Politik

Tod nach falscher Spritze: Studiendekan stellt sich hinter PJler

  • Dienstag, 6. August 2013

Bielefeld – Im Berufungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung hat sich der Studiendekan aus Münster, Bernhard Marschall, auf die Seite des Studenten im praktischen Jahr (PJ) gestellt. Beim gestrigen Verhandlungstag am Landgericht Bielefeld sagte Marschall, aus seiner Sicht hätten Organisationsmängel eine entscheidende Rolle gespielt. PJler seien zudem „nicht-ärztliche Mitarbeiter“ auf der Station, an die ärztliche Aufgaben delegiert würden. Sie seien „das kleinste Rädchen im Getriebe“. 

Zum Hintergrund: Der Student von der Universität Münster hatte vor circa zwei Jahren in einem Bielefelder Krankenhaus einem Säugling fälschlicherweise ein für die orale Gabe bestimmtes Antibiotikum in einen zentralvenösen Zugang gespritzt. Die Spritze hatte eine Schwester in das Patientenzimmer gebracht, während der PJler bei dem Kind mit der Blutabnahme beschäftigt war. Der Student ging davon aus, dass es sich um das Präpa­rat Refobacin handelte. Tatsächlich war es aber das für die orale Verabreichung bestimmte Cotrimoxazol.

„Er hatte keinen Anhalt für berechtigte Zweifel“, sagte Marschall, der als Sachver­ständiger zur Verhandlung geladen war. Zuvor habe der Student mit der Schwester über die Anfertigung eines Tal-Berg-Spiegels des Antibiotikums Refobacin gesprochen, dann habe eben diese Schwester die Spritze ins Zimmer gebracht. Tatsächlich steht in diesem Punkt Aussage gegen Aussage. Die Schwester gab an, den Satz „Hier ist das orale Antibiotikum“ gesagt zu haben. Dem PJler zufolge war der Wortlaut:  „Hier ist das Medikament.“

Aus Marschalls Sicht hätte der Fehler vermieden werden können. So hätte dem Studiendekan zufolge auch das orale Medikament beschriftet sein müssen. Außerdem gebe es seit einigen Jahren Spritzen auf dem Markt, die allein für die orale Gabe verwendet würden. Der Konus dieser Spritzen passe nicht auf intravenöse Infusionssysteme.

Marschall zeigte sich auch überrascht über die Ausführungen des Chefarztes vom ersten Verhandlungstag. Dieser hatte erneut dargelegt, die Kennzeichnung der Spritzen sei eindeutig gewesen (orale Spritzen mit einem roten Combi-Stopper, intravenöse Spritzen mit Nadel und Plastikhülle sowie Beschriftung). Dies könne er nicht nachvollziehen. Hier sei eine „heile Welt“ von Standards dargestellt worden, die aber offenbar nicht allen bekannt war.

Bestätigt wurde dies durch die Aussage eines Kommilitonen des Beklagten. Ihm sei ein solcher Standard nicht bekannt gewesen. Auch aus den vorherigen Stationen im PJ sei ihm dies als Differenzierung zwischen oralen und intravenösen Spritzen nicht geläufig. Die Situation auf der Station, auf der der Vorfall stattgefunden hat, sei charakterisiert gewesen durch „häufige Vertretungssituationen“. Einen festen Ansprechpartner für PJler bei den Stationsärzten habe es nicht gegeben. 

Die Verabreichung von intravenösen Medikamenten durch PJler erfolgte nach Angaben des Zeugen im Rahmen einer „allgemeinen Delegation“. Die Spritzen hätten auf einem Spritzentablett bereit gelegen. Eine Anweisung für die Verabreichung bei einzelnen Patienten sei nicht erfolgt. „Im Nachhinein denke ich, es war doch recht viel Verant­wortung“, sagte der Kommilitone des Beklagten.

Der vorsitzende Richter ließ trotz der Aussagen zu den Rahmenbedingungen keinen Zweifel daran, dass „nach wie vor ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist“. Und zwar „auch kein geringer“. Die Spritze habe niemals gegeben werden dürfen. Zwar sei der Sachverhalt „vielschichtig“, vorstellbar sei aber allenfalls eine Reduzierung des Straf­maßes, keine Einstellung. Infrage komme möglicherweise eine Reduzierung auf 90 Tagessätze. Das sei die „grobe Marschrichtung“ der Kammer. Vom Amtsgericht Bielefeld war der PJler im Oktober 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen von 15 Euro verurteilt worden, also 1.800 Euro.

Die Berufungsverhandlung wurde auf den 14. August vertagt, unter anderem weil das handschriftliche Gedächtnisprotokoll eines Oberarztes unleserlich war und daher nicht verlesen werden konnte.

BH

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