein. „Planungsreferate der Länder haben erstmalig die Möglichkeit den Krankenhäusern direkte Geldmittel, neben der Investitionskostenfinanzierung, zukommen zu lassen, in dem sie Planungsprozesse anstoßen.“ Ihm zufolge bringe das System Transparenz in die Krankenhausplanung und zeige genau auf, welche Auswirkung welche Entscheidung hätte.
Möglich wäre auch, das Instrument für die künftige Krankenhausplanung der Länder weiterzuentwickeln, etwa um auch Qualitätskriterien mit einfließen zu lassen, erklärte Schmid. Diese Faktoren können aufgrund der noch ausstehenden Datengrundlage nicht berücksichtigt werden.
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