Medizin

Chemotherapie: ABCB1 und Sphingolipide verhelfen Krebszellen zur Multiresistenz

  • Dienstag, 29. August 2017
Lungenkrebszelle 3D/ fotoliaxrender, stock.adobe.com
Membranproteine sorgen zunächst außen und später in der Zelle dafür, dass Zytostatika wieder aus der Krebszelle gepumpt werden. /fotoliaxrender, stock.adobe.com

Witten/Herdecke – Krebszellen können Chemotherapeutika am besten abwehren, wenn zwei Bestandteile der Krebszellmembran zusammenarbeiten: Das Membran­protein ABCB1 und Sphingolipide. Wie sich eine gesunde Zelle in zwei Phasen zur multiresistenten Krebszelle entwickelt, haben Forscher um Wing-Kee Lee von der Universität Witten/Herdecke in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst. Ihre Ergeb­nisse wurden in Cellular Signalling publiziert (2017; doi: 10.1016/j.cellsig.2017.06.017).

Krebszellen können Multiresistenzen gegen mehrere Zytostatika gleichzeitig entwi­ckeln. Wesentlich dafür ist das Membranprotein ABCB1. Dieses transportiert Chemo­therapeutika aus der Krebszelle wieder heraus. Am besten arbeiten ABCB1-Proteine, wenn sie sich in einem Lipidfloß in der äußeren Membran befinden. Vor allem Sphingomyelin (SM) fördert dabei die Aktivität des Abwehrproteins ABCB1.

Durch ihre Forschung konnte Lee neue Hypothesen aufstellen: Sie geht davon aus, dass ABCB1 und Sphingolipide mehrfach zusammenspielen, damit Krebszellen die Multi­resis­tenz in voller Kraft entwickeln können. Es gibt eine Anfangsphase, in der sich einige gesunde Zellen zu Krebszellen umwandeln (siehe Abbildung). In dieser Phase werden beide, ABCB1 und Sphingomyelin, vermehrt produziert und die Zelle entwi­ckelt eine erste, noch unvollständige Multiresistenz.

Schemata Multiresistenz Chemotherapie /Lee, Kolesnick, Cellular Signalling Review, Figure_2
Schemata: Zwei Phasen zur vollständigen Multiresistenz (Abk.: multidrug resistance = MDR, glucosylceramide synthase = GCS) /Lee, Kolesnick, Cellular Signalling

In der Weiterentwicklung der Krebszellen wird das Gleichgewicht von einem anderen Sphingolipid namens Glukosylceramid (GluCer) gestört. Dadurch wird die Anlieferung von ABCB1 an die Zellmembran beeinträchtigt und mehr ABCB1-Proteine bleiben festsitzend in der Zelle statt an der Außenschicht. Dennoch ist das ABCB1 noch aktiv und fängt nun Chemotherapeutika auch von innen heraus ein. Zusammenfassend können ABCB1 und Sphingolipide durch zwei Mechanismen, nämlich Ausstoß und Fangen von Chemo­thera­peutika, den Wendepunkt zur Entwicklung einer vollständigen Multiresistenz der Krebszellen darstellen.

Neues Potenzial für Wirkverstärker der Chemotherapie

Alle bisherigen Versuche, die Chemotherapie wirksamer zu machen, indem man Wirkstoffe gegen das ABCB1 in die Chemotherapie einbezog, sind gescheitert. Denn das Protein kommt auch in gesunden Zellen vor und die ABCB1-Hemmer führten zu starken Unverträglichkeiten. Die Erkenntnisse zur Funktion der Sphingolipide könnten neue Möglichkeiten eröffnen, um neue Chemotherapie-Wirkverstärker zu finden. Auch das derzeit viel diskutierte D,L-Methadon soll die Wirkung der Chemotherapie verstär­ken, indem es das Zytostatikum in der Krebszelle hält. Im Deutschen Ärzteblatt wurde darüber berichtet.

Den Aufsatz der Bochumer Forscher hat eine der wichtigsten Krebskliniken der USA, das Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, auf seiner Internetseite als „Science Sparks“ hervorgehoben und damit als besonders wegweisend ausgezeichnet. Der Koautor des Aufsatzes, Richard Kolesnick, spricht am 5. Dezember 2017 im Rahmen der Seminarreihe des Zentrums für Biomedizinische Ausbildung und Forschung zu den Themen „biologische Grundlagen zum Krebs“ und „Krebstherapieresistenz“ an der Universität Witten/Herdecke.

gie

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