„Der Anlass ist für die Akzeptanz entscheidend“
Berlin – Die Delegation ärztlicher Leistungen an nicht ärztliches Fachpersonal gilt auch ein Schlüssel, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten. Am Institut für Allgemeinmedizin der Charité Berlin forscht die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Medizinstatistikerin, Susanne Döpfmer, seit Jahren zu dem Thema, unter anderem zur Akzeptanz der Delegation unter Patientinnen und Patienten. Aktuelle Untersuchungen zeigen nun, dass diese Akzeptanz geringer sein könnte als bisher angenommen.

5 Fragen an Susanne Döpfmer, Forschungskoordinatorin am Institut für Allgemeinmedizin der Charité Berlin
Sie beschäftigen sich langem mit der Delegation ärztlicher Leistungen im ambulanten Bereich und legen dazu nun eine neue Studie vor. Was unterscheidet diese von vorherigen Untersuchungen?
Das Besondere an der Studie ist, dass wir Patientinnen und Patienten nicht nur nach ihrer theoretischen Haltung zu einer möglichen Delegation ihrer Behandlung an Medizinische Fachangestellte (MFA) befragt haben, sondern auch bezogen auf den konkreten Anlass ihres Praxisbesuchs.
Wir haben also erstmals zwischen theoretischen und tatsächlichen Behandlungsanlässen unterschieden. Wir wollten wissen, für welche Beratungsanlässe sie sich vorstellen können, in hausärztlichen Praxen ausschließlich durch MFA versorgt zu werden, ohne dass die Hausärztinnen oder Hausärzte involviert werden.
Die Studie ist derzeit im Review und soll in Kürze veröffentlicht werden. Erste Ergebnisse hat meine Kollegin Doreen Kuschick beim diesjährigen Deutschen Versorgungsforschungskongress in Berlin vorgestellt.
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Wir haben im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Strukturaufbaus des Forschungspraxennetzes RESPoNsE 1.861 Patienten im Setting von 61 Hausarztpraxen in Berlin, Brandenburg und Thüringen befragt.
Für die anonyme, quantitative Querschnittsbefragung haben wir einen selbst konzipierten, zweiseitigen Fragebogen verwendet. Die volljährigen Patienten, die wir in die Datenauswertung einbezogen haben, waren im Mittel 55 Jahre alt und zu 58 Prozent weiblich. 64 Prozent von ihnen leiden an mindestens einer chronischen Krankheit, genauso viele sind seit mindestens fünf Jahren Patient in der jeweiligen Praxis.
Welche Ergebnisse hat die Befragung hervorgebracht?
30 Prozent der Befragten gaben an, bei ihrem Anliegen, für das sie am jeweiligen Tag in die Praxis kamen, könne ihnen auch eine MFA helfen, ohne dass sie den Hausarzt sprechen. 70 Prozent verneinten das.
Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede bei den Zustimmungsraten je nach dem aktuellen Anlass: Während nur rund sieben Prozent mit der Behandlung ausschließlich durch eine MFA einverstanden wären, wenn sie wegen eines neuen Problems in die Praxen kamen, bejahten rund 40 Prozent die Frage, wenn sie wegen einer Impfung oder Impfberatung die Praxis aufsuchten.
Fast 50 Prozent würde der Kontakt zu einer MFA ausreichen, wenn es sich um andere Anliegen wie Blutabnahme, Befundbesprechung oder einen Gesundheits-Check-up handelt. Auch wenn sie lediglich ein Rezept brauchen, wäre für rund 33 Prozent der Befragten die Versorgung durch eine MFA ausreichend.
Demgegenüber stand unsere zweite Zielfrage, die darauf abhob, ob sich die Patienten in anderen Fällen als den jeweils vorliegenden vorstellen könnten, dass sich ausschließlich eine MFA um ihre Anliegen kümmert.
Hier haben wir fünf jeweils theoretische Anlässe vorgegeben: 85,6 Prozent konnten sich das vorstellen, wenn sie ein Wiederholungsrezept oder eine Folgeverordnung benötigen, 54,1 Prozent bei einer Krankschreibung wegen einer leichten Erkrankung.
69,9 Prozent bejahten es, wenn sie eine Überweisung benötigen, 58,9 Prozent bei Routinekontrollen wie Blutdruck, Diabetes oder Schilddrüsenunterfunktion. 57,4 Prozent konnten es sich bei unkomplizierten Anliegen wie einer leichten Erkältung oder Grippeschutzimpfung vorstellen.
Was schlussfolgern Sie daraus?
Man kann zusammenfassend sagen, dass man hohe Zustimmungsraten zur Delegation im hausärztlichen Kontext vor allem dann erhält, wenn man theoretisch fragt, ob Patienten einer Versorgung ausschließlich durch eine MFA zustimmen würden.
