Depressionen: „Schuldgefühle“ im Kernspin sagen Rezidiv voraus
London – Patienten mit einer Major-Depression zeigen in der funktionellen Kernspintomographie eine vermehrte Kommunikation zwischen bestimmten Hirnzentren. Sie war in einer Studie in JAMA Psychiatry (2015; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2015.1813) mit einer erhöhten Rezidivrate verbunden. Die Studie liefert Einblicke in die Pathogenese. Für die Klinik dürfte die umständliche Untersuchung nicht geeignet sein.
Eine häufige Begleiterscheinung der Major-Depression ist die Neigung der Patienten, sich für negative Lebensereignisse verantwortlich zu fühlen („self-blaming“). Hirnforscher bringen diese unangemessenen Schuldgefühle mit einer vermehrten Aktivität im subgenialen Gyrus cinguli und der benachbarten septalen Region (SCSR) in Verbindung. Diese Region kommuniziert mit dem rechten oberen anterioren Temporallappen (RSATL).
Ein Team um Roland Zahn vom King's College London untersuchte diese Regionen bei 64 Patienten, die sich von einer Major-Depression erholt hatten. Während die Patienten im Kernspintomographen lagen, wurden ihnen Sätze vorgelesen, die ihre eigene Schuld oder zur Kontrolle die Schuld anderer Menschen beschrieben. Dazu gehörten Sätze wie „Tom (der Patient) hat sich Sam (seinem besten Freund) gegenüber gierig verhalten“ oder andersherum.
Diese Sätze lösen bei den Patienten Gefühle von Schuld (oder Beschuldigung) aus. In der funktionellen Kernspintomographie kam es bei einigen Patienten zu einer vermehrten Kommunikation zwischen SCSR und RSATL. Diese Patienten erlitten später als erste einen Rückfall ihrer Major-Depression. Zahn konnte bei 48 von 64 Patienten aufgrund der kernspintomographisch erfassten Hirnaktivität korrekt vorhersagen, ob es zu einem Rückfall kommen wird.
Bei den anderen 16 Patienten traf die Vorhersage nicht zu. Mit einer Trefferrate von 75 Prozent wäre der Test zu ungenau, um ihn in der Betreuung beispielsweise zum Kriterium für eine Änderung der Therapie zu machen. Der Aufwand der funktionellen Kernspintomographie wäre für den klinischen Einsatz ohnehin zu hoch.
Die Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass die Schuldverarbeitung im limbischen System des Gehirns ein möglicher Auslöser der Depression ist. Dies war bereits von Sigmund Freud vermutet worden. Der Begründer der Psychoanalyse sah die Ursache der Schuldgefühle in einem traumatischen Ereignis in der Kindheit. Diese Ansicht wird heute von den meisten Psychiatern nicht geteilt.
Die funktionelle Kernspintomographie kann diese Fragen nicht klären. Warum Patienten mit Depressionen stärker als Gesunde auf Schuldgefühle reagieren, ist unklar. Die Studie kann auch nicht ausschließen, dass die vermehrte Hirnaktivität nur ein Nebenbefund ist. Die Hypothese, dass Schuldgefühle der Auslöser depressiver Episoden sind, wäre erst bewiesen, wenn es gelänge, die Hirnaktivität an dieser Stelle zu mindern und dadurch ein Rezidiv zu verhindern.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: