COVID-19: Frühere Infektionen mit Erkältungsviren nicht immer von Vorteil

Kiel – Naive Immunzellen sind die Grundlage für eine gute Impfreaktion nach einer SARS-CoV-2-Impfung. Bereits existierende Gedächtniszellen sind hingegen eher nachteilig. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) aus Kiel in einer ex Vivo-Studie mit 50 Teilnehmenden, die in Immunity publiziert wurde (2022, DOI: 10.1016/j.immuni.2022.08.003).
Aufgrund ihrer Daten, stellen die Forschenden die bisherige Theorie infrage, dass bereits vorhandene Gedächtnis CD4+ T-Zellen die SARS-CoV-2-Immunität stärken könnten. Das Gegenteil könnte der Fall sein: Vorangegangene Infektionen mit gewöhnlichen Erkältungsviren, zu denen auch Coronaviren (CCCoV) zählen, verbesserten in der Studie nicht den Immunschutz nach Infektion mit SARS-CoV-2 oder nach einer Coronaimpfung.
„Wir haben bereits 2020 gezeigt, dass ein früherer Kontakt mit Erkältungsviren keinen Schutz vor COVID-19 bietet. In der Folgestudie konnten wir jetzt zeigen, dass dies auch für die Qualität der Impfreaktion nicht vorteilhaft ist“, erklärte Letztautorin Petra Bacher vom Institut für Immunologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel.
Auch im Blut von Menschen, die weder geimpft sind noch infiziert waren findet man Gedächtniszellen, die auf SARS-CoV-2 reagieren können. Sie stammen aus Infektionen mit anderen Erregern.
Dieses Phänomen der Kreuzreaktivität wurde bisher als protektiv betrachtet. „Wir haben uns gefragt, ob Gedächtniszellen, die bereits gegen einen ähnlichen Erreger wir SARS-CoV-2 reagiert haben, zum Beispiel ein Schnupfenvirus, tatsächlich die Reaktion auf die Coronaimpfung verbessern.
Oder ob es wichtiger ist, viele naive Zellen gegen SARS-CoV-2 zu haben, die sich spezifisch auf den neuen Erreger einstellen können. Das ist in der Regel bei jungen Menschen der Fall, die meist gut mit Infektionen und Impfungen zurechtkommen“, verdeutlicht Bacher.
Das PMI-Team um Bacher und Alexander Scheffold, dem Leiter des Instituts für Immunologie, hatte Blutproben von 50 gesunden Personen vor und mehrere Wochen nach der 1. und 2. Impfung analysiert. Eine vorhergehende Coronainfektion wurde ausgeschlossen. 16 erhielten eine heterologe Impfung mit Astrazeneca ChAdOx1 gefolgt von Moderna mRNA-1273, die übrigen 34 hatten 2 Dosen Biontech/Pfizer BNT162b erhalten.
Mittels einer Antigen-reaktiven-T-Zell-Anreicherung konnten die Forschenden gezielt die Zellen untersuchen, die auf SARS-CoV-2 reagieren. Die Ergebnisse dieser Analyse wurden mit der Qualität der Impfantwort in Beziehung gesetzt.
Impferfolg bei über 80-Jährigen nicht so gut
Das Ergebnis der Untersuchung: Bei den über 80-jährigen zeigte sich eine insgesamt schwächere Reaktion. Die Impfung führte bei ihnen nur zu einem geringen Anstieg der SARS-CoV-2 spezifischen T-Zellen. „Bereits vorhandene Gedächtnis-T-Zellen tragen nicht zu einer qualitativ hochwertigen Immunantwort bei. Eher im Gegenteil. Eine sehr gute Immunantwort kommt aus dem naiven Repertoire“, erläuterte die Immunologin Bacher.
Die wenigen naiven T-Zellen, die im höheren Alter noch übrig waren, konnten nicht mehr so gut aktiviert werden, so Bacher weiter. „Aber auch die stark vorhandenen Gedächtniszellen tragen bei Älteren nicht positiv zur Impfantwort bei.“ Dieser Defekt im Immunsystem von alten Menschen lasse sich zwar mit weiteren Auffrischimpfungen mildern aber nicht ausgleichen.
Trotz Impfungen bleiben hochbetagte Menschen eine vulnerable Gruppe. „Wir müssen uns bewusst machen, dass es immer noch eine Gruppe gibt, die gefährdet ist. Das betrifft überwiegend die Älteren, deren Immunsystem nicht mit diesem „neuen“ Erreger zurechtkommt. Aber auch bei jungen Menschen gibt es welche mit schlechter Impfantwort. Das sieht man auch daran, dass trotz Impfung immer noch schwere Verläufe vorkommen“, ergänzt Scheffold.
Die beiden verschiedenen Impfschemata verursachten bei den Teilnehmenden keine Unterschiede. Sie resultierten in vergleichbaren Häufigkeiten von spikereaktiven CD4+ T-Zellen und Anti-Spike-IgG-Konzentrationen.
Immunantwort schwer messbar
Wie gut und wie lange die Impfung im Einzelfall vor einer Infektion mit Corona schützt, lässt sich durch Blutuntersuchungen nicht zuverlässig feststellen. Bacher: „Im Immunsystem gibt es keine klaren Grenzen. Viele Faktoren tragen zum Infektionsschutz bei, neben den Antikörpern vor allem die T-Zellen“, so Bacher.
Die in der Studie angewandten T-Zelluntersuchungen sind aber für die klinische Anwendung noch viel zu aufwändig. Hier muss noch einiges in Forschung und Entwicklung investiert werden, um diese Organisatoren der Immunantwort auch im klinischen Alltag bestimmen zu können, nicht nur für SARS-CoV-2. Die Notwendigkeit aber habe die Corona-Epidemie klar vor Augen geführt, heißt es in einer Pressemitteilung der Exzellenzclusters PMI.
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