Coronaimpfpflicht: Weiter keine Aussicht auf Bundestagsmehrheit

Berlin – Kurz vor der Abstimmung im Bundestag über mehrere Vorschläge zu einer Coronaimpfpflicht zeichnet sich weiter keine Mehrheit für eine der Optionen ab. Die Unionsfraktion will den gestern vorgestellten neuen Ansatz von Koalitionsabgeordneten für eine Impfpflicht ab 50 Jahren nicht unterstützen.
Gestern hatten Befürworter einer Impfpflicht ab 18 Jahren dieses Vorhaben auf Eis gelegt. Sie sprechen sich nun für eine Impfpflicht ab 50 Jahren aus sowie eine Beratungspflicht für alle ab 18 Jahren – und hoffen, damit breitere Unterstützung zu finden.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge, die eigentlich auch für die Impfpflicht ab 18 Jahren wäre, lobte den Vorschlag. Sie hoffe, dieser könne „eine Brücke“ für viele Abgeordnete sein. Es sei richtig, nach Kompromissen zu suchen, sagte Dröge.
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warb für einen Kompromiss. Wichtig sei, dass es im Bundestag eine „breite Mehrheit für eine Impfpflicht“ gebe, sagte er. Eine abgestufte Impfpflicht je nach Alter könnte ein Kompromiss sein.
Die Unionsfraktion aber ließ den jüngsten Vorschlag abblitzen. Die Vorlage sei ein „einseitiger Vorstoß der SPD“ und nicht abgesprochen, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge im ZDF-„Morgenmagazin“. „Deshalb werben wir nochmal für unseren Vorschlag.“
Die Unionsfraktion will eine Stufenregelung – eine Coronaimpfpflicht könnte demnach für bestimmte Alters- oder Berufsgruppen vorgeschrieben werden, was allerdings einen weiteren Bundestagsbeschluss erfordern würde.
Neben dem neuen Vorschlag einer Impfpflicht ab 50 Jahren gibt es noch einen Gesetzentwurf, der ebenfalls von Koalitionsabgeordneten getragen wird. Er sieht zunächst eine Beratungspflicht und später die Möglichkeit einer Impfpflicht ab 50 Jahren vor. Ein fraktionsübergreifender Antrag sowie ein Antrag der AfD-Fraktion lehnen die Impfpflicht ab.
Morgen Vormittag soll sich der Gesundheitsausschuss noch einmal mit den Vorschlägen befassen; am Donnerstag wird dann im Plenum abgestimmt. Die genaue Reihenfolge, in der die Anträge dabei aufgerufen werden, war heute noch offen. Vermutlich wird darüber erst am Donnerstag abgestimmt.
Die CDU/CSU-Opposition im Bundestag befürchtet, dass die Ampel-Fraktionen aus SPD, Grünen und FDP bei der Abstimmung über die allgemeine Coronaimpfpflicht die üblichen Regeln außer Kraft setzen wollen, um zu einer Mehrheit zu kommen.
Konkret geht es um die Reihenfolge, in der an diesem Donnerstag über die vorliegenden fünf Anträge abgestimmt wird. „Es spricht vieles dafür, dass die Ampel hier mit Tricks arbeiten möchte“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, heute in Berlin.
Es gebe in der Geschäftsordnung des Bundestags zwar keine abschließenden Regelungen für solche Abstimmungen. Es gehöre aber zum „Kernbestand der parlamentarischen Tradition“, dass zunächst über den weitestgehenden Antrag abgestimmt werde.
Dies wäre der Antrag mit einer Impfpflicht ab 18 Jahren oder modifiziert mit 50 Jahren. Zuletzt wären dann die zwei Anträge gegen eine Impfpflicht dran. „Diese Reihenfolge umzudrehen, wäre aus meiner Sicht grob rechtsmissbräuchlich“, sagte Frei. Das würde auch die Akzeptanz einer Entscheidung „aufs Schwerste untergraben“.
Die Unionsfraktion befürchtet, dass die Ampel zuletzt über einen der Anträge mit einer Coronaimpfpflicht abstimmen lassen will – in der Hoffnung, dass diesem auch nicht davon überzeugte Abgeordnete zustimmen, um überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen.
„Das entspricht nicht den parlamentarischen Regeln“, sagte auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er appellierte erneut an die Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP, dem Antrag der Union für ein Impfvorsorgegesetz zuzustimmen. Dieser sei schlüssig und am besten an die aktuelle Situation angepasst.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sowie SPD-Fraktionschef Mützenich sprachen sich allerdings dafür aus, zuerst die Anträge und dann die Gesetzentwürfe abzustimmen. Unter den Vorlagen finden sich nur zwei Gesetzentwürfe, nämlich die beiden Varianten zu Beratungspflicht und Impfpflicht ab 50 Jahre.
Dürr äußerte die Einschätzung, dass es schwer werden dürfte, für einen der Anträge, die eine Impfpflicht befürworten oder offenhalten, eine Mehrheit zu finden. Tatsächlich gilt es als durchaus denkbar, das gar keine der fünf Vorlagen eine Mehrheit bekommt.
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Thomas Mertens, begrüßte das vorläufige Aus für eine allgemeine Impfpflicht. „Wir wissen heute, dass bei der Omikron-Virusvariante weder einer der verfügbaren Impfstoffe noch eine durchgemachte Infektion sehr gut vor einer Ansteckung – wohl aber vor schwerer Erkrankung – schützen“, sagte Mertens der Schwäbischen Zeitung.
Der Schutz vor weiterer Ansteckung wäre aber das „wichtigste Argument“ für eine solche Impfpflicht, das sei aber nicht gegeben. Mertens befürwortet eine Impfpflicht für die vulnerablen Gruppen. „Es gibt zwei Gründe, warum man impft: Erstens, um einzelne Personen vor einer Erkrankung zu schützen. Zweitens, um durch eine möglichst hohe Impfquote zu verhindern, dass sich das Virus weiter ausbreitet“, sagte er.
Wenn das Gesundheitssystem ab Herbst besser vor Überlastung durch viele Coronapatienten geschützt werden solle, müssten vor allem die Menschen mit einem hohen Risiko für schwere Verläufe geschützt werden – „also vulnerable Gruppen wie etwa über 50- oder über 60-Jährige“.
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