COVID-19: Etwas weniger Frühgeburten im ersten Lockdown

Winnipeg/Manitoba – Die Berichte über einen deutlichen Rückgang von Frühgeburten bei einem gleichzeitigen Anstieg der Totgeburten während des ersten Lockdowns haben sich als übertrieben erwiesen.
Eine internationale Studie, die Daten zu 52 Millionen Geburten zusammengetragen hat, kommt in einer „Interrupted Time Series Analysis“ in Nature Human Behaviour (2023; DOI: 10.1038/s41562-023-01522-y) zu dem Ergebnis, dass die Rate von Frühgeburten nur leicht um 3 % bis 4 % zurückgegangen ist. Ein Einfluss auf die Totgeburten war nicht sicher nachweisbar.
Der Lockdown, der im Frühjahr 2020 zu Beginn der Pandemie verhängt worden war, hat die Schwangerschaftsvorsorge erschwert. Vor allem, aber nicht nur in Schwellenländern blieben die Schwangeren oft bis zur Geburt ohne medizinische Betreuung. Schon bald häuften sich auch in Europa Berichte über eine Zunahme von Totgeburten um 2 % (Großbritannien) bis 22 % (Italien).
Gleichzeitig wurde über einen Rückgang von Frühgeburten berichtet, der in den europäischen Ländern zwischen 16 % und 91 % betragen haben soll, während aus Kalifornien und Nepal eine Zunahme der Frühgeburten um 11 % bis 30 % gemeldet wurde.
Es handelte sich zumeist um Erfahrungsberichte aus einzelnen Einrichtungen, die nicht unbedingt repräsentativ sind. So ist vorstelltbar, dass im Lockdown die Schwangeren, die auf eine Vorsorge verzichten mussten, bei Komplikationen auf andere Kliniken auswichen als die vorgesehenen, aus denen dann die Berichte über den Rückgang der Frühgeburten kamen.
Eine weitere Schwäche früherer Studien bestand darin, dass die Entwicklung der Vorjahre meist unberücksichtigt blieb, was den Einfluss eines langjährigen Trends ausblendet.
Ein internationales Forscherteam mit Mitarbeitern aus 42 Ländern hat jetzt in der iPOP-Studie („International Perinatal Outcomes in the Pandemic“) die Daten zu 52 Millionen Geburten aus 26 Ländern ausgewertet, wobei aus 18 Ländern repräsentative bevölkerungsbasierte Daten zur Verfügung standen. Die Untersuchung umfasst den Zeitraum vom Januar 2015 bis zum Juli 2020. Dies ermöglichte eine „Interrupted Time Series Analysis“, die auch langfristige Trends berücksichtigt.
Wie das Team um Meghan Azad von der Universität von Manitoba in Winnipeg berichtet, ist die Zahl der Frühgeburten im ersten Monat des Lockdowns um 4 % zurückgegangen, wobei die Odds Ratio von 0,96 aufgrund der hohen Teilnehmerzahl mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,95 bis 0,98 signifikant ausfiel.
Für den 2. Monat ermittelt das Team ebenfalls einen Rückgang um 4 % (Odds Ratio 0,96; 0,92-0,99), im dritten Monat waren es noch 3 % (Odds Ratio 0,97; 0,94-1,00). Im vierten Monat war keine signifikante Veränderung mehr nachweisbar (Odds Ratio 0,99; 0,96-1,01). Auf die sehr frühen Geburten (vor der 32. Woche) hatte der Lockdown keinen Einfluss.
In den nicht-bevölkerungsbasierten Studien gab es größere Ausschläge. In einer Einrichtung in Nigeria sank die Zahl der Frühgeburten um 62 % (Odds Ratio 0,38; 0,17-0,87), in einer anderen Einrichtung in Nigeria kam es dagegen fast zu einer Verdopplung (Odds Ratio 1,91; 0,97-3,76). Dies verdeutlicht, wie trügerisch die Daten aus einzelnen Kliniken sein können.
Bei den Totgeburten wurde ebenfalls kein signifikanter Zusammenhang gefunden mit Ausnahme der Länder mit einem höheren Einkommen. Die Forscher ermittelten für den ersten Monat des Lockdowns einen Anstieg um 14 % (Odds Ratio 1,14; 1,02-1,29). Dies war allerdings vor allem auf eine Studie aus Kanada zurückzuführen, wo die Zahl der Totgeburten nicht signifikant um 26 % stieg (Odds Ratio 1,26; 1,04-1,51). In den Folgemonaten gab es dann keine Unterschiede mehr zum Trend der Vorjahre.
In den nicht-bevölkerungsbasierten Studien wurden erneut deutliche Abweichungen gefunden. In einer Einrichtung in Nigeria sank die Rate der Totgeburten um 76 % (Odds Ratio 0,24; 0,08-0,69), in einer Einrichtung in Polen haben sich die Zahlen mehr als verdreifacht (Odds Ratio 3,20; 0,61-16,74).
Azad ist der Überzeugung, dass der Rückgang der Frühgeburten während des Lockdowns nicht darauf zurückzuführen ist, dass die Kinder tot statt zu früh geboren wurden. Als mögliche Ursache für den Rückgang der Frühgeburten kämen laut Azad der Schutz der Schwangeren vor Infektionen, aber auch eine Verbesserung der Luftqualität oder ein verminderter Stress im Lockdown infrage, wobei die Studie diese Hypothesen nicht überprüfen konnte.
Interessant sind die großen Unterschiede im Anteil der Frühgeburten (vor der 37. Schwangerschaftswoche) unter den einzelnen Ländern. Die Bandbreite reicht von 5,8 % (Finnland) bis 11,8 % (Brasilien). Auch bei den Totgeburten gibt es große Unterschiede. In Brasilien kommen auf 1.000 Geburten 10,4 Totgeburten, in Finnland sind es nur 2,5.
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