Deutschlandeindruck IV: Deutsches Gesundheitssystem pro-Obama
Wenn jene Ärzte, Krankenpflegepersonal und Medizinstudenten, die ich bisher in Deutschland traf und mit denen ich über das US-Gesundheitssystem gesprochen habe, an der US-Präsidentenwahl diesen November teilnehmen könnten, dann würde Barack Obama unter ihnen gefühlte 90% plus der Stimmen erringen. Er ist unglaublich beliebt und wenig umstritten, anders als in den USA.
Es wird in Deutschland mit einer Leidenschaft für seine Gesundheitsreform Stellung bezogen als ginge es bei ihr um den Unterschied zwischen einem funktionierenden und dysfunktionalen Gesundheitssystem, zwischen gut und böse. Es werden als Rechtfertigung Schlagwörter gebraucht wie “Krankenversicherung für alle”, “Arme haben das Recht auf gleiche Behandlung”, “Behinderte dürfen nicht benachteiligt werden” etc., gerade so, als wäre das US-System wirklich so diskriminierend und als stünde das System dort kurz vor dem Kollaps, moralisch völlig korrupt. Obwohl es einige Dysfuntionalitäten im US-System gibt (wie auch im deutschen), sind diese Schlagwörter jedoch derart plakativ, dass ich sie im Gespräch stets als falsch zurückweisen muss.
Manche meiner deutschen Kollegen sind in der Diskussion dann offen für eine differenzierte Schilderung der eigentlichen Situation im US-Gesundheitssystem, doch stellen sie meines Erachtens nach eine Minderheit dar. Am Ende scheint es mir als würden sich meine Gesprächsteilnehmer meistens nach einer Bestätigung ihrer Vorurteile sehnen und wären enttäuscht bis erbost wenn diese nicht von mir geliefert wird.
Es scheint in Deutschland eine gewisse Sehnsucht zu herrschen, das US-Gesundheitssystem von einem privaten in ein gesetzliches verwandelt zu sehen (was es schon zu einem erheblichen Teil ist). Es schwingt eine moralische Sehnsucht und gewisse Überheblichkeit in der in Deutschland geführten Diskussion mit. Doch ist unser Gesundheitswesen mit seiner Rationierung, niedrigem Personalschlüssel, Abwanderung vieler Gesundheitsarbeiter usw. wirklich optimal und als Vorbild geeignet?
Doch solche differenzierte Überlegungen führen nicht weiter. Meine Erklärungen schaffen mir in Gesprächen wenig Freunde. Ich habe es mir mittlerweile angewöhnt nur dann vom US-System zu berichten wenn gefragt.
Für Dr. Obama ist es nur schade, daß er keine Stimmen unter meinen deutschen Kollegen erhalten kann; ein umkämpfter Bundesstaat wie Ohio oder Florida wäre mein deutsches Hospitationskrankenhaus und viele andere Häuser mit Sicherheit nicht. Traurig für ihn – so muss Obama eben doch weiter gegen (voraussichtlich) Mitt Romney Wahlkampf führen und um jede Stimme kämpfen.
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