Medizin

Darmkrebsvorsorge: Randomisierte Studie belegt erneut Nutzen der Sigmoidoskopie

  • Donnerstag, 14. August 2014
Uploaded: 14.08.2014 12:14:57 by mis
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Kristiansand – Zum vierten Mal zeigt eine randomisierte Studie, dass eine einmalige Sigmoidoskopie, die heute zugunsten der Koloskopie weitgehend verlassen wurde, die Zahl der Darmkrebserkrankungen und -todesfälle signifikant senken kann. Die Untersuchung aus Norwegen im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2014; 312: 606-615) verleiht der Vorsorgeuntersuchung eine Evidenz, mit der die Koloskopie nicht aufwarten kann.

Der Norwegian Colorectal Cancer Prevention Trial (NORCCAP) umfasste alle Frauen und Männer in der Hauptstadt Oslo und der Provinz Telemark, die im November 1998 zwischen 55 und 64 Jahre alt waren. Später wurde die Altersgrenze für das Screening auf 50 Jahre gesenkt. Die Personen wurden nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen verteilt.

Eine Gruppe erhielt eine Einladung zu einer Sigmoidoskopie, wobei die Hälfte dieser Personen zusätzlich auf eine Stuhluntersuchung auf okkultes Blut randomisiert wurde. Die andere Gruppe erhielt keine Einladung zur Darmkrebsvorsorge, und da es sich in Norwegen damals nicht um eine Kassenleistung handelte, konnten die Studienleiter ziemlich sicher sein, dass die Teilnehmer der Kontrollgruppe die Vorsorgeuntersuchung nicht auf eigene Initiative durchführten.

Die NORCCAP war damit als einzige der vier bisherigen Studien bevölkerungsbasiert. Ihre Ergebnisse lassen damit eine genaue Abschätzung der Auswirkungen des Scree­nings zu. Die NORCCAP umfasste als einzige Studie die Altersgruppe ab 50 Jahre, für die zunehmend eine Vorsorge empfohlen wird. Außerdem wurde der Effekt nicht durch Protokollverletzer, die entgegen der Randomisierung eine Vorsorge durchführten, „verdünnt“. Dies war vor allem in der US-amerikanischen PLCO-Studie geschehen, die ebenso wie der britische Flexi Scope Trial und die italienische SCORE-Studie das Screening erst ab dem 55. Lebensjahr anbot.

Dennoch waren die Ergebnisse aller vier Studien weitgehend identisch, wie Øyvind Holme von der Sorlandet Klinik in Kristiansand berichtet. Nach median 11 Jahren war es in der NORCCAP-Studie bei 253 Teilnehmern des Screening-Arms und bei 1.086 Teilnehmern in der (allerdings viermal so großen) Kontrollgruppe zum Darmkrebs gekommen, an dem 71 gegenüber 330 Teilnehmer starben.

Holme berechnet eine Reduktion des Darmkrebsrisikos um 20 Prozent (Hazard Ratio 0,80; 0,70-0,92). In den anderen drei Studien war die Rate (allerdings bei unterschied­lichen Nachbeobachtungszeiten) um 18 bis 33 Prozent gesenkt worden. Die Zahl der Darmkrebstodesfälle wurde in der norwegischen Studie um 27 Prozent (Hazard Ratio 0,73; 0,56-0,94) gesenkt. In den drei anderen Studien waren zwischen 22 und 31 Prozent weniger Menschen an Darmkrebs gestorben.

Wie immer bei Screeningstudien lassen sich die Ergebnisse auch aus einer anderen Perspektive betrachten, die die absolute Risikominderung für den einzelnen Teilnehmer in den Mittelpunkt rückt. Das Screening senkt die Wahrscheinlichkeit auf einen Tod am Darmkrebs von 4 auf 3 Promille.

Der Vorteil könnte jedoch etwas größer sein, da die Überlebenskurven sich erst nach dem neunten Jahr trennten und der Abstand sich im weiteren Verlauf noch vergrößern könnte. Hinzu kommt, dass heute eine Wiederholung des Screenings nach zehn Jahren empfohlen wird. Außerdem haben auch in Norwegen nur zwei Drittel die Einladung zum Screening angenommen.

Insgesamt dürfte die Studie jegliche Zweifel daran beseitigen, dass die Sigmoidoskopie eine evidenzbasierte Darmkrebsvorsorge ist. Ob die Untersuchung des gesamten Dickdarms, die Koloskopie, die Vorsorgequalität weiter verbessert, wurde dagegen niemals in einer randomisierten klinischen Studie untersucht, wie der Editorialist Allan Brett von der University of South Carolina School of Medicine in Columbia anmerkt.

Die Koloskopie gilt heute als Standard, da viele Karzinome im proximalen Kolon entstehen, das bei der Sigmoidoskopie nicht untersucht wird. Dies traf in der norwe­gischen Studie jedoch nur teilweise zu, denn bei allen Patienten mit einem Befund in der Sigmoidoskopie (etwa ein Adenom von mehr als 10 Millimeter Größe) wurde eine Koloskopie angeschlossen, was in der Studie bei etwa jedem fünften Patienten der Fall war.

Es ist deshalb möglich, dass die Sigmoidoskopie eine nahezu gleichwertige Vorsorge­untersuchung ist, die die Kosten und die Belastung des Patienten (da die Darmvor­bereitung auf einen Einlauf beschränkt war) mindern könnte. Doch diese Option dürfte aufgrund der allgemeinen Empfehlung für die Koloskopie heute nicht mehr aktuell sein.

In Deutschland ist die Koloskopie ab dem 55. Lebensjahr eine Kassenleistung, ab dem 50. Lebensjahr werden jährliche Stuhluntersuchungen auf okkultes Blut angeboten. Die NORCCAP zeigt, dass (zumindest für die Sigmoidoskopie) die Darmspiegelung auch in der Altersgruppe der 50 bis 54-jährigen die Darmkrebsinzidenz senkt. Der Vorteil war bei einer Hazard Ratio von 0,68 (0,49-0,94) sogar noch größer als bei den 55 bis 64-Jährigen, für die Holme eine Hazard Ratio von 0,83 (0,71-0,96) ermittelte. Die zusätzliche Stuhluntersuchung auf okkultes Blut brachte gegenüber der alleinigen Sigmoidoskopie in der NORCCAP-Studie übrigens keine Vorteile.

rme

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