Vermischtes

„Die effizienteste Lösung wäre, die Munition so schnell wie möglich aus den Meeren zu holen“

  • Mittwoch, 25. Juni 2025

Kiel – Noch immer liegen rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Kriegsmunition im Bereich der deutschen Nord- und Ostseeküste auf dem Meeresgrund. Hinzu kommen rund 5.000 Tonnen chemischer Munition. Der Zustand dieser Weltkriegsüberbleibsel „kann je nach örtlichen Umweltbedingungen und dem Zeitpunkt sowie der Art der Einbringung von „sehr gut erhalten“ bis „vollständig korrodiert“ variieren, schrieb der „Expertenkreis Munition im Meer“ im Jahr 2021.

Vergangene Woche debattierten auf der Tagung „Munition Clearance Week“ in Kiel mehr als 200 Expertinnen und Experten, wie man die Kampfstoffe am besten beseitigt. Denn die Altlasten stellen nicht nur eine potenzielle Gefahr für die Ökosysteme dar, sondern auch für die menschliche Gesundheit. Welche Substanzen dabei das größte Risiko bergen und was speziell Ärztinnen und Ärzte zu diesem Thema wissen sollten, erläuterte die Toxikologin Jennifer Strehse im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Jennifer Strehse /privat
Jennifer Strehse /privat

5 Fragen an Jennifer Strehse vom Institut für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler, Medizinische Fakultät, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Das von der Munition und den Kampfstoffen in Nord- und Ostsee Gefahren für die menschliche Gesundheit ausgehen, klingt erst einmal abstrakt. Was heißt das konkret?
Munition, die noch einen Zünder hat, könnte rein theoretisch explodieren und somit Personen auf Schiffen oder Tauchern, die sich in der Nähe aufhalten, Schaden zufügen. Besonders gefährdet wären in diesem Fall vor allem Fischer, falls ihnen eine bezünderte Bombe ins Netz gehen sollte.

Eine weitere Gefahr geht von an den Strand gespültem Weißen Phosphor aus. Dieser sieht aus wie Bernstein und kann mit diesem sehr leicht verwechselt werden. Wird er gesammelt und trocknet, entzündet er sich umgehend und kann zu schwersten Verbrennungen führen.

Das größte Problem sind aber Sprengstoffe wie TNT, die krebserregend sind. Sie lösen sich nach und nach aus der rostenden Munition, werden von Fischen und anderen Meerestieren aufgenommen und können schlussendlich auf dem Teller landen.

Ist das schon jetzt ein Problem?
Spuren von diesen Sprengstoffverbindungen lassen sich teilweise schon in Fischen aus Nord- und Ostsee nachweisen. Zum Glück sind die Konzentrationen bislang so gering, dass beim Verzehr nicht mit gesundheitlichen Gefahren gerechnet werden muss.

Allerdings könnte sich dieses Problem in den kommenden Jahren verschärfen, wenn die Metallhüllen der Altmunition in den Meeren weiter durchrosten. Auch der Klimawandel könnte das Problem vergrößern. Wenn die Wassertemperatur steigt, dann lösen sich auch die sonst eher schwer im Wasser löslichen Sprengstoffe leichter auf.

Das Schwimmen in Nord- und Ostsee ist aber nicht gefährlich. Die Konzentrationen der sprengstofftypischen Verbindungen im Wasser sind so gering, dass diese keine Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben. Selbst dann nicht, wenn man sich stundenlang im Wasser aufhalten würde oder wenn man mal etwas Meerwasser verschluckt.

Was können diese Verbindungen beim Menschen anrichten?
Was akute Gesundheitsschäden durch Sprengstoffe wie TNT betrifft, traten alle bisher bekannten gesundheitlichen Schäden bei Menschen auf, die beispielsweise in Sprengstofffabriken gearbeitet haben und somit über längere Zeit in direktem Kontakt zu diesen Stoffen standen.

Dazu gibt es tatsächlich einige Untersuchungen. Hier ist besonders das Auftreten von Harnblasenkrebs hervorzuheben. Ein erhöhte Rate solcher Krebsfälle konnte auch bei britischen Bombenentschärfern in einer Studie gezeigt werden.

Wie lässt sich das Problem der Munitionsrückstände in Nord- und Ostsee in den Griff bekommen?
Die effizienteste Lösung wäre, die Munition so schnell wie möglich aus den Meeren zu holen. Im Moment ist diese nämlich noch physisch greifbar. Sie hat sich noch nicht im Wasser vollständig aufgelöst und könnte noch geborgen werden, ganz im Gegensatz zu anderen Schadstoffen wie Industriechemikalien, Arzneistoffrückständen oder Pestiziden, die man nicht mehr vollständig aus den Meeren entfernen kann.

Das größte Gesundheitsrisiko geht dabei auf jeden Fall vom krebsauslösendem TNT aus, weil es mengenmäßig mit Abstand am meisten in der Altmunition aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vorkommt.

Was sollten aus Ihrer Sicht speziell Ärztinnen und Ärzte zu diesem Thema wissen?
Konsultiert eine Person mit gelblich oder orange verfärbten Handflächen, die sich nicht mit Wasser reinigen ließen, einen Arzt oder eine Ärztin, nachdem diese Person am Strand einige Zeit einen vermeintlichen Stein in der Hand hatte, könnte es sich hierbei um Schießwolle handeln.

Die gelbliche Verfärbung stammt dabei mit großer Wahrscheinlichkeit vom enthaltenen TNT. In der Regel verschwinden diese Verfärbungen mit der Zeit von alleine. Allergische Ausschläge und Urtikaria sind jedoch als Reaktionen auch möglich und sollten entsprechend behandelt werden.

Wird Weißer Phosphor statt eines Stücks Bernstein gefunden, entzündet sich dieser, sobald er trocknet. Er ist nicht durch Wasser löschbar und bleibt zudem im brennenden Zustand als wachsartige Masse an der Haut kleben, so dass zum Teil großflächige Verbrennungen dritten Grades die Folge sein können.

In Bezug auf chemische Kampfstoffe kommt es selten immer mal wieder vor, dass Fischer Klumpen von Senfgas (auch unter der Bezeichnung S-Lost bekannt) in ihren Netzen haben. Die Gefahr besteht zum Beispiel um die dänische Insel Bornholm, wo große Mengen chemischer Munition verklappt wurde.

Senfgas ist entgegen des Namens bei Zimmertemperatur eine Flüssigkeit und kann im Wasser eine wachsartige Schicht ausbilden. Bei Hautkontakt drohen schwerste Ulzerationen mit Blasenbildung, die zu dem äußerst schlecht abheilen.

Sollte der Verdacht bestehen, dass eine Person mit Senfgas in Kontakt gekommen ist, sollten die betroffenen Hautbereiche gründlich, aber ohne die Haut zu verletzen, mit Seifenlauge gereinigt werden und offene Wunden entsprechend abgedeckt und anschließend versorgt werden.

Bei Verdacht auf Vergiftungen mit chemischen Kampfstoffen kann sich zur toxikologischen Beratung an die jeweils zuständige Giftnotrufzentrale gewendet werden.

fri

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