Medizin

Diabetesmittel verhindert Schlaganfall-Rezidiv bei Nichtdiabetikern

  • Freitag, 19. Februar 2016
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New Haven – Das orale Antidiabetikum Pioglitazon, das in den Zellen die Wirkung von Insulin verstärkt, hat in einer randomisierten Langzeitstudie einige Patienten mit Insulinresistenz, aber (noch) ohne Typ 2-Diabetes, nach einem Schlaganfall oder einer transitorischen Attacke vor einem erneuten kardiovaskulären Ereignis bewahrt. Die Ergebnisse wurden auf der International Stroke Conference in Los Angeles vorgestellt und im New England Journal of Medicine (2016; doi: 10.1056/NEJMoa1506930) publiziert.

Etwa die Hälfte aller Patienten, die einen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA) erleiden, haben eine Insulinresistenz, die gekennzeichnet ist durch hohe Blutzuckerwerte trotz einer gesteigerten Insulinproduktion. Die Insulin­resistenz gilt als Risikofaktor für die Atherosklerose, wobei unklar ist, ob der Wirkungsverlust des Hormons selber oder seine negativen Auswirkungen auf den Stoffwechsel für das Risiko verantwortlich sind.

Viele Endokrinologen betrachten die Insulinresistenz als wesentliche Ursache für das metabolische Syndrom, zu dem neben einem Anstieg des Blutzuckers auch eine arterielle Hypertonie, erhöhte Triglyzeridwerte und eine Adipositas gehören. Alle diese Faktoren gehen mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einher und viele Patienten, die bereits einen Schlaganfall oder eine TIA erlitten haben, erleiden in den kommenden Jahren erneut einen Schlaganfall oder ein anderes kardiovaskuläres Ereignis.  

Der „Insulin Resistance Intervention after Stroke Trial“ (IRIS) hat untersucht, ob eine Behandlung mit dem PPAR-Agonisten Pioglitazon, der die Insulinwirkung an den Zielzellen verbessert, die Rezidivrate nach einem Schlaganfall senken kann. An der vom US-National Institute of Neurological Disorders and Stroke gesponserten Studie, für die der Hersteller von Pioglitazon Medikamente und Placebos zur Verfügung stellte, nahmen an 179 Kliniken in sieben Ländern (deutsche Beteiligung Universität Heidelberg) 3.876 Patienten teil. Alle hatten einen Schlaganfall oder eine TIA erlitten und bei allen wurde eine Insulinresistenz (HOMA 3 oder höher) diagnostiziert. Kein Teilnehmer war jedoch zu Beginn der Studie an einem Typ 2-Diabetes erkrankt – einer typischen Spätfolge der Insulinresistenz.

Die Patienten wurden auf eine Langzeittherapie mit Pioglitazon (Zieldosis: 45 mg/die) oder Placebo randomisiert. Primärer Endpunkt war das erneute Auftreten eines Schlaganfalls oder eines Herzinfarkts. Wie das Team um Walter Kernan von der Yale School of Medicine in New Haven berichtet, trat eines der Ereignisse während der 4,8-jährigen Beobachtungszeit im Pioglitazon-Arm bei 9,0 Prozent der Teilnehmer auf gegenüber einer Inzidenz von 11,8 Prozent im Placebo-Arm. Kernan errechnet eine Hazard Ratio von 0,76, die mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,62 bis 0,93 statistisch signifikant war.

Pioglitazon ist damit in der Lage, in der Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA die Rate von erneuten kardiovaskulären Ereignissen zu senken. Der Vorteil fiel in der Studie allerdings relativ gering aus. Es müssten 100 Patienten über 5 Jahre behandelt werden, um 2,8 Patienten vor einem kardiovaskulären Ereignis zu schützen. Dem stehen die bekannten Nebenwirkungen von Pioglitazon gegenüber, die die Begeisterung der Diabetologen für diesen Wirkstoff in den letzten Jahren gedämpft haben.

Pioglitazon erhöht das Körpergewicht. Die Patienten hatten am Ende 4,5 kg mehr zugenommen als im Placebo-Arm. Etwa jeder neunte hatte sogar 13,6 kg oder mehr zugelegt. Eine Gewichtszunahme ist bei Patienten, die zu Beginn der Studie bereits einen Body-Mass-Index von 30 hatten, unerwünscht, zumal es ein weiterer Risikofaktor für einen Typ 2-Diabetes ist.

Eine weitere Nebenwirkung von Pioglitazon sind Ödeme, die bei 35,6 Prozent der Patienten auftraten gegenüber 24,9 Prozent im Placebo-Arm. Ödeme können ein erstes Warnzeichen für eine beginnende Herzinsuffizienz sein, die eine bekannte Komplikation einer Therapie mit Pioglitazon ist. Eine erhöhte Rate von Herzinsuffizienzen trat in IRIS möglicherweise nur deshalb nicht auf, weil Patienten mit einer Herzschwäche von der Teilnahme ausgeschlossen waren und auf ein Ödem sofort mit einer Dosisreduktion reagiert wurde.

Die dritte bekannte Komplikation von Pioglitazon sind schwere Knochenbrüche, die eine Hospitalisierung notwendig machen. Sie wurden in IRIS im Pioglitazon-Arm bei 5,1 Prozent und im Placebo-Arm bei 3,2 Prozent der Patienten beobachtet. Hinzu kamen noch einmal kleinere Knochenbrüche bei 6,9 Prozent der Patienten (versus 4,9 Prozent unter Placebo). Den 2,8 kardiovaskulären Ereignissen, die pro 100 Behandelte in fünf Jahren durch eine Behandlung mit Pioglitazon vermieden wurden, standen demnach etwa 2 schwere Knochenbrüche gegenüber.

Die individuelle Entscheidung zu einer Langzeitbehandlung mit Pioglitazon dürfte deshalb nicht leicht fallen, zumal die Studie keinen Vorteil im Gesamtüberleben zeigen konnte: Im Pioglizaton-Arm starben 7,0 Prozent der Patienten im Placebo-Arm waren es 7,5 Prozent. Dies ergibt eine Hazard Ratio von 0,93, die bei einen 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,73 bis 1,17 nicht signifikant war.

Ein günstiger Nebeneffekt war übrigens die Senkung der Neuerkrankungsrate am Typ 2-Diabetes: Die Diagnose wurde im Pioglitazon-Arm bei 3,8 Prozent und im Placebo-Arm bei 7,7 Prozent der Teilnehmer gestellt. Die Hazard Ratio betrug 0,48 und war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,33 bis 0,69 signifikant.

rme

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