Vom Arztdasein in Amerika

Der Patient als juristische Gefahr – Teil I

  • Donnerstag, 22. November 2012

Als Internist in den USA ist man tagtäglich nicht nur mit medizinischen Fragestellungen beschäftigt und nicht nur administrativ gefordert, sondern man wähnt sich immer an einem juristischen Abgrund; man weiβ, dass man jeden Augenblick verklagt werden kann, dass nicht nur jeder Fehltritt, sondern auch regulärer Medizinschritt Anlass einer Haftungsklage sein kann. „Jeder Patient, den Du behandelst kann Dich verklagen”, flüsterten wir uns schon als Assistenzärzte zu, „arbeite gründlich, dokumentiere alles und sichere Dich ab”.

In der Tat stelle ich bei all meinen Kollegen eine defensive Medizin fest: Unnötig scheinende Diagnostik wird angeordnet, um gefährliche Diagnosen auszuschlieβen und sich abzusichern. Viele Konsile werden nicht mangels Wissens angeordnet, sondern eher präventiv und gemäβ der Mottos „Mitgefangen, mitgehangen” und „geteiltes Leid ist halbes Leid”. Der hinter dem Patient scheinbar stets lauernde Rechtsanwalt wird als reale Gefahr wahrgenommen.

Alltagsbeispiele gibt es ausreichend: Die 23-jährige Patientin, die in die Notaufnahme mit Brustschmerzen kommt, ist fast schon ein Klassiker. Alles deutet auf eine Panikattacke oder sonstige psychische Ursache hin angesichts der Anamnese, unauffälligem EKG, Laborwerten, Röntgenthorax und klinischer Untersuchung. Dennoch kann man sicher sein, dass die Patientin ein Spiral-CT zum Ausschluss einer Lungenembolie, kleinem Pneumthorax und Dissektion erhält und wohl stationär zur Herzrhythmusüberwachung und Verlauf der kardialen Isoenzyme aufgenommen wird. Alles andere ist juristisch gefährlich – würdedie Patientin aufgrund einer nicht gemachten Diagnose sterben, obwohl alles dagegen gesprochen hatte, dann kann man die persönliche Bankrotterklärung im Prinzip gleich einreichen.

Der 51-jährige verheiratete Familienvater, der mit mittelgradigen Kopfschmerzen aufgenommen wird, wird sicherlich trotz normaler Untersuchung und Laborwerten ein Kopf-CT oder –MRT erhalten, voraussichtlich ein Neurokonsil bekommen und sich ggf. sogar eine Lumbalpunktion unterziehen müssen zum Ausschluβ z.B. einer CT-negativen Subarrachnoidalblutung oder einer nichtbakteriellen subakuten Meningitis. Da spielt es absolut keine Rolle, ob der Patient versichert ist oder nicht, ob er nur opiataffin aufgrund seiner Opiatabhängigkeit ist – es wird Maximalmedizin praktiziert.

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