Darf ein Arzt Geld verdienen?
Es herrscht in der Bevölkerung die Meinung vor, dass ein Arzt seinen Beruf nicht des Geldes oder seines gesellschaftlichen Status wegen zu machen habe, sondern der Empathie halber. Seine Liebe zum Menschengeschlecht soll der Antrieb sein und sein einziges Ziel, das Wiederherstellen dieses wertvollen Gutes “Gesundheit”.
Ich stimme dieser Meinung zu, die meisten, wenn nicht sogar alle meine Kollegen, bestimmt auch.
Wenn ich dann, wie in gestriger Nacht, Extradienst machte und dabei kranke Patienten mit sarkoidoseinduzierter Hyperkalzämie aufnahm, darmkrebsbedingte Kolonstenotiker behandelte (vielmehr die Diagnose stellte und meine chirurgischen Kollegen konsilarisch dann bat, eine Hemikolektomie durchzuführen) oder Menschen intubiere, die eine COPD/OELS (s. Blog „Wer spricht noch deutsch?“) Exazerbation haben, mache ich das, weil ich ihnen helfen will und mir, direkt gesagt, das Medizinische und das gleichzeitige Helfenkönnen sogar richtig Spaß macht.
Natürlich erwische ich mich dabei, wie ich um vier Uhr morgens beim siebten Anruf wegen eines Fiebers klammheimlich ans Bett denke, aber stets bin ich mit meinen Gedanken beim Patienten wie es eben mein Zustand mir erlaubt.
Nach getanem Dienst lief ich dann nach Hause und ließ das Erlebte Revue passieren: Dieses gut gemacht, jenes vielleicht zu zaghaft, dort hätte ich die Antibiotika wohl nicht gebraucht. Dabei dann auch das Wissen, wegen viel Arbeit und vielen Anrufen wohl die $1000-Verdienstgrenze gesprengt zu haben und in jener Nacht sehr gut verdient zu haben.
Dabei dann stets die Frage, die die Politiker und so viele meiner Kollegen umtreibt: Wieviel darf ein Arzt verdienen wenn er das Arztsein für den Patienten primär macht? Darf er am Leiden seiner Patienten verdienen? Darf er, wie in den USA, einen Porsche, einen BMW, einen Lexus, einen Mercedes fahren dafür, dass er acht Jahre studiert, mindestens drei Jahre in einer Weiterbildung malocht und nun viele Nächte und unzählige Tage im Krankenhaus oder der Praxis verbracht hat?
Der US-Arzt macht es sich leicht: Ja, er darf gut verdienen und in einem schönen Haus leben und ein schönes Auto fahren. Da er ebenso viele Opfer auf sich nahm, um Arzt zu werden und auch als Mitglied dieser kapitalistischen Konsumgesellschaft irgendeine Konsumkompensation für all diese Lebenszeit erfahren will und auch einmal das Recht haben darf, sich in angenehmer Ambiente entspannen zu dürfen von all den Leiden, die er fast täglich sieht.
Überspitzt gefragt: Will ein Patient einen verlotterten Arzt, der wegen Autopanne nicht pünktlich kommen kann, der wegen Geldsorgen und Zweitarbeitsstelle kaum Zeit für ihn hat und schlecht gelaunt ist, weil er auf schlechter Matratze geschlafen hat? Wieviel Geld ist das Wiederherstellen der Gesundheit, dieses nichtmonetären Gutes, dem Patienten denn wert?
Wenn ich die nach Luft ringende Patientin gefragt hätte, hätte sie mir bestimmt zugeschrien “Herr Doktor, alles was ich besitze ist es mir wert, um weiter zu leben”. Doch absurd, solches zu fragen, wenn es unsere Berufung ist zu helfen. Aber ein Gedanke zumindest wert.
Das System regelt sich auch in USA selbst: Meine Arztkollegen vergessen sowohl im ärztlichen als auch im privaten Bereich nicht ihre Empathie und leben sie genauso in ihrem Geldbeutel wie im Krankenhaus oder Praxis aus: Unzählige spenden größte Summen im Laufe ihres Lebens an gemeinnützige Organisationen oder an eben jene Krankenhäuser, in denen sie arbeiteten, wissend, dass damit armen Menschen ebenfalls sehr teure Behandlung erhalten können. An unserem Krankenhaus gibt es eine Wand, an der mindestens fünfzig Ärztenamen stehen, die alleine in den letzten fünf Jahren mehr als $100.000 jeweils, manche sogar deutlich mehr als $1.000.000 gespendet haben.
Nein, ein schlechtes Gewissen muss ich nicht haben, dass ich Menschen geholfen und dabei gut verdient habe. Denn schon jetzt überlege ich, welcher Partei, welcher Organisation, welchem Krankenhaus ich es eines Tages spenden werde sollte ich einst ein Vermögen im höherstelligen Bereich als dem aktuellen besitzen.
Doch die Frage und Reflexion ist so schnell verflogen wie sie mir kam, denn schon bald denke ich wieder an die Sarkoidose und die Hyperkalzaemie von 14.2 und ob ich neben der Prednisontherapie auch PCP/PJP-Prophylaxe hätte geben müssen.
Gut, dass sein Kalzium am nächsten Tag schon wieder 11.3 ist, und er wieder laufen kann. Eine Etage tiefer wird gerade die Darmstenose behoben und nur die intubierte Patientin braucht noch einen oder zwei Tage länger, ehe sie wieder ohne Tubus atmen und dann wieder ihr Leben leben kann.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: