Coronapandemie zeigt potenzielle Überdiagnosen bei kindlichen Harnwegsinfekten auf

Palo Alto – Eine Studie aus den USA zeigt, dass in der frühen Phase der Coronapandemie weniger Harnwegsinfekte bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert wurden – ohne dass der Schweregrad der diagnostizierten Infekte zunahm. Das könnte ein Hinweis auf Über- und Fehldiagnosen bei pädiatrischen Harnwegsinfekten sein, lautet die Vermutung der Autoren in JAMA Network Open (2023; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2023.50061).
„Harnwegsinfekte bei Kindern sind häufig, aber die tatsächliche Inzidenz in der Bevölkerung ist weitgehend unbekannt. Welches die optimalen Diagnosekriterien sind und wie man die Risiken von Unter- und Übertherapie ins Gleichgewicht bringt, ist umstritten“, schreiben Danni Liang vom Department of Pediatrics der Stanford University School of Medicin in Palo Alto, USA, und ihre Koautoren.
Die Auswirkungen der Coronapandemie erschufen eine Art natürliches Experiment, das es erlaubte, die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen, Diagnosen von Harnwegsinfekten und Outcomes zu untersuchen. Liang und ihre Kollegen nutzten diese einzigartige Möglichkeit, um die Inzidenz von Harnwegsinfekten in der minderjährigen US-Bevölkerung sowie die mit der Coronapandemie verbundenen Veränderungen bei Diagnosen und Schweregrad zu untersuchen.
Mehr Mädchen als Jungen erkranken
In die retrospektive Beobachtungstudie flossen Krankenversicherungsdaten von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-17 Jahren aus dem Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2021 ein. Die Analyse umfasst somit eine präpandemische Phase (Januar 2016 bis Februar 2020), eine Phase früh in der Pandemie (April 2020 bis Juni 2020) und eine Phase in der Mitte der Pandemie (Juli 2020 bis Dezember 2021).
Die Kohorte bestand aus 13.221.117 minderjährigen Versicherten, mit etwas mehr Jungen (51,0 %) als Mädchen. Die Inzidenz diagnostizierter Harnwegsinfekte lag bei 1300 pro 100 Patientenjahre.
Bei den 0 bis 1 Jahr alten Jungen und Mädchen betrug die Inzidenz 0,86 pro 100 Patientenjahre. Bei den 2- bis 5-Jährigen waren es 1,58 Harnwegsinfekte pro 100 Patientenjahre, bei den 6- bis 11-Jährigen 1,24 pro 100 Patientenjahre und bei den 12- bis 17-Jährigen 1,37 pro 100 Patientenjahre. Mädchen hatten deutlich häufiger Harnwegsinfekte als Jungen (2,48 versus 0,180 pro 100 Patientenjahre).
Rückgang der Diagnosen, aber gleicher Schweregrad
In der COVID-19-Pandemie wurden signifikant weniger Harnwegsinfekte bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert als in den Jahren davor. In der frühen Pandemiephase sank die Inzidenz diagnostizierter Harnwegsinfekte in der Gesamtkohorte im Vergleich zu den präpandemischen Zahlen um 33,1 %. Bei den Säuglingen ≤ 60 Tage war es sogar ein Rückgang um 52,1 %.
Der Schweregrad der Harnwegsinfekte unterschied sich dagegen nicht zwischen präpandemischer Phase und früher Pandemie – oder nahm sogar ab. Nach den ersten 3 Pandemiemonaten kehrte die Inzidenz von Harnwegsinfekten wieder zu präpandemischen Werten zurück (-4,3 % in der Gesamtkohorte).
Die Autoren schlussfolgern: „Dass die Zahl der diagnostizierten Harnwegsinfekte in der frühen Phase der COVID-19-Pandemie zurückging, ohne Anzeichen für eine Zunahme des Schweregrads der Erkrankungen, deutet darauf hin, dass es zu einer Reduktion von Über- und/oder Fehldiagnosen gekommen sein könnte.“
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