Politik

„Die Indikation als Kernstück der ärztlichen Identität“

  • Montag, 17. August 2015

Köln – Giovanni Maio befürchtet, dass Ärzte durch ökonomische Anreize dazu verleitet werden könnten, die Bedeutsamkeit einer sorgsamen Indikation zu unterschätzen. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer unter Maios Federführung grundlegende Aussagen zur Indikation erarbeitet

Uploaded: 17.08.2015 09:36:04 by mis
Giovanni Maio

5 Fragen an Prof. Dr. med. Giovanni Maio, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg

DÄ: Inwieweit ist eine Kopplung der Indikation, die auf das Wohl der Patienten ausgerichtet sein soll, mit vorrangig ökonomisch ausgerichteten Zielsetzungen als problematisch anzusehen?
Maio: Die medizinische Indikation ist ein Kernstück der ärztlichen Identität. Mit ihr bringt der Arzt zum Ausdruck, dass er dem Patienten nur das empfehlen wird, was für den Patienten im Prinzip zuträglich ist. Zwar wird der Patient selbst entscheiden müssen, aber ein Arzt wird dem Patienten eben nicht etwas empfehlen, was von vornherein nicht gut oder nicht notwendig für den Patienten wäre. Die Indikation ist somit eine Art Vorfilter, und sie hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, denn über sie wird nicht weniger als Vertrauenswürdigkeit gestiftet.

Wenn Ärzte nun ökonomische Anreize erhalten, also Anreize, die einer ökonomischen Steigerungslogik folgen, dann ist das sehr gefährlich, weil der Arzt durch diese Anreize dazu verleitet werden könnte, die Bedeutsamkeit einer sorgsamen Indikation zu unterschätzen. Wird der Anreiz zur Flucht in die Menge größer als die innere Überzeugung des Arztes, nur das ärztlich Gebotene zu empfehlen, dann führt das automatisch zum Vertrauensverlust. Vor diesem Hintergrund war es uns im Ausschuss für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer wichtig, auf die vertrauensstiftende Bedeutung der Indikation als unabdingbare Legitimationsbedingung ärztlichen Handelns neu hinzuweisen.

: Welchen Einfluss hat die zunehmende Ökonomisierung der Medizin auf die Behandlung und Versorgung der Patienten?
Maio: Das Gravierendste an der Ökonomisierung der Medizin ist die stillschweigende innere Umpolung der Ärzte. Gerade mit den DRGs wird ein Erlösdiktat über die Häuser verhängt, und damit wird die Orientierung der Ärzte am Wohl des Patienten zu einem Anliegen, auf das es primär nicht mehr ankommt, weil alles, was man tut, nicht mehr von der konkreten Bedeutung für den Patienten, sondern nur noch unter dem Gesichtspunkt der Verwertbarkeit betrachtet wird.

Im Grunde findet gegenwärtig eine Kapitalisierung der ärztlichen Tätigkeit mit dem impliziten Appell zur Übernahme einer ökonomischen Vorteilslogik statt, die sich à la longue gegen das Soziale wendet. Daher gerät der Ansatz gewinnwirtschaftlich zu denken geradezu automatisch in Konflikt mit dem Ansatz, die medizinische Indikation allein im Interesse des Patienten ernst zu nehmen. Vor diesem Hintergrund war es uns wichtig, zu verdeutlichen, dass der Arzt zwar ein Angestellter des Krankenhauses sein mag, dass er aber in seiner medizinischen Entscheidung unabhängig bleiben muss.

Diese Unabhängigkeit wird durch Bonuszahlungen, solange sie auf rein ökonomische Parameter abzielen, gefährdet. Mehr noch, solche Bonuszahlungen bringen eine Umdefinition des Arztberufs auf den Weg; mit Bonuszahlungen, die etwa auf die Fallzahlsteigerung ausgerichtet sind, soll erreicht werden, dass die Ärzte vor allem einen Beitrag zur Expansion des Klinikums leisten. Den Ärzten wird also über die Leitungsstrukturen die Rolle zugedacht, die Unternehmensziele, wie das der Expansion, durchzusetzen. Solange Bonuszahlungen dazu dienen sollen, medizinfremde Unternehmensziele erreichbar werden zu lassen, handelt es sich aber um eine subtile Form der Zweckentfremdung ärztlicher Kompetenz.