Da das bisher so in allen Studien erfragt wurde, kam es aus meiner Sicht zu einer Überschätzung der Akzeptanz seitens der Patienten. Sobald man in der konkreten Situation nach dem jeweiligen Anliegen fragt, ist sie zwar deutlich geringer, aber dennoch eindeutig vorhanden. 30 Prozent ist immer noch eine hohe Zustimmung, damit kann man arbeiten.
Außerdem hat sich gezeigt, dass vor allem der Anlass für die Akzeptanz entscheidend ist: Andere Faktoren, die wir abgefragt haben, wie Geschlecht, Berufstätigkeit, Bildungsabschluss, aktuelle Lebenssituation oder das Vorhandensein chronischer Krankheiten hatten keine signifikanten Auswirkungen.
Gleiches gilt für die ebenfalls abgefragte subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands sowie wie lange schon und wie oft der Patient die jeweilige Praxis besucht. Entscheidend ist hingegen, für wie kompliziert die Befragten den Anlass ihres Praxisbesuchs einschätzen.
Patienten, die ihn für eher sehr kompliziert halten, halten es eher für erforderlich, den Hausarzt zu sprechen. Das gilt sowohl für neu aufgetretene als auch für bereits bekannte gesundheitliche Probleme sowie bei akuten Beschwerden und Routinekontrollen.
Welche Forderungen lassen sich daraus Ihrer Meinung nach politisch und berufspolitisch ableiten?
Der demographische Wandel, die hohen Arbeitsbelastungen und der Mangel an Hausärzten machen meiner Einschätzung nach neue Versorgungsmodelle erforderlich, insbesondere eine Ausweitung der Delegation, möglicherweise sogar bis hin zur Substitution einzelner Leistungen.
In verschiedenen Ärztetagsbeschlüssen wurde das aber bisher eher zurückgewiesen. Allerdings ist die Haltung dazu unter Hausärzten unterschiedlichen Erhebungen zufolge im Fluss – demnach sind es eher jüngere und eher weibliche Hausärzte, die eine verstärkte Delegation bis hin zur Substitution positiv sehen.
Eine höhere Akzeptanz für die Delegation in der Ärzteschaft wird sich also wohl ehrlicherweise mit dem anstehenden Generationswechsel von selbst ergeben. Kurzfristig muss hingegen konstatiert werden, dass viele Hausärzte die Delegationsvereinbarung zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband gar nicht oder nicht ausreichend kennen. Hier wäre es also sinnvoll, mehr Informationen bereitzustellen.
Bei einigen der von uns erfragten theoretischen Behandlungsanlässen – wie der Behandlung von leichten Erkrankungen – würde der Rahmen, den die Delegationsvereinbarung stellt, allerdings eindeutig verlassen. Hier wäre es meines Erachtens sinnvoll, das im Rahmen von Modellprojekten und Interventionsstudien zu untersuchen. So könnte man nicht nur eruieren, mit welchen Arten von Versorgung durch MFA die Patienten einverstanden sind, sondern auch, wo da die Grenzen liegen – wann also ein Arzt hinzugezogen werden muss.
Auf der anderen Seite wird man die Delegation aber nur ausbauen können, wenn man eine entsprechende Förderung des MFA-Berufs, inklusive Möglichkeiten der Qualifizierung und einem damit einhergehenden höheren Gehalt, miteinbezieht. Ein Blick in andere Länder zeigt dabei, dass die Vorbehalte gegen die Arbeit dieser Berufsgruppen nicht berechtigt sind.
Ich habe als Ärztin beispielsweise selbst in einer englischen Hausarztpraxis hospitiert, da übernehmen die Diabetic Nurses die komplette Blutzuckereinstellung der Patienten. Die Ärzte waren da gar nicht mehr groß involviert. Angesichts der wachsenden Zahl alter und kranker Patienten bei einer sinkenden Zahl an Ärzten werden wir uns künftig fragen müssen, wie wir eine gute und flächendeckende Versorgung ohne mehr Delegation noch schaffen können.
Das Berufsbild des Hausarztes wird sich dadurch sicher ändern, und das wird nicht allen gefallen. Gerade ältere Hausärzte – zu denen ich mich selbst zähle – und auch Patienten werden Sorge haben um einen möglichen Verlust eines starken persönlichen Bezugs, wie er in dem weiterhin vorherrschenden Modell der Einzelpraxis selbstverständlich war und ist.
Im Sinne einer anhaltend guten Patientenversorgung und auch einer Entlastung der Hausärztinnen und Hausärzte benötigen wir Veränderung hin zu einer Teampraxis, in der verschiedene Berufsgruppen mit mehr Kompetenzen tätig sind, einschließlich der Möglichkeit der erweiterten Delegation.
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