Coronapandemie: Bundesnachrichtendienst sah laut Berichten Indizien für Laborthese

Berlin – Rund fünf Jahre nach der Ausrufung der Coronapandemie sorgen angeblich lange unter Verschluss gehaltene Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur Herkunft des Virus für Wirbel. Wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet, lagen dem BND plausible Hinweise für die sogenannte Laborthese vor. Auch die Süddeutsche Zeitung und die Zeit berichten über entsprechende Rechercheergebnisse. Sie berufen sich auf diverse Beteiligte in Regierung und Geheimdiensten sowie Experten.
Ende vergangenen Jahres soll das Kanzleramt demnach mehrere deutsche Wissenschaftler gebeten haben, Indizien des BND zu der Behauptung zu prüfen, dass SARS-CoV-2 aus dem Labor stamme. Zuvor sollen die BND-Erkenntnisse laut den Medienberichten beispielsweise nicht an Stellen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den Corona-Expertenrat kommuniziert worden sein. Grund sollen unter anderem Zweifel an der Belastbarkeit der Erkenntnisse und Befürchtungen einer Blamage für den BND und die Bundesregierung gewesen sein.
Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte heute in Berlin vor Journalisten, man habe die Berichterstattung zur Kenntnis genommen. Zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und Tätigkeiten könne man sich aber nicht äußern. Die zuständigen geheim tagenden Gremien des Bundestages würden in solchen Angelegenheiten unterrichtet.
Wie die Zeit schreibt, habe sich das Kanzleramt Ende vergangener Woche entschieden, „möglichst bald den Bundestag und die WHO in das Geheimprojekt einzuweihen“, nachdem die Zeitung die Veröffentlichung der Recherche angekündigt habe. Auch solle ein Extrakt des Stands der Diskussion zwischen BND und Wissenschaftlern veröffentlicht werden, hieß es.
Zu den Fachleuten, die um Rat gefragt wurden, sollen den Medienberichten zufolge unter anderem der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lars Schaade, und der Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin gehören. Weder die Charité noch das RKI wollten die Berichte heute auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes kommentieren.
Zwei Theorien, keine Beweise
Der Laborthese zufolge stammt das SARS-CoV-2-Virus aus einem chinesischen Biolabor, dem Wuhan Institute of Virology, an dem unter anderem an Coronaviren geforscht wird. China bestreitet dies. Die zweite Theorie ist, dass das Virus wie auch schon das der Sars-Epidemie von 2002/2003 einen natürlichen Ursprung hatte.
Die BND-Operation unter dem Decknamen „Projekt Saaremaa“ soll laut Zeit Anfang 2020 begonnen und auf chinesische Regierungsstellen und Wissenschaftsinstitute gezielt haben. Beteiligte hätten berichtet, auf unveröffentlichte Daten sowie interne Papiere chinesischer Forscher gestoßen zu sein.
Das Material deute darauf hin, dass in Wuhan ungewöhnlich früh ungewöhnlich viel Wissen über das angeblich neuartige Virus vorgelegen habe. Zudem hätten die Agenten von mangelnden Sicherheitsvorkehrungen am Institut in Wuhan berichtet. Sie glauben demnach an eine Panne. Beim BND sei das Material unter Leitung eines Sachgebietsleiters analysiert worden, der selbst Virologe ist.
Nicht alle an der BND-Runde beteiligten Forscher seien gleichermaßen überzeugt, dass das Virus eindeutig aus dem Labor kommt, hieß es bei der NZZ. Einige sähen die Wahrscheinlichkeit einer menschengemachten Pandemie aus dem Institut stetig wachsen, wollten sich aber bislang noch nicht festlegen.
Drosten äußerte im Januar wachsende Skepsis
Ein Argument von Befürwortern der Laborthese ist, dass China andernfalls längst wissenschaftliche Belege für den natürlichen Ursprung des Virus hätte liefern können und müssen. „Chinesische Wissenschaftler haben dafür alle technischen Möglichkeiten“, hatte der Virologe Christian Drosten im Januar der Zeitung taz gesagt.
Er habe solche Studien auch erwartet – gekommen seien sie aber nicht. Je mehr Zeit vergehe, desto skeptischer werde er. „Verbietet die Staatsräson, dass daran gearbeitet wird? Mag sein. Die andere Erklärung wäre aber, dass da gar kein natürliches Virus war.“
In dem Interview hielt Drosten aber einen natürlichen Ursprung von SARS-CoV-2 immer noch für wahrscheinlich – „und das nehmen auch fast alle Wissenschaftler an, die mit dem Thema befasst sind“. Letztlich fehle aber weiterhin ein Beweis für den natürlichen Ursprung genauso wie für den Laborursprung.
Aufgrund der aktuell zur Verfügung stehenden – wenn auch schwachen – Datenlage sei anzunehmen, dass die Übertragung auf den Menschen über Zwischenwirte zum Beispiel auf Tierfarmen stattgefunden habe, sagte Fabian Leendertz, Direktor des Helmholtz Institute for One Health in Greifswald, der Nachrichtenagentur dpa.
Möglicher Einfluss auch auf CIA-Einschätzung
Wie die Zeit schreibt, soll neben den ausgewählten deutschen Experten Ende 2024 auch die CIA über die BND-Erkenntnisse informiert worden sein.
Der neue Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, John Ratcliffe, hatte im Januar als eine seiner ersten Amtshandlungen die Einschätzung seiner Behörde zum Ursprung des Coronavirus geändert. Ein forschungsbedingter Ursprung der COVID-19-Pandemie sei auf der Grundlage der verfügbaren Berichte wahrscheinlicher als ein natürlicher Ursprung, hieß es. Die Unsicherheiten bei dieser Einschätzung seien aber groß, an der Untersuchung des Ursprungs werde weiter gearbeitet.
Zuvor hatte die CIA die Position vertreten, dass es keine ausreichenden Informationen für eine Beurteilung dazu gibt, ob das Virus von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist oder auf eine Panne in einem chinesischen Labor zurückgeht. Ratcliffe hatte bereits in der Vergangenheit die Labortheorie vertreten und Peking vorgeworfen, den Ursprung des Virus zu verschleiern. Auch US-Präsident Donald Trump hatte schon 2020 in seiner ersten Amtszeit die Laborthese vertreten.
Dass nun Bewegung in die Sache kam, soll auch mit den anstehenden politischen Veränderungen in Deutschland zu tun haben: „Wenn eine neue Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) im Kanzleramt auf eine weggeschlossene Geheimbewertung des BND stieße, würde das kritische Fragen nach sich ziehen“, schreibt die Zeit.
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