DÄ: Und wie wirkt sich die Ökonomisierung auf die Tätigkeit der Ärzte aus?
Maio: Ärzte werden heutzutage jederzeit zur Rechenschaft gezogen. Sie müssen Rechenschaft darüber ablegen, ob sie die vereinbarten Leistungsziele erreicht haben und die Erlöse stimmen, aber nicht darüber, ob sie sich auf ihre Patienten eingelassen haben, ob ihre Patienten gut versorgt worden sind und man ihnen auch geholfen hat. So kann es vorkommen, dass ein Arzt, der sich den Patienten ganz widmet und sie zufrieden nach Hause entlassen kann, strukturell dennoch sanktioniert wird, weil er die ökonomischen Leistungszahlen nicht vorweisen kann.

Deswegen leben wir in einem System, in dem der einzelne Arzt, wenn er ärztlich entscheidet und sich auf das beschränkt, wofür er streng genommen eine Indikation stellen kann, vom System her eher bestraft wird, weil er seine Eingriffszahlen nicht gesteigert hat. Das System setzt durch die einseitig ökonomische Logik schlichtweg falsche Anreize, die zu einer Aushebelung der Indikation verleiten. Das ist das Unverantwortbare am gegenwärtigen System. Ein Arzt, der den Patienten gründlich untersucht und ihm von einer Operation abrät, hat viel geleistet, weil er gut beraten hat. Diese Beratungsleistung wird im System aber nirgendwo abgebildet. Deswegen ist die Reflexion auf die Indikation so wichtig.

DÄ: Sie haben sich einmal eine „Medizin der Zuwendung“ gewünscht. Wie stellen Sie sich eine solche Medizin vor? Sollte die medizinische Indikation weiterhin eine Voraussetzung für ärztliche Maßnahmen darstellen?

Maio: Zuwendung und Indikation gehören zusammen, denn nur wenn ich versuche, mich zuhörend auf den Patienten einzulassen, werde ich eine gute Indikation stellen können. Die Indikation ergibt sich eben nicht allein aus den objektiven Befunden, so essenziell diese auch sein mögen. Für die Indikationsstellung muss ich mich darüber hinaus mit der besonderen und spezifischen Situation und Person des Patienten beschäftigen. Indikationen sind nur für den Einzelfall zu stellen, sie sind daher immer singuläre Entscheidungen, die gerade nicht schematisiert werden können. Daher ist für eine gute Indikationsstellung neben der externen Evidenz eben auch die gute Anamnese, das Verständnis des Patienten und vor allem ärztliche Erfahrung notwendig.

DÄ: Warum halten Sie die Stellungnahme der Bundesärztekammer „Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung“ für wichtig? Was versprechen Sie sich von ihr?
Maio: In einer Zeit, in der die Ökonomen die Leitung der Medizin übernommen haben, obwohl sie von Medizin selbst nichts verstehen, ist es besonders wichtig, den Ärzten zu verdeutlichen, dass die Gesellschaft von ihnen erwartet, primär ärztlich und nicht primär ökonomisch zu entscheiden. Und für die ärztliche Entscheidung ist die Indikation unverzichtbar. Es war uns wichtig, die Ärzte darin zu bestärken, bei ihrem ärztlichen Selbstverständnis zu bleiben, auch wenn die Leitungsstrukturen auf anderen Konzepten basieren.

Gerade weil die Ökonomie versucht, die Medizin umzuprogrammieren, müssten Ärzte umso entschiedener für ihre Sache einstehen. Mit dieser Stellungnahme ist die Hoffnung verbunden, allen in der Medizin Tätigen für die Bedeutsamkeit einer sorgfältigen Indikation zu sensibilisieren, damit deutlich wird, dass die Ärzteschaft eine Profession ist, die die Ausrichtung ihrer Tätigkeit an Prinzipien orientiert, die nicht primär der Erlösoptimierung dienen, sondern dem Patienten – und nichts anderes bedeutet eine gute ärztliche Indikation.

Kli

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